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Beitrag vom 09.07.2017

Welt am Sonntag

Afrika RETTEN für Anfänger

Den Wohlstand in afrikanischen Ländern zu fördern ist Schwerpunkt der deutschen G-20Präsidentschaft. Doch Berlins Hilfsplan ist verwirrend. Selbst Experten rätseln, wie er funktionieren soll

VON KLAUS GEIGER UND CHRISTIAN PUTSCH

Afrika wird Anfang Juli in einem Hotel am Berliner Kurfürstendamm gerettet. Nur wenige Gäste sitzen an diesem Donnerstagnachmittag noch in den Stuhlreihen des großen Saals, sie ringen mit der Müdigkeit nach dem Mittagessen. Auf der Bühne diskutieren vier Männer, einer aus Deutschland, die anderen aus Ghana, Benin und Kenia. Ihr Thema: OnlineHandel in Afrika. Wie verdient man damit Geld auf einem Kontinent, dreimal so groß wie Europa, aber in großen Teilen ohne moderne Infrastruktur? Ideen und Visitenkarten werden ausgetauscht, über die Vergabe von Hilfsgeldern wird gesprochen. Das ist Alltag für die Mitglieder der globalen Afrika-Community, eine von Hunderten Konferenzen jedes Jahr auf der Welt, um eine der großen Aufgaben des 21. Jahrhunderts zu bewältigen: Afrika zu Wohlstand zu verhelfen.

Doch diesmal ist etwas anders. Diesmal herrscht bei den Konferenzteilnehmern eine neue Anspannung, das Gefühl, dass etwas in Bewegung kommen könnte – und dass es womöglich falsch angepackt wird. Denn es ist die Woche des G-20-Gipfels. Und Deutschland hat Afrika zum Schwerpunkt seiner Präsidentschaft gemacht. Dabei ist es eigentlich ein Afrika-Anfänger.

Auf den Konferenz-Donnerstag folgt der Samstag. Und tatsächlich: Die G-20Staaten verabschiedeten auf dem Gipfel in Hamburg einen Plan für Afrika. Im Zentrum stehen die von Deutschland entwickelten „Compacts with Africa“ – Pilotpartnerschaften der G-20-Staaten mit afrikanischen Ländern. Diese Staaten verpflichten sich zu Reformen, zum Kampf gegen Korruption, dafür sollen sie leichter an Geld von Investoren gelangen. Für diesen Plan hat die Kanzlerin seit Monaten geworben: Afrika soll endlich an die Globalisierung angedockt werden, privates Kapital soll fließen, der Kontinent einen Aufschwung erleben wie Asien. So soll die Flucht übers Mittelmeer nach Europa gestoppt werden.

Die Afrika-Arbeiter, die sich im Berliner Konferenzhotel getroffen haben, kennen den Plan auswendig. Sie fragen sich: Kann etwas bleiben von dieser G-20-Initiative, jenseits großer Worte, jenseits von Papieren, Projekten, Agenden? Oder wird mit dem Ende der G-20-Präsidentschaft die neue deutsche Afrikapolitik selig entschlafen?

Diese hatte die Bundeskanzlerin im Herbst 2016 ausgerufen. Die heiße Phase der Flüchtlingskrise war gerade vorbei, als Angela Merkel Afrika entdeckte: Der Kampf gegen Fluchtursachen sollte die dritte Säule ihrer Migrationspolitik sein – neben Integration und Grenzschutz. Sie müsse sich, sagte sie, auch um Afrika kümmern, wenn sie sich dem Wohl des deutschen Volkes widme. Kurze Zeit später brach sie zu einer Afrikareise auf. Tänzer in schwarz-rot-goldenen Gewändern empfingen Merkel in Niger, dem ärmsten Land der Erde. Schöne Bilder für die Botschaft: Deutschland hat aus der Flüchtlingskrise gelernt – die Kanzlerin kämpft nun gegen die Migrationsursachen.

Aber Deutschland hat wenig Erfahrungen mit Afrika. Den Kontinent überließ man bisher dem Entwicklungshilfeministerium. Es war kein Thema für Karrieren. Nun wollte plötzlich jeder mitmachen. Den Kern der G-20-Strategie konzipierte das Finanzministerium, bis dahin kaum bekannt für seine Afrika-Kompetenz. Das Haus von Wolfgang Schäuble holte sich einen Berater, Afrika-Koryphäe Paul Collier, Ökonom an der Universität Oxford, und in der Flüchtlingskrise ein gnadenloser Kritiker von Angela Merkel.

Collier hatte Merkel vorgeworfen, die Willkommenskultur sei mit schuld am Tod Tausender im Mittelmeer. Collier ist ein Verfechter eines konsequenten Grenzschutzes. Aber der Afrika-Kenner fordert, dass im Gegenzug die Industrieländer viel mehr tun müssen, um dem armen Teil der Welt zu helfen. Und er sagt: Nur der Markt, nur die Globalisierung hat die Urkräfte, um einen Kontinent aus der Armut zu katapultieren wie einst Asien.

