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For a different development policy!

Beitrag vom 14.12.2016

ZDF heute.de

"Afrika braucht kein Geld"

http://www.heute.de/entwicklungskritiker-kurt-gerhardt-fordert-von-bund…

Afrika sei ein reicher Kontinent, sagt Kurt Gerhardt - und könnte viele seiner Probleme selber lösen.

Wie kann man verhindern, dass sich Afrikaner auf den Weg nach Europa machen? Die Bundesregierung setzt auf einen Marshallplan. Die EU setzt auf Migrationspartnerschaften - und zieht heute eine erste Bilanz. "Afrika braucht kein Geld", sagt Entwicklungshilfekritiker Kurt Gerhardt im heute.de-Interview.

heute.de: Die Bundesregierung plant einen Marshallplan nicht für, sondern mit Afrika zusammen, um den Ländern wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Sie sagen: "Bloß nicht". Warum?

Kurt Gerhardt: Ich bin dagegen, weil Afrika kein Geld braucht.

heute.de: Also alle Überweisungen sofort einstellen?

Gerhardt: Ja. Wir dürfen den Afrikanern sagen: Ihr lebt in einem reichen Kontinent, ihr vergeudet unglaublich viel Geld.

Viele eurer Regierungen ziehen euch das Geld aus der Tasche oder aus der Erde durch die Bodenschätze, deren Erlöse ja in hohem Maße veruntreut werden. Wenn man das Geld, auf das Afrika von sich aus Zugang hat, gut verwendete, dann könnten sehr, sehr viele Aufgaben von Afrika selbst gelöst werden. Woran es fehlt, ist nicht in erster Linie Geld, sondern es fehlt an einem klaren und entschlossenen Willen, Afrika wirtschaftlich weiter zu bringen und dafür alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen.
heute.de: Dieser Befund ist ja nicht ganz neu. Was soll die Bundesregierung denn anderes machen?
Gerhardt: Das ist eine viel schwierigere Frage. Ihr Ansatz ist ja richtig: Die meisten Menschen in Afrika sind Wirtschaftsflüchtlinge, weil ihnen das Leben wirtschaftlich nicht ergiebig genug ist. Sie sehen im Internet und im Fernsehen, wie es in Amerika und in den Industriestaaten zugeht, und sie selbst leben in diesen ärmlichen Verhältnissen. Dass das unruhig macht, ist doch nur verständlich. Ich würde auch zu denen gehören, die abhauen.
heute.de: Das ist ja der Ansatz der Bundesregierung: Lieber lösen wir die Probleme vor Ort, sonst kommen die alle zu uns.
Gerhardt: Ja, aber wie löst man Probleme vor Ort? Man löst sie nicht, indem wir ihnen Geld überweisen. Man muss ihnen schon sagen: Für die Lösung seid in erster Linie ihr selbst zuständig. Jede Gesellschaft, jeder Mensch ist für seine Entwicklung selbst zuständig. Erst wenn alle Möglichkeiten ausgereizt sind, kommen andere in Frage. Und das sind zuerst einmal die Nachbarstaaten. Aber die eigenen afrikanischen Möglichkeiten, eine eigene wirtschaftliche Entwicklung so voranzutreiben, wie es etwa die ostasiatischen Tigerstaaten getan haben, sind noch lange nicht erschöpft. Deswegen sind wir noch nicht am Zuge. Ich rede allerdings nur von Entwicklungshilfe, nicht von Katastrophenhilfe.
heute.de: Sehen Sie denn den Willen zur Selbsthilfe in Afrika?
Gerhardt: Viel zu wenig! Natürlich muss man, wenn man über Afrika spricht, verallgemeinern, es gibt durchaus Unterschiede. Aber insgesamt hat Afrika zum Beispiel viel zu wenig modern denkende Unternehmer. Trotz der unendlichen Schulungen, die gemacht worden sind. Afrikanerinnen und Afrikaner besuchen seit Jahrzehnten beste amerikanische und europäische Universitäten. Viele haben auch Betriebswirtschaft studiert. Dabei ist viel, viel zu wenig herausgekommen..

