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For a different development policy!

Beitrag vom 06.07.2017

Weltwoche, Zürich

Good News aus Afrika

Der schwarze Kontinent hat dasselbe Potenzial wie Asien. Man muss nur endlich damit aufhören, die Afrikaner als unmündige Hilfsempfänger zu behandeln.

Von Volker Seitz

Der kenianische Schriftsteller Meja Mwangi schreibt in seinem gerade auf deutsch erschienenen Buch „Warten auf Tusker“: „Kibogoyo hatte zu oft erlebt, wie viele Hilfsgelder in fehlgeplanten Projekten versickerten, die besser nie das Licht der Welt erblickt hätten. Er hatte erlebt, mit wie viel Trara ähnliche Projekte aus der Taufe gehoben worden waren, dann dahinsiechten und schliesslich starben, noch bevor jemand überhaupt begreifen konnte, für wen oder was die Projekte eigentlich gedacht waren. Fehlschläge waren konsequenter Bestandteil von durch Geberländer finanzierten Projekten und zuweilen sogar beabsichtigt“.

Ich würde Meja Mwenga gerne widersprechen, aber das Armenhaus Afrika ist seit 50 Jahren ein Versuchslabor der Betreuungsindustrie. Noch immer werden in Afrika die Ziele der Entwicklungshilfe meist von den Gebern gesetzt und die Afrikaner bleiben Zuschauer. Viele Afrikaner sehen mittlerweile westliche „Hilfe“ als militanten Egoismus.

Finanzielle Hilfen im Rahmen der Entwicklungshilfe können nur greifen, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Es bedarf einer verlässlichen Regierungsführung, die nicht korrupt ist, die Zusagen einhält, die im Rohstoffsektor transparent ist, bei der es keine illegalen Finanzflüsse gibt.
Afrikanische Intellektuelle wie Themba Sono, Wole Soyinka, Andrew Mwemba oder George Ayittey sind überzeugt, dass Wohlstand nicht durch milde Gaben entsteht, sondern durch unternehmerische Kreativität, Arbeit, Innovation – und durch gute staatliche Rahmenbedingungen.

„Gut gemeint“ ist bekanntlich meist das Gegenteil von gut gemacht. Die Betroffenen werden selbst nicht gefragt, wie sie zur Entwicklungshilfe stehen und was ihnen ihrer Meinung nach helfen könnte. Afrikaner als Mündel zu betrachten ist die unausgesprochene Geschäftsgrundlage der allermeisten „Projekte“. Einzelne Hilfsprojekte mögen sinnvoll sein. Aber Projekte ersetzen keine Strukturen.

Die Liste der Kritiker klassischer Entwicklungshilfe ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. So schrieb die Journalistin Andrea Böhm, die früher einmal für die linke „taz“ arbeitete, in der Zeit: „Warum ist es für die Bonos und Madonnas – und damit auch für die westliche Öffentlichkeit – immer noch so verdammt schwer, selbständig handelnde Menschen in afrikanischen Ländern zur Kenntnis zu nehmen? Es geht ja nicht darum, deren oft existenzielle Probleme zu leugnen. Es geht darum, dass dortige Akteure sehr wohl in der Lage sind, diese Probleme selbst darzulegen.“

Eine erfolgreiche Entwicklung ist das Ergebnis von Eigenverantwortung. Man weiss inzwischen, dass die Welt nur wenig tun kann, diese von aussen zu beeinflussen. „Hilfe ist wie Erdöl, sie erlaubt mächtigen Eliten, öffentliche Einnahmen zu veruntreuen“, schrieb der Ökonom Paul Collier von der Universität Oxford. Entwicklungsökonom Axel Dreher (Universität Heidelberg) fordert realistische und konkrete Ziele: „Man könnte sich zum Beispiel vornehmen, Malaria auszurotten. Daran könnte man sich messen lassen. Das wäre mehr als Symbolpolitik.“

Ein Thema ist aus der Diskussion völlig verschwunden, ja wird geradezu tabuisiert: das Bevölkerungswachstum. Afrikanische Regierungen müssen zu einer realistischen Bevölkerungspolitik gedrängt werden, indem man Hilfsgelder an entsprechende Zusagen koppelt. Sonst droht noch mehr Menschen ein Leben in Armut. Allein in Nigeria werden jedes Jahr mehr Kinder geboren als in der gesamten EU. Kein Arbeitsmarkt der Welt kann solche Mengen auffangen.

Mit dem soeben vorgelegten deutschen „Marshallplan“ freilich wird Tatkraft nur simuliert: In den weitaus meisten Ländern Afrikas fehlen sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für solch ein Programm. Die „Compact with Africa“ (CWA)-Initiative zur Förderung von privaten Investitionen und Investitionen in Infrastruktur könnte Entwicklungsprozesse unterstützen. Aber die sind nur erfolgreich, wenn länderspezifische Entwicklungsstrategien entwickelt und Investitionen in Bildung integraler Bestandteil der Vereinbarungen werden.

