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Beitrag vom 17.12.2016

FAZ

Wie die Ölkrise Afrikas Wirtschaft trifft

Einst boomte Nigeria, jetzt steckt es in der Rezession, und im Staatshaushalt klafft ein riesiges Loch. Auch Angola ist abgestürzt. Nun rächt sich, dass viele Länder einseitig auf Rohstoffe und die Nachfrage aus China gesetzt haben.

Von Thomas Scheen

NAIROBI, 16. Dezember. Das erste prominente Opfer der Rezession in Nigeria ist kein zufälliges: Goodluck Jonathan, der im vergangenen Jahr abgewählte ehemalige Präsident des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas mit rund 180 Millionen Einwohnern, muss bis auf weiteres auf seine Rente verzichten. Was die Regierung von Präsident Muhammadu Buhari mit diesem ungewöhnlichen Schritt bezweckt, liegt auf der Hand. Buhari hat die gegenwärtige Wirtschaftskrise nur geerbt, und er macht öffentlich, wer seiner Meinung nach dafür verantwortlich ist.

Gerade mal drei Jahre ist es her, da galten die afrikanischen Volkswirtschaften noch als Wachstumswunder mit teils zweistelligen Wachstumsraten. Geschuldet war das dem scheinbar unersättlichen Hunger Chinas nach Rohstoffen. Angolas Wirtschaft wuchs über ein halbes Jahrzehnt um meist 8 Prozent jährlich. Doch seit die chinesische Wirtschaft schwächer läuft und nachdem der Rohölpreis seit 2014 abgestürzt ist, mehren sich in Afrika die Hiobsbotschaften.

Besonders hart trifft es die Rohölproduzenten. Nigeria, der größte Förderer Afrikas, steckt mitten in einer Rezession. Das Bruttowirtschaftsprodukt ist nach Angaben des statistischen Amtes um 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen. Die Inflationsrate der Landeswährung Naira liegt bei 18 Prozent, und das Land verhandelt mit der Weltbank über einen Kredit von 2,5 Milliarden Dollar, um seine Kredite bedienen zu können. Im Norden Nigerias tobt ein Krieg gegen die islamistischen Terroristen von Boko Haram, der Unsummen für die Aufrüstung der nigerianischen Armee verschlingt. Im Süden sabotieren sogenannte „Rebellen“ Einrichtungen der Ölindustrie und drosseln damit die Produktion. Im vergangenen Jahr wurden im Niger-Delta noch 2,17 Millionen Fass Öl am Tag gefördert. Inzwischen sind es nur noch 1,63 Millionen Fass.

Dabei sind die Rohölerlöse für 70 Prozent der Staatseinnahmen und 90 Prozent der Deviseneinnahmen verantwortlich. Als der Ölpreis noch bei 100 Dollar je Fass und mehr stand, wurde in Nigeria allen Ernstes über ein Raumfahrtprogramm und die Produktion von Satelliten diskutiert. Als der Preis unter 50 Dollar fiel, stellte die Regierung Jonathan immer noch einen kalkulatorischen Wert von 70 Dollar in den Haushalt ein. Reserven wurden nicht gebildet. Die Konsequenz ist ein Haushaltsloch von 12 Milliarden Dollar, das Jonathans Nachfolger Buhari nun stopfen soll.

In Angola, dem zweitgrößten Förderland des Kontinents, sieht die Situation ähnlich aus. Die Ölförderung steuert rund 40 Prozent zum angolanischen Bruttosozialprodukt bei, bringt 70 Prozent der staatlichen Einnahmen und 95 Prozent der Deviseneinnahmen. 1,8 Millionen Fass werden täglich in den Tiefwasservorkommen vor der Küste gefördert und nahezu ausschließlich nach China geliefert. Als der Ölpreis hoch war, wurde das viele Geld in neue Straßen investiert und in eine Runderneuerung der heruntergekommenen Hauptstadt Luanda. Inzwischen aber notiert der Preis für ein Fass Rohöl meist um die 50 Dollar, erst Mitte Dezember ist er überraschend auf 55 Dollar gestiegen. Weil die angolanische Regierung nie in eine Diversifikation ihrer Industrie investiert hat, steht das Land still. Die Krise ist allgegenwärtig: Auf den Baustellen in Luanda ruhen die Arbeiten, in den Straßen türmt sich der Müll, seit das städtische Budget zusammengestrichen wurde. In den Supermärkten werden die Preise häufig nach oben korrigiert, weil die Landeswährung Kwanza in einem Jahr 40 Prozent gegenüber dem Dollar verloren hat und die Inflation bei 20 Prozent liegt.

Im Juni musste Angolas Präsident Eduardo dos Santos, ein in der Sowjetunion ausgebildeter Erdölingenieur, in einer ungewöhnlich offenen Erklärung einräumen, dass der staatliche Erdölkonzern Sonangol dem Finanzministerium seit Januar dieses Jahres nicht einen einzigen Dollar überwiesen hat. Die stark gesunkenen Einnahmen aus der Ölförderung werden inzwischen komplett von den Verlusten anderer Geschäftsfelder und den extrem hohen Personalkosten aufgefressen. Dos Santos zog die Notbremse und ernannte seine 43 Jahre alte Tochter Isabel dos Santos zur neuen Chefin des Erdölkonzerns.

Sie ist die erste weibliche Milliardärin Afrikas und hat ihr Vermögen vor allem mit Investitionen in der Telekommunikationsindustrie gemacht. Isabel dos Santos erzählt gerne, ihr Aufstieg habe nichts mit ihrem Vater zu tun, aber das glaubt ihr in Angola niemand. Ihre Fähigkeiten als Geschäftsfrau sind gleichwohl unbestritten. Ihre neue Aufgabe erklärt sie folgendermaßen: „Ich soll mehr Öl fördern für weniger Geld.“

Doch auch in den Ländern, die nicht über Rohöl, sondern über Eisenerz, Kupfer und Kobalt verfügen, schlägt die gesunkene Nachfrage aus China durch. In Sambia und der kongolesischen Südprovinz Katanga, die beide große Kupfervorkommen haben, wurden viele Bergwerke stillgelegt. In Südafrika stehen etliche Platinminen zum Verkauf, weil sich die Produktion nicht mehr lohnt. Nun rächt sich die Einseitigkeit, mit der Afrika in den vergangenen Jahren voll und ganz auf China als Handelspartner gesetzt hat. Auf mehr als 200 Milliarden Dollar jährlich belief sich das Handelsvolumen zwischenzeitlich, und die Erfolgsgeschichte schien kein Ende zu nehmen.

Jetzt herrscht Katzenjammer, wenngleich Peking beim letzten afrikanisch-chinesischen Wirtschaftskongress im Dezember 2015 weitere 60 Milliarden Dollar an Direktinvestitionen und Krediten zugesagt hat. Die Weltbank und der IWF prognostizieren dem Kontinent für 2016 ein durchschnittliches Wachstum von bestenfalls etwas über 4 Prozent und damit knapp 4 Prozentpunkte weniger als auf dem Höhepunkt des Rohstoffbooms vor drei Jahren. In Europa wären 4 Prozent Wachstum ein Boom, mit dem Politiker jede Wahl gewinnen würden. In Afrika ist das anders. Bei einem Bevölkerungswachstum von knapp 3 Prozent braucht der Kontinent ein Wirtschaftswachstum von mindestens 6 Prozent, schätzen Fachleute, um die Massenarmut wirksam zu bekämpfen und genügend Arbeitsplätze für die Millionen arbeitslosen jungen Leute zu schaffen.