Gesucht: Eine neue Afrika-Politik

Afrika ein "vordringliches Anliegen"

Merkel schüttelt Hände bei Afrikabesuch
Europas Probleme mit den Flüchtlingen haben eine Wurzel in Afrika. Die Bundesregierung will das Thema zu einem Schwerpunkt für ihre Präsidentschaft der G20-Staaten machen, die bis Mitte 2017 andauert. Dabei solle nach Meinung der Bundesregierung "die Rolle der G20 als Verantwortungsgemeinschaft" für Afrika gestärkt werden: "Nachhaltiger wirtschaftlicher Fortschritt in Afrika ist hierbei ein vordringliches Anliegen", heißt es. Derzeit gibt es verschiedene Ansätze.
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Müllers Marshallplan

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will noch dieses oder Anfang nächsten Jahres einen Marshallplan mit - nicht für - Afrika vorstellen. Die Umrisse des Plans hatte Müller bereits im November skizziert. Der Leitgedanke: "Lösen wir die Probleme nicht, kommen sie zu uns." Hilfsgelder sollen demnach an die Einhaltung von Rechtssicherheit, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung geknüpft werden, was sich die Afrikanische Union 2013 selbst verordnet hat. Müller will den Einfluss Afrikas auch politisch stärken, etwa durch einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Es geht Müller zufolge auch um mehr Geld für die Entwicklungshilfe, aber nicht nur.
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Migrationspartnerschaften der EU

Die Europäische Union plant, ihre Migrationspartnerschaften auszubauen. Bislang gibt es welche mit Nigeria, Niger, Mali, Senegal und Äthiopien. Ziel ist es, dass diese Länder Flüchtlinge von dort wieder aufnehmen und die Migration stoppen. Im Gegenzug werden Projekte finanziell unterstützt, die die Menschen von der Migration abhalten sollen.
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Kritik der NGOs

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kritisieren diese Politik als "Zuckerbrot und Peitsche". Brot für die Welt, Medico International und Pro Asyl warnen vor dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel, "das individuelle Recht auf Asyl wird Abwehrbestrebungen geopfert". Schon jetzt erschwere die Abschottung Europas von Afrika die "grenzüberschreitende Mobilität von Menschen, Waren und Dienstleistungen" und sei ein Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung.
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Schlüsselrolle: Geld

Der Club of Rome und der Senat der Wirtschaft, ein Zusammenschluss von Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft und Thinktanks, fordern einen Anlegerfonds in Höhe von 120 Milliarden Euro aufzulegen, um Investitionen in Afrika zu ermöglichen. Die Garantien soll die Bundesregierung gewährleisten.

(Quelle: ZDF)
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heute.de: Die Bundesregierung will bei ihrem Marschallplan nun an die Agenda, die sich die Afrikanische Union gegeben hat, anknüpfen: Keine Entwicklungshilfe mit der Gießkanne, sondern Geld bekommt, wer Frieden, Demokratie, Rechtssicherheit, Menschenrechte einhält.
Gerhardt: Ja, natürlich ist das richtig. Aber da fangen die Schwierigkeiten auch an. Nehmen wir den Fall Ruanda. Viele sagen: Da herrscht ein Diktatur, es gibt keine Pressefreiheit, wie wir uns das vorstellen. Das stimmt, aber in Ruanda merkt man etwas von Eigenanstrengung, das Land kommt wirklich weiter. Äthiopien ist auch politisch so ein ganz schwieriger Fall. Es gibt Unruhen, Hungersnöte, aber wirtschaftlich passiert da etwas. Insgesamt sind die Voraussetzungen für wirtschaftliches Engagement in Subsahara-Afrika sehr schlecht. Das sieht man daran, dass deutsche Unternehmer in den allermeisten afrikanischen Staaten so gut wie nicht präsent sind. Nigeria ist ein Sonderfall, auch Südafrika. Aber das Gros der schwarzafrikanischen Staaten zieht deutsche Unternehmer überhaupt nicht an. Und nicht deswegen, weil sie zu dumm wären die Chancen zu sehen, sondern weil sie sagen: Unter diesen Bedingungen hat das keinen Sinn.
heute.de: Demokratie kann also kein Maßstab für Entwicklungshilfe sein?
Gerhardt: Nein, der Maßstab müssen die Menschenrechte sein. Daran können wir nicht vorbeigehen.

