Beitrag vom 03.02.2017
Die Welt
Rückführungen nach Afrika
Der gestörte Traum vom europäischen Paradies
Von Alfred Hackensberger, Tanger
180.000 Menschen sind 2016 von Libyen nach Italien gekommen, Tausende starben auf See. Die Zustände in den Flüchtlingslagern sind katastrophal. Die EU Staats- und Regierungschefs einigten sich nun auf eine Lösung.
Die EU will Partnerschaften mit afrikanischen Staaten, um Abschiebungen zu erleichtern. Doch Rückkehrer sind dort nicht erwünscht. Denn sie zerstören ein von der Politik sorgsam gepflegtes Bild von Europa.
Irgendwo in einer afrikanischen Hauptstadt setzt eine Linienmaschine der Lufthansa pünktlich auf der Landebahn auf. Als der Airbus langsam zum Flugsteig rollt, wird er bereits von unzähligen Fernsehkameras und Fotografen von der Aussichtsterrasse aus ins Visier genommen. In der Ankunftshalle wartet eine noch größere Menge an Medienvertretern auf die über 200 Passagiere. Sie sind die ersten von mehreren Tausend Flüchtlingen des Landes, die aus Deutschland abgeschoben wurden. In den nächsten Tagen und Wochen sollen noch weitere voll besetzte Maschinen folgen.
So dürfte wohl der Idealfall aussehen, wie sich die Bundesregierung eine schnelle und effektive Rückführung von ausreisepflichtigen Asylbewerbern vorstellt. Denn die Zahl der 25.000, die deutsche Behörden letztes Jahr abschoben, ist „immer noch zu niedrig“, wie Innenminister Thomas de Maizière (CDU) befindet. Aber, wie jeder weiß, Wünsche gehen selten in Erfüllung. Die Realität ist eine andere, und massenhafte Abschiebungen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums wird es kaum geben. Selbst Länder, die mit der Europäischen Union über die Rücknahme von Flüchtlingen eine Vereinbarung getroffen haben, wollen diese möglichst ohne großes Aufsehen ausgeführt haben. Oder, wie im Falle Malis, man will plötzlich nichts mehr davon wissen.
„Rückkehrer“ sind in afrikanischen Staaten nicht populär. Sie stören den Traum vom europäischen Paradies, die Hoffnung auf ein besseres Leben. Millionen von Menschen in Nordafrika und der Subsahara-Zone glauben daran, und gerade Deutschland gilt als Schlaraffenland jenseits des Mittelmeers. Hunderttausende riskieren auf dem Weg dorthin ihr Leben. Keiner möchte hören: Die Hoffnung ist umsonst und Scheitern wahrscheinlicher als Erfolg.
Rückkehrer – ein Eingeständnis des Versagens
Für die afrikanischen Regierungen sind die Zurückgekommenen gleichbedeutend mit einem Eingeständnis des eigenen Versagens. Denn die Politiker können weder ihnen noch dem Rest der Bevölkerung eine Perspektive bieten. Noch entscheidender: Rückkehrer schicken kein Geld nach Hause, wie das Millionen von Migranten in Europa tun. Für die Menschen der ärmsten Länder Afrikas sichern die monatlichen Überweisungen ihr Überleben. Für die Regierungen sind sie ein Garant für Stabilität.
Fehlende wirtschaftliche Perspektiven sind die Hauptfluchtursache in Afrika
„In Ländern wie Gambia oder Mali sind die Devisen ein Motor der Entwicklung“, sagt Helena Maleno Garzón, eine Mitbegründerin der seit 2002 in Marokko aktiven Flüchtlingshilfe Caminando Fronteras. Für die Migrationsforscherin kommt es daher nicht überraschend, dass die Regierung von Mali, kurz nach dem Rücknahmeabkommen mit der EU, die Unterzeichnung geleugnet habe. „Denn das Geld aus Europa hält das Land am Laufen.“
Im Oktober war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Mali gereist. Zwei Monate später kam der holländische Außenminister. Im Namen der EU wurde mit Mali eine Vereinbarung unterzeichnet. Demnach verpflichtet sich das Land, bei der Identifizierung seiner Bürger behilflich zu sein, die sich illegal in Europa aufhalten, um sie dann auch zurückzunehmen. Laut Angaben von Frontex sind seit 2015 über 10.000 Malier, hauptsächlich über Libyen und Italien, in die EU eingereist. Der Vertrag war die erste offizielle Vereinbarung dieser Art mit einem afrikanischen Staat.
„Dafür hat Mali 145,1 Millionen Euro erhalten“, meint Garzón. „Das Geld ist offiziell für die Einführung biometrischer Pässe und den Kampf gegen Schmugglernetzwerke gedacht.“ Aber man wisse nie, wo das Geld tatsächlich lande, fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu.
Lange Länder-Liste für potenzielle Partnerschaften
Derzeit würde die EU mit Nigeria Verhandlungen über ein Abkommen führen, erzählt die Migrationsexpertin weiter. „Wobei dort die Korruption noch schlimmer ist.“ Nigeria steht auf dem Index von Transparency International auf Platz 136 von insgesamt 168 Ländern. Aus Nigeria stammen, neben Eritrea, die meisten der afrikanischen Flüchtlinge in Europa, nämlich knapp 40.000. Drei weitere Länder – Niger, Senegal und Äthiopien – stehen als nächste auf der Liste für Partnerschaften der EU. Finanziert werden diese Abkommen, wie schon bei Mali, aus dem Emergency Trust Fund, der mit 1,8 Milliarden Euro bestückt ist. Er wurde im November 2015 auf Malta bei einem Gipfeltreffen von Führern der EU und Afrikas beschlossen.