Das ist der Grundgedanke der „Compacts with Africa“, Verträge für Afrika, die Collier für die Bundesregierung entwarf. Mit dem Senegal, mit der Elfenbeinküste, mit Marokko, Tunesien, Ruanda sollte es zunächst solche Verträge geben. Daraufhin zahlte Deutschland viel Lehrgeld. Das Finanzministerium tat sich schwer, afrikanische Länder mit ins Boot zu holen. Wer mit französischen Diplomaten in Berlin spricht, dem sagen diese gern mit süffisantem Unterton, dass sie ein wenig mit Kontakten ausgeholfen hätten. Und ob man sich schon mal gefragt habe, warum so viele frankofone Länder unter den CompactPartnern seien. Es lief über Monate schleppend, letztlich wurden plötzlich zwei Länder als Partner nachnominiert. Und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller hatte eine ganz eigene Idee – den sogenannten Marshall-Plan für Afrika, den er parallel vorantrieb. Am Ende brauchte es einen Kabinettsbeschluss, um das Durcheinander zu sortieren und die Initiativen der verschiedenen Ministerien halbwegs zu verzahnen.

Compacts, Marshall-Plan, selbst Afrika-Experten blicken inzwischen nicht immer durch. Oft entsteht im Gespräch mit afrikanischen Politikern das Gefühl, dass sie aufgegeben haben, zu verstehen, was im Detail geplant ist. Bei ihnen ist angekommen: Angela Merkel interessiert sich neuerdings für Afrika. Aber sie wollen doch erst mal schauen, was das konkret bedeutet.

Viele Experten sehen es ähnlich. Gut, dass Deutschland etwas tut. Aber mal abwarten. „Mich stimmt positiv, dass die Privatwirtschaft bei der Konzeption weit mehr involviert wurde“, sagt Robert Kappel, einer der renommiertesten deutschen Afrika-Experten. Aber es sei etwa unklar, wie genau lokale Firmen auf dem Kontinent von der G-20-Initiative profitieren könnten. Und Bildungsfragen würden nicht genug berücksichtigt. „Wo sollen denn die Fachkräfte herkommen?“, fragt Kappel. „Ob die Impulse am Ende riesig sein werden, muss sich erst noch herausstellen.“

Auch Stefan Liebing ist noch skeptisch. Er ist der Vorsitzende des AfrikaVereins der deutschen Wirtschaft. Deutsche Firmen seien gut aufgestellt beim Aufbau von Infrastruktur in Afrika, sagt Liebing. „Bei den erneuerbaren Energien gibt es große Chancen für unsere Firmen.“ Aber der Staat müsse helfen. Viele Firmen scheuten ein Investment in afrikanischen Ländern aus Angst, Geld zu verlieren. Der Staat solle mehr Risiko abfedern. Doch Deutschland gibt keinen einzigen Euro für die G-20-Initiative. Der Plan ist eher eine Hülle, in den Geld bestehender Organisationen wie der Weltbank fließen.

Auf der Berliner Konferenz in der G-20-Woche sitzt Erick Yong auf der Bühne. Die Diskussion dreht sich um Start-ups. Yong ist der Sohn eines kamerunischen Diplomaten, in Deutschland geboren, er hat in vielen Ländern Afrikas gelebt. Als er nach der Diskussion zum Kaffeestand kommt, sagt er: „Das soll nicht anmaßend klingen, aber was Deutschland jetzt machen will, machen wir schon seit drei Jahren.“

Sein deutsches Unternehmen Greentech investiert Geld in soziale und ökologische Start-ups in afrikanischen Ländern. Die Firmen haben Namen wie Farmcrowdy und bieten etwa digitale Lösungen für afrikanische Bauern. Yong findet das G-20-Engagement gut. Aber wie viele Afrika-Experten betrachtet auch Yong die deutsche Initiative nicht als etwas wirklich Neues. „Aber es ist einfach ein boost für viele Projekte“, sagt er. Ein boost. Eine „Vertriebsoffensive“, sagt jemand anderes.

Die G-20-Präsidentschaft wird Deutschland Ende des Jahres an Argentinien übergeben. Das Land wird neue Schwerpunkte setzen. Wer führt die deutsche Initiative weiter? Die Arbeit bleibt am Ende wohl bei denen hängen, die sie immer gemacht haben.

Wie an der Mitarbeiterin einer internationalen Organisation, die sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Afrika beschäftigt und auf der Konferenz in Berlin viele ihrer Partner in Afrika trifft. Ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen. Sie winkt ab. Die G-20-Initiative hält sie nicht für neu. „Die baut auf Prinzipien auf, die schon lange angewandt werden“, sagt die Frau. Die Bundesregierung tue so, als sei privates Kapital für Afrika eine revolutionäre Idee. Dabei sei sie mindestens zwei Jahrzehnte alt.

Neu sei etwas anderes. „Die Welt hat sich entwickelt, die globalen Probleme sind heute andere“, sagt sie. Die demografische Entwicklung, der Migrationsdruck. „Das bewegt viele Menschen in den Industrieländern und in Afrika, anders zu denken“, sagt sie. „Wenn wir jetzt nicht handeln, haben wir morgen ein Problem, das wir nicht mehr beherrschen können.“

Aber wann wird gehandelt? Bis jetzt wurde viel diskutiert, geplant und verkündet. Die mühsame Umsetzung bleibt nun wohl für jene, die auch künftig auf immer neuen Afrika-Konferenzen ein Jahrhundertproblem zu lösen versuchen. Ein Jahrhundertproblem, dem Deutschland immerhin kurz eine große Bühne gegeben hat. Das aber bis auf Weiteres mit jedem Tag größer wird.