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Beitrag vom 26.02.2017

FAS

Der Wassermangel in Ostafrika ist akut – und das wird nicht das einzige Problem bleiben. Von

Sonja Kastilan

Überall entlang der Straßen liegen Kadaver: Ziegen, Kühe, Kamele. Von ihren Herden sind vielen somalischen Nomaden oft nur wenige Tiere geblieben, wenn überhaupt. „Ihnen fehlt somit die Lebensgrundlage“, berichten Martina Dase und Anna Blässer am Telefon, Mitarbeiterinnen der internationalen Organisation „Save the Children“, die vergangene Woche in dem autonomen Teilstaat Puntland unterwegs waren. Manch ein Viehzüchter sei derart verzweifelt gewesen, dass er sich das Leben genommen habe, das passiere normalerweise nie. Und solche, durch mehrere Quellen bestätigte Fälle sind besonders erschreckend, weil sie nicht nur tragische Einzelschicksale schildern, sondern zeigen, dass die Menschen hier allmählich jegliche Hoffnung verlieren.

Die anhaltende Dürre zermürbt die Bewohner dieser Region ebenso wie jene in den ausgedorrten Teilen Nigerias, des Jemens und Äthiopiens; in Kenia hat die Regierung inzwischen den Notstand ausgerufen, und die Vereinten Nationen erklärten für Teile Südsudans eine Hungersnot: Rund hunderttausend Menschen sind unmittelbar vom Verhungern bedroht. In dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land wirken sich die Folgen der Trockenheit bereits dramatisch aus, und man geht davon aus, dass fünf Millionen Nahrungsmittelhilfe benötigen.

Das Horn von Afrika und weitere Teile Ostafrikas werden wiederholt zum Krisengebiet, denn die lebenswichtigen Regenzeiten brachten in den vergangenen fünf Jahren nur wenig Wasser. Verantwortlich ist dafür wahrscheinlich eine Laune der Natur – und keine Folge des Wetterphänomens El Niño, wie häufig kolportiert wird. „Dass Regen in der betroffenen Region ausbleibt, kann immer wieder passieren. Auch ohne El Niño“, sagt der Kieler Klimaforscher Mojib Latif. Zudem würde ein starker El Niño, wie Anfang 2016, eher für Starkregen am Horn von Afrika sorgen; für Dürre sorgt das entgegengesetzte Wettermuster, La Niña. Auch dass eine Warmwasseranomalie im Indischen Ozean die Dürre auslöste, hält Latif für unwahrscheinlich. Grundsätzlich unterliegen die beiden Regenzeiten innerhalb eines Jahres in Ostafrika großen Schwankungen. Warm ist es immer, nur selten nass. Jetzt befürchten Klimaforscher, dass die Hauptregenzeit, die im März/April beginnt und bis Mai/Juni dauert, wiederholt wenig bis gar keinen Regen bringt. So wird diese Saison kaum retten können, was durch ausbleibende Ernten bereits verloren ist. Es mangelt an Getreide und anderen Feldfrüchten, Milch, Fleisch – an Wasser.
Für mehr als zwanzig Millionen Menschen könnten die Nahrungsmittel fehlen oder knapp werden. Aus diesem Grund forderte nun auch UN-Generalsekretär António Guterres am vergangenen Mittwoch die internationale Gemeinschaft zu einer „strong and urgent action“ auf: Zeit zu handeln, um den zerbrechlichen Staaten zu helfen, die Katastrophe noch abzuwenden. Eine Tragödie sei es bereits. Guterres verwies unter anderem auf die alarmierenden Angaben von Unicef, dass 2017 in diesen Gebieten 1,4 Millionen Kinder einer schweren akuten Mangelernährung zum Opfer fallen könnten. Es besteht die Gefahr, dass sich die Hungersnot von 2011 nicht nur wiederholt, sondern sich die Krise sogar verschärft. Damals starben laut Schätzungen 250 000 Menschen in Somalia, und allein dort sollen jetzt mehr als sechs Millionen humanitäre Hilfe brauchen, rund eine Million gelten als akut unter- oder mangelernährt. Bei rund einem Drittel davon handelt es sich um Kinder unter fünf Jahren, und mehr als 50 000 droht Lebensgefahr.

Was diese Zahlen in der Realität bedeuten, darüber sprechen Martina Dase und Anna Blässer und schildern Begegnungen mit besorgten Dorfältesten, entkräfteten, oft mutlosen Männern, Frauen und Kindern, deren dünne Ärmchen den Grad ihrer Auszehrung widerspiegeln. Dase und Blässer erlebten bei ihren Besuchen in Flüchtlingslagern und in einem Krankenhaus, das ihre Organisation half in der Regionalhauptstadt Gawore aufzubauen, wie der Andrang und die Verzweiflung zunehmen. Außerdem kommen derzeit mehr geschwächte Mütter mit ihren Babys an, um diese behandeln zu lassen. In einer Spezialabteilung versucht man dann, die unterernährten Kleinkinder „stufenweise“ zu stabilisieren, sie therapeutisch mit Flüssigkeit und Nährstoffen zu versorgen. Zur Not per Transfusion. Nicht jedes schafft es, für manche kommt die Hilfe zu spät: Das mussten die beiden jungen Frauen aus Deutschland bitter erfahren.