In Asien war die Armut einst noch viel größer als in Afrika. Aber dort haben sich die Menschen mit Ehrgeiz aus ihr herausgearbeitet. Das ist auch in Afrika möglich. Der Kontinent ist reich an Ressourcen und Bodenschätzen. Afrika muss sich, wie Asien und Lateinamerika, sein Leben selbst verdienen, durch Produktion von Gütern, die auf dem Weltmarkt verkauft werden können. Das können die Länder Afrikas mit ihren kreativen, gewitzten, überaus sprachbegabten und lebensbejahenden Bevölkerungen durchaus bewerkstelligen. Innovative und zukunftsweisende Start-ups, die auch Arbeitsplätze schaffen, gibt es vor allem in Kenia, Nigeria, Senegal, Ghana, Ruanda und Südafrika.?
Afrika träumt von einer Entwicklung wie die erfolgreichen „Tigerstaaten“ Asiens. Sie haben meist ohne Hilfe gleichzeitig in Bildung und in einfache Arbeitsplätze investiert. So fanden viele junge Menschen einfache Jobs. Da wurden T-Shirts genäht, Elektrogeräte oder Schuhe gefertigt. Durch bessere Bildung und Familienplanung gab es später kleinere und gut ausgebildete Jahrgänge. Afrika hingegen liefert immer noch vor allem billige Rohstoffe an den Rest der Welt. Selbst die sogenannten „traditionellen afrikanischen“ Stoffe stammen vorwiegend aus Asien.

Der innerafrikanische Handel ist gering. „Die Fragmentierung des afrikanischen Marktes schreckt Investoren ab und bremst das Wachstum. Der grosse Standortvorteil, billige Arbeitskräfte, wird nicht genutzt“, sagt die Ökonomin Tapiwa Mhute vom Capacity Africa Institute (CAI) in Pretoria. Es gibt enorme Mängel bei Bildung, Energie, Infrastruktur, und die hohen Geburtenzahlen gefährden - wie schon gesagt - ohnehin jede Entwicklung.

Entwicklungshilfe soll die Menschen zur Selbsthilfe befähigen und weder Eigenverantwortung noch Eigenanstrengung ersetzen. Das Prinzip sieht vor, dass die Hilfe nur in einem begrenzten zeitlichen Umfang erfolgen darf. Sie ist nur dann erfolgreich, wenn die Helfer sich so bald wie möglich zurückziehen können.

Seit Jahren eilen wir Menschen zur Hilfe, die selbst helfen könnten. Dadurch wird das Gegenteil dessen bewirkt, was beabsichtigt ist: Abhängigkeit von Hilfe statt Unabhängigkeit. Es wird oft gegen das Prinzip verstoßen, externe Fachkräfte nur dann einzusetzen, wenn es die benötigten Praktiker im betreffenden Land nicht gibt. Helfende Agenturen, private oder staatliche, dürfen keine Aufgaben übernehmen, die vom Entwicklungsland selbst erfüllt werden können.

Erfreuliches aus Ruanda

Ruanda erhält wie viele andere afrikanische Staaten Budgethilfe der internationalen Gebergemeinschaft. Im Fiskaljahr 2016/17 sind das etwa vierzig Prozent des nationalen Jahreshaushalts. Aber Ruandas Regierung ist bekannt für verantwortliche Mittelverwendung, Wirtschaftsreformen und Armutsbekämpfung.

Das Land ist ein rarer Lichtblick und Vorzeigebeispiel in Afrika. Gute Regierungsführung hat sich zum Nutzen der Bevölkerung ausgezahlt. Die Wirtschaft der jungen Nation boomt und die Lebenserwartung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt. Der Anteil der Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze lebt, konnte in fünf Jahren um zwölf Prozentpunkte auf 45 Prozent gesenkt werden. Ruanda hat eine Einschulungsrate von nahezu 100 Prozent. Für Ruander gibt es keinen Anreiz in unsichere Boote Richtung Europa zu steigen.

Ein Vorbild für gelungene Zusammenarbeit sind des Senior Expert Service (SES), in dem sich pensionierte Fach- und Führungskräfte zusammengeschlossen haben, die ehrenamtlich tätig werden. Ich habe in meinem beruflichen Leben im Niger, Benin, Kamerun und der Zentralafrikanischen Republik ihre hervorragende Arbeit kennengelernt. Dieser Dienst arbeitet seit 1983 und hat lokalen Partnern bei tausenden Projekten (vorrangig Berufsbildung, Gesundheitswesen, Wirtschaftsförderung und Landwirtschaft) Partnern geholfen. Die Betonung liegt auf Unterstützung. Die Initiative liegt anders als in der „Entwicklungshilfeindustrie“ bei den Afrikanern selbst. Hier wird nichts aufgedrängt, weil Mittel abfließen müssen. Mich hat besonders beeindruckt, dass die erfahrenen Experten sich engagiert mit ihrer Berufserfahrung in Projekte einbrachten – und sich dann nach Weitergabe ihres Fachwissen wieder überflüssig machten.

Es ist erstaunlich, dass diese ehrenamtlichen Helfer in der Öffentlichkeit wenig bekannt sind. Journalisten und sogar Diplomaten in Afrika konnten mir nur in Ausnahmefällen Einschätzungen von Projekten geben. Die waren dann aber alle sehr positiv. Ein ehemaliger Botschafter in Tansania schrieb mir gerade: „Es waren bescheidene und eher zurückhaltende Fachleute und ich ich kann mich nicht an einen einzigen Fall erinnern, bei dem es mit dem SES Probleme gegeben hat“.

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Volker Seitz war 17 Jahre als deutscher Botschafter in Afrika tätig. Sein Buch „Afrika wird armregiert oder: Wie man Afrika wirklich helfen kann“ erschien 2014 bei dtv in 7. überarbeiteter und erweiterter Auflage.