Beitrag vom 07.06.2017
FAZ
Kongo
„Die Rohstoffe sind für uns ein großes Unglück“
Gespräch mit François-Xavier Maroy Rusengo, Erzbischof von Bukavu in Kongo
Eure Eminenz, im Osten Kongos, dem Gebiet Ihrer Diözese, schwelt seit vielen Jahren ein Krieg um Bodenschätze. Was haben unsere Handys damit zu tun?
Es gibt viele wertvolle Rohstoffe in unserem Boden, Ende der neunziger Jahre wurde auch das Mineral Coltan gefunden. Seitdem besetzen verschiedene Rebellengruppen unser Land und vertreiben und tyrannisieren die Bevölkerung, um große Mengen der Erze abzubauen und zu verkaufen. Coltan, das man für technische Geräte wie Handys, Computer, Haushaltsgeräte, Flugzeuge und Raketen nutzen kann, ist sehr hitzeresistent, das macht es so interessant.
Können wir als Nutzer dieser Geräte etwas gegen die Gewalt in Kongo tun?
Vor allem die großen Unternehmen könnten etwas dagegen tun. Es ist eine Freude für uns, dass aus unserem Boden der Menschheit etwas Nützliches geschenkt wird. Aber dieser Fund ist allein ein Glück für die anderen Nationen, für uns ist er ein großes Unglück. In der langen Handelskette vom Schürfen in den Minen bis zum fertigen Produkt für den Konsumenten sollten alle Beteiligten etwas davon haben. Obwohl wir so reich an Rohstoffen sind, sind wir eines der ärmsten Länder der Welt.
Sind transparente, kontrollierte Handelswege denn überhaupt möglich?
Es ist eine Frage des politischen Willens. Wir verkaufen die Mineralien für einen Spottpreis, nur ein paar Meter weiter, jenseits der Grenze, verkaufen Zwischenhändler das Coltan für das Zehnfache. Aber wenn die Regierung noch nicht einmal das gesamte Territorium Kongos kontrollieren kann, gibt es natürlich keinen fairen Handel. Wir haben neun Nachbarländer – deshalb brauchen wir dringend geschützte Grenzen, über die die Rebellen nicht ausführen können, was sie wollen.
Wer sind die Rebellen?
Es gibt über vierzig verschiedene Gruppen – sie sind alle afrikanisch, sie sind alle schwarz, aber darüber hinaus ist es schwierig, sie genau zu benennen. Will man ihre Ursprünge verstehen, muss man zum Völkermord 1994 in Ruanda zurückgehen. Viele der Hutu-Kämpfer, die am Genozid beteiligt waren, sind nach Kongo geflohen und haben aus den Wäldern heraus Ziele in Ruanda und in Kongo angegriffen. Das hat wiederum militärische Reaktionen der ruandischen Armee und von ihnen unterstützten Rebellen hervorgerufen. Seitdem gab es immer wieder Revolten.
Die Vereinten Nationen nennen Kongo „die Welthauptstadt sexueller Gewalt“. Sind Frauen die Hauptopfer des Krieges?
In gewisser Weise ja. Die Banden kommen in ein Dorf, morden und rauben es aus. Die Jungs werden als Kindersoldaten zwangsrekrutiert, die Frauen bringen sie in den Wald und machen sie zu Sexsklavinnen und Goldschürferinnen. Dort werden sie oft mit HIV infiziert, haben innere Verletzungen von den Vergewaltigungen, werden schwanger und sind schwer traumatisiert. Auch Jungs werden vergewaltigt. Für sie ist es noch schwerer, darüber zu sprechen. Es ist ein Krieg im Krieg: Indem die Frauen gebrochen werden, zerstört man die ganze Familie, die Gemeinschaft, das Dorf.
Was kann die Kirche tun?
