Beitrag vom 06.07.2017
Zeit Online
"Ich erwarte vom Westen keine Hilfe"
Die Pläne der G20 könnten Afrika zu dringend nötigen Investitionen verhelfen, sagt Ökonom Robert Kappel. Doch den Armen und der Landbevölkerung bringen sie wohl nichts.
Interview: Alexandra Endres
ZEIT ONLINE: Herr Kappel, die G20 wollen die afrikanischen Länder in der Armutsbekämpfung unterstützen. Ein zentrales Instrument dafür ist der Compact with Africa – ein Plan, der ausgerechnet den ärmsten Ländern nichts bringe, sagen Sie. Was genau funktioniert da nicht?
Robert Kappel: Der Compact with Afrika (CWA) konzentriert sich auf große Infrastrukturprojekte in wirtschaftlich schon relativ entwickelten Ländern. Er will zum Beispiel eine Schnellstraße zwischen Nairobi und Mombasa finanzieren, oder Staudämme im südlichen Afrika. Er will die urbanen Zentren vernetzen und besser durch Verkehrswege, Elektrizität, Trinkwasser, Häfen und Flughäfen erschließen.
Dahinter steckt die Idee, dass in den Städten am ehesten Wirtschaftswachstum entsteht. Prinzipiell ist das auch gut, es gibt da unglaubliche Defizite. Aber Armut ist in Afrika ländlich.
ZEIT ONLINE: Das bedeutet, innerhalb Afrikas vergisst der CWA die armen Länder, die Fortschritte besonders nötig hätten – und in den Ländern, die er nicht vergisst, ignoriert er die armen ländlichen Regionen?
Kappel: Das kann man so sagen.
ZEIT ONLINE: Wie kommt es dazu?
Kappel: Der Compact ist ein Papier der Finanzminister, die sich vor allem gefragt haben, wie sie das Kapital lockermachen können, das gebraucht wird, um die Großprojekte zu finanzieren. Es geht um enorme Summen: Man schätzt, dass jährlich 100 Milliarden Dollar investiert werden müssten, und zwar zehn bis 15 Jahre lang, damit die Infrastruktur auf dem afrikanischen Kontinent ungefähr auf den Stand von Südostasien kommt. Nur um die wesentlichen Dinge auszubauen, also Elektrizität, Straßen, Wasserverbindungen, das urbane Transportsystem und den Transport auf dem Land, Häfen und Flughäfen.
Weil öffentliche Kassen das nicht stemmen können, sucht man nun private Investoren, die ihr Geld langfristig anlegen möchten: Pensionsfonds zum Beispiel und Lebensversicherer, unter ihnen auch die Allianz oder die großen amerikanischen Rentenfonds. Die aber werden nur in Afrika investieren, wenn sie eine bestimmte Rendite vergleichsweise sicher in Aussicht haben. In den armen Ländern können sie die nicht erwarten. Die Dokumente des CWA zeigen, dass den Investoren eine Verzinsung von 4 bis 4,5 Prozent garantiert werden soll. Das ist sehr hoch.
ZEIT ONLINE: Wenn es darum gehen soll, den Armen zu helfen, müssten die G20 sich doch zunächst einmal mit der aktuellen Hungerkatastrophe in Südsudan, Nigeria, Jemen und Somalia befassen. Doch die bleibt merkwürdigerweise unbeachtet.
Kappel: Niemand hat Interesse, über Hunger zu sprechen. Deshalb fehlt den Hilfsorganisationen dort das Geld. Um dagegen etwas zu unternehmen, müssten die G20 jetzt, kurz vor dem Gipfel, noch eine völlig andere Richtung einschlagen. Das wird aber wohl nicht passieren. Und wenn dann Argentinien die G20-Präsidentschaft übernimmt, wird Afrika auf der Themenliste wieder nach unten rutschen.
Hunger kommt im Kosmos der G20-Finanzminister überhaupt nicht vor, auch nicht die Armut. 400 Millionen Menschen sind in Afrika inzwischen arm und es werden immer mehr. Die Wüste breitet sich aus, die Zahl der Hitzewellen steigt. Aber für soziale Fragen und Umweltthemen interessieren sich die Finanzminister nicht. Sie bräuchten einen ethischen Kodex.
ZEIT ONLINE: Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass die geplanten Infrastrukturprojekte, also die Straßen, Dämme, Stromleitungen und Häfen tatsächlich gebaut werden?