Die Kinderrechtsorganisation „Save the Children“ kämpft seit längerem auch gegen Mangelernährung und macht unter anderem mit einer aktuellen Kampagne auf dieses Problem aufmerksam sowie auf dessen Folgen und Hintergründe, etwa soziale Missstände oder Diskriminierung ethnischer Gruppen. Abgesehen von einer gesicherten Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser, sind eben auch Bildung und ein Gesundheitssystem entscheidend, um die eigentlichen Ursachen anzugehen. Propagiert wird zudem der Ansatz, gerade die ersten tausend Tage – eine besonders kritische Phase – im Leben eines Kindes zu sichern, damit es sich möglichst gut körperlich und geistig entwickeln kann als Voraussetzung für alle weiteren Schritte. Und man muss nicht einmal über epigenetische Faktoren nachdenken, die ein Kind bereits während der Schwangerschaft auf spezielle Weise dauerhaft prägen, um zu verstehen, warum eine ausreichende Ernährung für Mädchen und Frauen eine besondere Rolle spielt. Dass Strategien sowie politische Lösungen für solche Probleme gefunden werden können, davon ist man bei der Organisation überzeugt und nennt die Veränderungen in Ländern wie Peru, Honduras und Liberia beispielhaft, obwohl auch dort oft noch eklatante Ungleichheit herrscht, etwa zwischen Stadt und Land.

Offiziellen Schätzungen zufolge leiden weltweit mehr als achtzehn Millionen Kinder akut unter starker Mangelernährung, jährlich sterben rund 3,1 Millionen einen Hungertod. Ärzte und Epidemiologen warnen außerdem vor einem „versteckten Hunger“, wenn wichtige Nährstoffe wie Eisen, Vitamin A, Jod und Zink oder auch B-Vitamine und Calcium fehlen, denn solche Mängel betreffen Milliarden von Menschen. Diese Mineralien und Vitamine zusätzlich an die Bevölkerung zu verteilen ist dann eine von mehreren Möglichkeiten, und während sich die Situation zwischen 1995 und 2011 in Ostasien und in der Pazifik-Region laut dem im Dezember 2015 in PLoS One veröffentlichten „Hidden Hunger Index“ verbesserte, verschlechterte sich die Lage in Afrika. Dabei können die Mängel bei Frauen zu Blutarmut führen, Schwangerschaften erschweren, das Geburtsgewicht verringern, die Sterblichkeit von Neugeborenen erhöhen – und eben das Wachstum von Kindern verzögern: Rund 159 Millionen sind davon betroffen; 52 Millionen sind für ihre Größe zu leicht und gelten als entwicklungsverzögert.

Ein unterernährtes Kind wird nicht nur in seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten zurückbleiben – was sich noch in späteren Jahren auswirkt, sollte es überleben –, sondern ist einem größeren Infektions- und Sterblichkeitsrisiko ausgesetzt: Weder Haut noch Darm können ihre Funktion als Barriere erfüllen, und die Abwehrkräfte sind geschwächt. Seuchen verbreiten sich leichter. Studien zeigen zudem, dass sich die Darmflora in ihrer Zusammensetzung verändert, was die Aufnahme von Nährstoffen beeinflusst und sogar die weitere Entwicklung. Ein Kind über eine kurze Zeitspanne mit Präparaten wieder aufzupäppeln, damit allein ist es offenbar nicht getan.

Noch ist die Hungerkatastrophe in Ostafrika ein Schreckensszenario, das sich abwenden lässt, wenn man die Lehren von 2011 berücksichtigt. „Im Sommer könnte es zu spät sein, man muss jetzt handeln“, drängt Martina Dase von „Save the Children“ und berichtet von den Vorbereitungen in Somalia: „Unsere Mitarbeiter hier sind gut aufgestellt und haben zahlreiche Helfer rekrutiert. Sobald die entsprechenden Gelder bewilligt sind, könnten wir innerhalb von wenigen Tagen loslegen, weil die nötigen Infrastrukturen bestehen.“ Als kleine Organisation sei man immerhin schneller, agiler als die UN, man könne sofort helfen. Und schon jetzt werden Lastwagen mit Wasser in entlegene Gebiete geschickt, Schulen versorgt und Einkaufsmarken für Lebensmittel via Handy verteilt. Mobile Medizinstationen reisen durchs Land.