Mit der Hilfe von Missio haben wir Traumazentren eingerichtet, in denen wir diese Frauen begleiten, wenn sie aus der Gefangenschaft befreit werden. Für die Reintegration in die Gemeinschaft ist es wichtig, dass sie eine Aufgabe haben. Deshalb geben wir ihnen beispielsweise Öl, das sie im Dorf verkaufen können. Die geächteten Kinder, die aus Vergewaltigungen entstanden sind, wollen wir durch Bildung schützen und sie zu nützlichen Gemeindemitgliedern erziehen. Wir versuchen auch, wieder ihre Freude am Leben zu wecken, indem wir etwa Fußballspiele zwischen den verschiedenen Dörfern organisieren. Da sieht man die jungen, traurigen Gesichter plötzlich lachen.
Wie können Sie einen Mann davon überzeugen, seine jahrelang verschleppte Frau wieder anzunehmen?
Es ist ein langer Prozess. In Kaniola gibt es viele Frauen, die aus ihrer Gefangenschaft mit fremden Kindern auf dem Arm in das Dorf zurückgekehrt sind. Einige Männer sind so verzweifelt und überfordert, dass sie lieber fliehen. Ein Mann musste mit ansehen, wie seine Verlobte vergewaltigt wurde. Als sie wieder zurückkam, wollte er sie nicht mehr sehen. Doch wir haben viel mit beiden geredet, und jetzt sind sie verheiratet.
Sie sprechen von Kaniola. Dort gab es 2007 ein verheerendes Massaker, obwohl kongolesische und UN-Soldaten nicht weit waren. Wieso haben sie nicht eingegriffen?
Da sie mitten in der Nacht und relativ leise – mit Messern und ohne Gewehrschüsse – das Massaker anrichteten, war es schwierig für die UN-Soldaten, direkt präsent zu sein. Aber man hätte nicht zulassen dürfen, dass die Rebellen seelenruhig den Wald verlassen und sich auf den Weg in die Mitte des Dorfes machen. Sie haben die Leute Haus für Haus massakriert. Als die UN-Soldaten am nächsten Morgen kamen, waren die Banditen längst zurück im Wald – mit den Frauen des Dorfes als Gefangenen.
Ist die Mission der Vereinten Nationen, die es seit 1999 gibt, also überflüssig?
Nein, die UN hat es geschafft, alle Parteien an einen Tisch zu bringen, und so den Weg frei gemacht zu einer neuen Verfassung und den ersten demokratischen Wahlen 2006. Doch leider ist ihr Mandat auf Beobachtung begrenzt. Kongo ist kein armes Land, wir sollten das Geld haben für die Aufstellung einer eigenen guten Armee mit einer guten Ausrüstung.
Fehlt es der kongolesischen Armee nur an Waffen oder auch an Moral?
An beidem. Ohne gute Waffen ist die Motivation nicht sehr hoch, weil die Soldaten Angst haben. Niemand nimmt sich ihrer Sorgen an. Außerdem kriegen die Soldaten nicht regelmäßig ihren Lohn. Deshalb nutzen die Soldaten ihre Position auch immer wieder, um sich zu bereichern; sie stehlen und nehmen willkürlich Leute fest. Wenn die Anführer keine Disziplin beweisen, zeigen die einfachen Soldaten sie auch nicht.
Sie haben schon mehrere Attentate überlebt. Warum sind Sie ein Ziel für die Rebellen?
Ich bin eine laute Stimme, die den Rebellen gar nicht gefallen kann. Die Diözese hat von Anfang an dem Terror und dem Krieg getrotzt. Und sie hat sich von Anfang an jeglicher Komplizenschaft mit den Banditen widersetzt. Drei meiner Vorgänger sind tot. Denn wir sind diejenigen, die die Nächstenliebe und den Frieden verteidigen. Die Rebellen aber wollen nicht, dass wir in Frieden leben. Denn das widerspricht ihren Interessen.
Die Fragen stellte Livia Gerster.
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François-Xavier Maroy Rusengo ist seit 2006 Erzbischof von Bukavu im Osten Kongos. Er spricht momentan auf verschiedenen Veranstaltungen in Deutschland und Belgien über die Verbindung zwischen Smartphones und dem Krieg in seiner Heimat, unter anderem auf Einladung des katholischen Hilfswerks Missio und des Kirchentages.