Kappel: Die Projekte werden seit fünf bis acht Jahren immer weiter entwickelt. Jetzt geht es um ihre Finanzierung. Wenn die Investoren kommen, ist die Chance gut. Ich finde den Ansatz, die Privaten ins Boot zu holen, wenn öffentliche Gelder nicht ausreichen, auch völlig in Ordnung. Vermutlich ist das die einzige Möglichkeit, das Problem grundsätzlich angehen zu können.
ZEIT ONLINE: Trotzdem sehen Sie den Compact with Africa sehr kritisch. Warum?
Kappel: Weil die Finanzierung nur einer von drei Schwerpunkten des CWA ist. Eine andere ist die makroökonomische Komponente. Die ist wichtig, denn um Straßen, Dämme und Häfen bauen zu können, werden sich die afrikanischen Länder ja verschulden – und da muss man die Rahmenbedingungen möglichst so setzen, dass sie durch die neuen Kredite nicht in eine Schuldenkrise rutschen.
Der Compact verlangt also Haushaltsdisziplin, Strukturanpassungsreformen, Inflationsbekämpfung. So wie früher in den neunziger Jahren – und ganz so, als hätte es die vielen Länder, in denen die reinen Stabilitäts- und Strukturanpassungsprogramme damals gescheitert sind, gar nicht gegeben. Er ignoriert soziale Fragen. Es interessiert ihn nicht, ob seine Vorgaben die Armut womöglich noch verstärken. Und er lässt Umweltprobleme völlig außen vor.
ZEIT ONLINE: Dabei haben die Vereinten Nationen vor anderthalb Jahren neue nachhaltige Entwicklungsziele verabschiedet. Spielen die für die G20 gar keine Rolle?
Kappel: Nicht für den Compact with Africa, und offenbar nicht für die Finanzminister, die vor allem Budgetfragen im Blick haben. Die Nachhaltigkeitsziele kommen in dem Dokument gar nicht vor. Das spiegelt ein ganz enges Verständnis von Entwicklung und es fällt hinter manches zurück, was in vielen anderen Diskussionen – auch innerhalb der Weltbank und des IWF – schon erreicht schien. Umwelt, Arbeitsplätze, Armut: All das ignoriert der CWA.
Dabei müsste er sich genau darum kümmern und viel besser erklären: Wie können die internationalen Investitionen dem lokalen Unternehmertum helfen? Wie können die Bauern davon profitieren? Was will man tun, um die Verbindung herzustellen zwischen den großen ausländischen Investoren und der lokalen Wirtschaft, die vor allem aus kleinen und mittleren Betrieben besteht? Wie vernetzt man Stadt und Land? Das fehlt völlig. Der Compact spiegelt die Sicht der Finanzmärkte, von vorne bis hinten. Das ist ein großer Mangel.
ZEIT ONLINE: Sie sprachen von drei Schwerpunkten des Compact. Was ist mit dem dritten?
Kappel: Der fordert, dass die Behörden effizienter und transparenter arbeiten sollen, damit die großen Projekte gut umgesetzt werden können und den Unternehmen allgemein nicht mehr so viele Hindernisse in den Weg gelegt werden. Es geht darum, dass Regeln für alle gelten müssen und für alle klar sein muss, auf welcher Grundlage die Behörden entscheiden. Das ist ein wichtiger Punkt, viele afrikanische Staaten sind damit überfordert. Aber auch hier bleibt der CWA sehr unkonkret. Er will die Wirtschaft fördern. Aber er kümmert sich nicht um die Frage, auf welche Art die großen, von ihm unterstützten Infrastrukturprojekte genau das tun könnten.
Der Plan ist wie eine Schablone, die unterschiedslos auf alle afrikanischen Länder angewandt werden soll. Stellen Sie sich vor, was für einen Aufschrei es gäbe, wenn der IWF einen Report über Europa schriebe und behandelte darin Sizilien genauso wie Norwegen. Das kann man nicht machen, man muss differenzieren.
ZEIT ONLINE: Wie ginge es besser?
Kappel: Man müsste zuerst in jedem Land schauen, wo die größten Probleme stecken und wo die Chancen auf Entwicklung. Dann überlegen: Mit welchen Investitionen kann man die größte Wirkung für die örtlichen Bauern und Unternehmen erzielen? Was wollen die ausländischen Investoren? Und wie kann man das mit den lokalen Wertschöpfungsketten zusammenführen? Dann geht es sehr schnell um ganz konkrete Fragen: Brauchen wir Solarzellen oder Stromleitungen? Wie kriegt man es hin, dass die Bauern ihre Ernte endlich auf den Markt bringen können, statt zu Hause zusehen zu müssen, wie sie verfault? Bringt Tourismus dem Land Fortschritt? Leider denken die Autoren des CWA genau andersherum, nämlich von oben nach unten.
