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Beitrag vom 15.12.2016

Handelsblatt

Neuer Plan für Afrika

Die bisherige Entwicklungshilfe nach dem Gießkannen-Prinzip hat nicht viel gebracht. Der zuständige Minister Gerd Müller hat deshalb einen „Marshallplan“ entworfen: Neue Jobs sollen die Migration nach Europa stoppen. Im Mittelpunkt steht die Wirtschaft.

Donata Riedel

Entwicklungsminister Gerd Müller stellt einen einfachen Vergleich auf: Als Ghana und Südkorea in den 1960er-Jahren unabhängig wurden, hatte das afrikanische Land ein höheres Bruttoinlandsprodukt als das asiatische – und lag beim Wohlstandsindikator gleichauf mit Spanien. „Da stellt man sich schon die Frage: Was ist dort eigentlich die letzten 50 Jahre geschehen?“, fragt der CSU-Politiker, „in einem Land, das reich ist an Gold, Mineralien, guten Böden“. Bei richtigen politischen Rahmenbedingungen müsste Ghana eigentlich prosperieren, sagte Müller im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Die Frustration spürt nicht nur der Minister: Obwohl die reiche Welt nicht geizig ist und inzwischen jährlich 50 Milliarden Euro staatliche Entwicklungshilfe nach Afrika überweist, ist der ökonomische Fortschritt gering.

Der Misserfolg des Geldverteilens nach dem Gießkannen-Prinzip an einzelne Projekte auf dem Kontinent hat Müller jetzt zum Anlass genommen, die Entwicklungshilfe komplett umzubauen. „Marshallplan mit Afrika“ nennt er sein Konzept, dessen Entwurf dem Handelsblatt vorliegt. Der Name steht für die Größe des Ehrgeizes und – anders als beim US-Marshallplan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg – nicht für mehr Geld. Das oberste Ziel lautet: Effizienz.

Reformbereite Staaten auf klarem Demokratie-Kurs wie Ruanda sollen mehr aus dem deutschen Entwicklungshilfetopf bekommen. „Konditionierung“ ist das Schlüsselwort: Geld gibt es nur unter Bedingungen, die nachprüfbar umgesetzt werden. Die neue Regierung Ghanas wird sich mehr anstrengen müssen als ihre Vorgänger.

Vor allem: Afrikas Regierungen sollen eigene Reformprogramme entwickeln, Steuersysteme aufbauen und gegen Korruption vorgehen. Denn die illegalen Finanzströme lenken mit 50 Milliarden Dollar jährlich genauso viel Geld aus Afrika heraus, wie Entwicklungsgeld hineinfließt.

Der Zeitpunkt für den Politikwechsel ist günstig: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Afrika als ein Schwerpunktthema des G20-Gipfels im kommenden Jahr in Hamburg gesetzt. Auch Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) richtet den Blick nach Afrika. An diesem Donnerstag will er gemeinsam mit Müller eine enge Kooperation seiner Außenwirtschaftspolitik mit der Entwicklungspolitik präsentieren: Konkret sollen die Bundesgarantien für Exporte und Investitionen ausgeweitet werden, heißt es aus Gabriels Ministerium.

Die Hermes-Bürgschaften, die das Wirtschaftsministerium bereits 2014 für neun afrikanische Staaten, darunter Nigeria, Ghana, Tansania, Senegal und Ruanda, geöffnet hat, seien erst der Anfang gewesen: Der Bedarf afrikanischer Staaten für Investitionen ist enorm, sagte Gabriel dem Handelsblatt: „Wir wollen daher die Investitionsbedingungen weiter verbessern.“ Gemeinsam wollen beide Minister bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um Steuererleichterungen für deutsche Investoren in Afrika werben.

Die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 hat zudem die deutsche Wirtschaft bewogen, aktiver in Afrika zu werden, um Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen. Der Industrieverband BDI begrüßt Müllers Afrika-Plan. „Wir brauchen eine grundlegende Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit“, sagte BDI-Afrika-Experte Matthias Wachter dem Handelsblatt. Dass der Minister die Afrikaner stärker in die Pflicht nehmen will, sei richtig. Wachter fürchtet allerdings, dass von einem so langfristig und groß angelegten Plan so kurz vor der Bundestagswahl vermutlich nur wenig umgesetzt werden kann.

Aus der FDP war deshalb zu hören: „Müller ist am Ende seiner Amtszeit da angekommen, wo sein Vorgänger beim Start schon war.“ Tatsächlich war die Ausrichtung auf private Investitionen, harte Konditionen und Effizienz bereits erklärtes Ziel von Müllers Vorgänger Dirk Niebel (FDP). Jedoch zeigte die deutsche Wirtschaft 2010 wenig Interesse, und auch für die Kanzlerin hatte Afrika zu Beginn der Euro-Krise nicht gerade höchste Priorität.

Müller jedenfalls will jetzt gemeinsam mit multinationalen Entwicklungsbanken Fonds bilden, mit denen Währungsrisiken abgesichert und staatliche Entwicklungsgelder mit privatem Geld vervielfacht werden können. Bei den afrikanischen Partnern will Müller auf den Aufbau von Steuersystemen dringen. „Es ist nicht vermittelbar, weshalb die Steuerquote in den ärmsten Ländern unter 17 Prozent liegt, während sie in den Industriestaaten 35 Prozent beträgt“, heißt es im Marshallplan-Entwurf. Auch bei der Bildung setzt Müller auf Neuausrichtung: Anstatt arbeitslose Akademiker auszubilden, sollten ärmere Staaten besser die Handwerksausbildung fördern.

Erfolg, das ist auch Gabriel und Müller bewusst, kann die neue Afrika-Strategie der Bundesregierung nur haben, wenn andere mitziehen. Mit der EU, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien will man die Afrika-Programme koordinieren. Auch auf EU-Ebene ist der Zeitpunkt günstig. Die Kommission und die Afrikanische Union verhandeln bereits über neue Handelsabkommen, weil das geltende Cotonou-Abkommen im Jahr 2020 ausläuft.

Wie die EU den Marktzutritt für afrikanische Güter gestaltet, ist entscheidend für den Erfolg aller Hilfsbemühungen. Müller hegt erhebliche Zweifel an den neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, mit denen die EU afrikanischen Staaten Schutzzölle gewährt, während sie den Binnenmarkt für Afrikas Produkte öffnet. Zwar hat die EU Agrarexportsubventionen abgeschafft. Die flächendeckende Subvention der Landwirtschaft innerhalb der EU gibt es aber weiter. „Damit lassen wir den Afrikanern kaum eine Chance im direkten Wettbewerb“, so Müller. In der jetzigen Phase müssten die Europäer den Afrikanern Schutzmechanismen zugestehen, damit sie ihre Märkte entwickeln können.