ZITAT

„Macht Revolution in euren Ländern! Jagt die Regierungen, die nichts für euch tun, in die Wüste!”
Kurt Gerhardt Aber ob sich eine Gesellschaft parlamentarisch-demokratisch, plebiszitär-demokratisch oder mit einer autoritären Regierung organisiert, das hat uns nicht zu interessieren. Mir ist ein autoritäres Regime, das die Pressefreiheit nicht sehr hoch hält, aber dafür sorgt, dass die Menschen zu essen haben, die Kinder in die Schule gehen können, das Gesundheitswesen leidlich funktioniert lieber als ein Staat mit demokratischem Anstrich, wo nichts für die Menschen passiert. Und davon gibt es in Afrika viele.
heute.de: Das klingt alles ziemlich frustrierend …
Gerhardt: Und wie! Das ist bei allen so, die seit Jahren Afrika im Blick haben und dort einige Jahre gearbeitet haben. Es ist furchtbar, dass es dort einfach nicht weitergeht. Wenn man sich die Daten anschaut, geht es wirtschaftlich immer weiter bergab. Außer Bodenschätzen hat Afrika überhaupt nichts zu verkaufen, nicht einmal ein Fahrrad, eine Luftpumpe, eine Haarklammer oder einen Tauchsieder! Noch nicht einmal einfache Güter werden produziert! Nichts, gar nichts!
heute.de: Aber ist es die richtige Konsequenz zu sagen: Wenn ihr nichts macht, auf die Beine zu kommen, machen wir auch nichts mehr.
Gerhardt: Ja. Natürlich nicht bei Nothilfe. Wenn Menschen in schwerer Not sind durch Naturkatastrophen zum Beispiel, dann muss man sofort helfen, das ist klar. Aber bei Entwicklungshilfe denke ich schon, wir sollten den Afrikanern sagen: Ihr habt, was man braucht, um euch wirtschaftlich zu entwickeln.

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Es darf von euch erwartet werden, dass ihr euch gegenseitig helft: Dass die reichen afrikanischen Staaten den ärmeren helfen. Also stellt euch bitte darauf ein, dass wir innerhalb der nächsten zehn Jahre die Entwicklungshilfe einstellen. Wenn ihr dann Hilfe braucht, dann müsst ihr euch die Hilfe kaufen. Wie es alle anderen in Berlin und Kapstadt durch Experten auch machen. Das Weltwissen steht übers Internet zur Verfügung.
heute.de: Damit müsste Europa in Kauf nehmen, dass sich noch mehr Menschen aus Afrika auf den Weg zu ihnen machen, weil sie ebenso wenig Glauben in die afrikanischen Selbstheilungskräfte haben wie Sie?
Gerhardt: Das Fluchtproblem ist natürlich ein riesiges. Aber dann muss man diesen Menschen sagen: Macht Revolution in euren Ländern! Jagt die Regierungen, die nichts für euch tun, in die Wüste! Das Problem ist, dass Afrika zu schlecht regiert und verwaltet wird. Die Staaten sind ja noch nicht einmal in der Lage, eine kontinuierliche Stromversorgung in Gang zu halten. Das ist doch lächerlich! Es ist ein grotesker Zustand: Der Grundsatz jeder Hilfe muss sein, dass man nur so lange und in dem Maße hilft, wie es unbedingt nötig ist. Und jetzt helfen wir schon seit einem halben Jahrhundert. Und wenn sich nichts ändert, helfen wir in einem halben Jahrhundert immer noch. Das zeigt doch, dass da etwas fundamental schief läuft. Ein Marshallplan würde diese falsche Hilfe noch einmal verstärken und verlängern.
heute.de: Auch wenn man ihn mit den afrikanischen Ländern zusammenmachte?
Gerhardt: Aber mit wem denn? Regierungen verhandeln mit Regierungen. Die Bundesregierung oder die EU verhandeln mit Regierungen, die jetzt schon dabei versagt haben, ihrer Bevölkerung zu mehr Wohlstand zu verhelfen. Was soll dabei herauskommen?
Das Interview führte Kristina Hofmann

Kurt Gerhardt ...

Kurt Gerhardt
... war Journalist beim WDR und Landesbeauftragter des Deutschen Entwicklungsdienstes in Niger/Westafrika. Er ist Teil eines Netzwerkes von Kritikern der Entwicklungspolitik. In einem Memorandum forderten sie Ende November "Bloß kein Marshallplan für Afrika!". Er hat auch den Bonner Aufruf "Für eine andere Entwicklungspolitik!" aus dem Jahr 2008 mitinitiiert, den der verstorbene Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, Rupert Neudeck, der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP), einige Afrika-Botschafter und Nichtregierungsorganisationen unterschrieben haben.