ZEIT ONLINE: Womöglich lässt der Rahmen des Compact den einzelnen afrikanischen Ländern ja ausreichend Freiheit, um ihre eigene Politik zu verwirklichen.
Kappel: Das wird man sehen müssen. Die Elfenbeinküste, Marokko, Ruanda, Senegal und Tunesien wollen auf Basis des CWA eigene Pläne entwickeln. Das sind sehr unterschiedliche Länder. An ihren Beispielen wird man sehen können, wie gut die Differenzierung gelingt.
ZEIT ONLINE: Der Compact ist nicht das einzige Papier, das unsere Wirtschaftsbeziehungen zu Afrika neu regeln will. Was ist mit den anderen?
Kappel: Es gibt zusätzliche Pläne der deutschen Regierung, aus dem Wirtschafts- und aus dem Entwicklungsministerium. Die sind etwas näher an den lokalen Verhältnissen dran. Aber sie werden innerhalb der G20 gar nicht diskutiert.
ZEIT ONLINE: Es gibt afrikanische Entwicklungsstrategien, die auf den lokalen Verhältnissen aufbauen, zum Beispiel die African Unions Agenda 2063. Warum werden sie nicht umgesetzt?
Kappel: Einige Länder sind da sehr aktiv, zum Beispiel die Elfenbeinküste, Kenia, Senegal, Ruanda und Äthiopien. In Lagos und Nairobi wächst die Mittelschicht. Damit entsteht eine neue Nachfrage nach Konsum- und anderen Gütern, und es werden Unternehmen gegründet, die diese Nachfrage bedienen: Textilbetriebe, Nahrungsmittelfabrikanten, Mittelständler, die Solaranlagen bauen. Dort verändert sich was.
Das sollte viel mehr Beachtung finden, denn endlich entsteht eine wirtschaftliche Dynamik von innen – und ich glaube, nur durch sie entstehen Arbeitsplätze und schaffen die Menschen es, der Armut zu entkommen. Nicht durch große Investitionen von außen.
ZEIT ONLINE: Was ist mit den anderen Ländern?
Kappel: In vielen haben wir es mit einem Versagen der Eliten zu tun. Sie haben kein Interesse daran, die Landwirtschaft zu fördern oder den Armen zu helfen. Sie leben in der Stadt, können sich vieles leisten und vieles entscheiden, bereichern sich. Das ändert sich nur sehr langsam. Und während die Städte boomen, wird die Kluft zum Land immer breiter. Nur zehn Kilometer außerhalb von Nairobi beispielsweise hängen die Jugendlichen auf der Straße herum, haben weder Arbeit noch eine Aussicht darauf – und auch keine Perspektive, dass die Mächtigen daran je etwas ändern. Das ist der Grund, warum so viele weggehen.
ZEIT ONLINE: Kann der CWA dazu beitragen, diesen Leuten eine Perspektive zu verschaffen?
Kappel: Natürlich wird er Effekte erzeugen. Straßen zu bauen bringt Tausende Jobs – allerdings nur für zwei oder drei Jahre. Ein Strohfeuer. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit wird sich nur über einen langen Zeitraum lösen lassen und nur, wenn es gelingt, die großen Infrastrukturprojekte doch noch so anzulegen, dass die lokalen Unternehmer und kleinen Bauern auch etwas davon haben.
ZEIT ONLINE: Wie gut schätzen Sie die Chancen einer solchen positiven Entwicklung ein?
Kappel: Ich denke, die Krise wird noch schlimmer werden. Die Jugendarbeitslosigkeit wird weiter steigen, und die Umweltkatastrophen werden noch mehr Verheerungen anrichten. Ich erwarte vom Westen keine Hilfe. Sie muss von innen kommen, und in vielen Ländern gibt es Jugendbewegungen oder Nichtregierungsorganisationen, die aufbegehren. Am Ende wird es wohl einige Länder geben, die gut funktionieren. Die anderen aber werden noch weiter zurückfallen.
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Robert Kappel ist emeritierter Präsident und Senior Research Fellow des GIGA German Institute für Global and Area Studies in Hamburg. Der Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit liegt auf der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas, der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und der Verbindung lokaler Wertschöpfungsketten mit globalen Finanz- und Warenströmen.