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Beitrag vom 10.12.2016

FAZ

Der chinesische Lernprozess in Afrika

Sie kaufen Öl und Erze, bauen dafür Straßen, Brücken, Eisenbahnen. Peking macht auch mit korrupten Regierungen und Diktatoren gern Geschäfte. Doch nun wird es in Afrikas Bürgerkriege hineingezogen.

Von Thomas Scheen

ADDIS ABEBA, 9. Dezember. Dieser kalte, feuchte Mittwoch in der ersten Oktoberwoche sollte eigentlich ein denkwürdig-schöner Tag werden. Das halbe äthiopische Kabinett hatte sich im neuen Bahnhof von Addis Abeba versammelt, um etwas Außergewöhnliches zu bestaunen: den ersten elektrischen Zug des Landes, ein auf Hochglanz poliertes Ungetüm chinesischer Produktion. Dieser Zug und etliche andere werden künftig die Hauptstadt Addis Abeba mit der 752 Kilometer entfernten Hafenstadt Djibouti verbinden, und natürlich waren es zwei chinesische Bauunternehmen, die diese neue Strecke innerhalb von zwei Jahren gebaut und elektrifiziert haben.

Ein „Game Changer“ sei diese neue Verbindung, frohlockte der äthiopische Manager des Betreiberkonsortiums, Mekonnen Getachew, und natürlich hatte er recht damit. Das Binnenland Äthiopien mit seinem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 10 Prozent im Jahr ist auf den Hafen von Djibouti angewiesen, doch der Weg dorthin ist eine schlaglochübersäte und permanent verstopfte Straße. Für die Strecke von Addis Abeba bis an den Golf von Aden braucht ein Lastwagen zwischen drei und fünf Tagen. Die neue Eisenbahn schafft dieselbe Strecke in zehn Stunden.

Doch wenn an diesem 5. Oktober trotzdem kaum jemand in Addis Abeba Notiz nahm von dem historischen Ereignis, hatte das mit den gleichzeitig tobenden Unruhen vor den Toren der Stadt zu tun. In der Region Oromia, die sich kreisförmig um die Hauptstadt erstreckt, war ein aufgebrachter Mob gerade dabei, Fabrikhallen und Farmen abzufackeln. Vier Tage zuvor hatten die Sicherheitskräfte wieder einmal das Feuer auf Demonstranten eröffnet, als diese gegen die brutale Landpolitik der Regierung in Oromia demonstrieren wollten, und wieder einmal waren Hunderte Menschen getötet worden. Oromia ist das Herz der forcierten Industrialisierung Äthiopiens, Nahezu monatlich werden hier neue Produktionsstätten aus dem Boden gestampft. Den Platz dafür besorgt die Regierung auf ausgesprochen rabiate Art: Den Bauern wird ein Trinkgeld in die Hand gedrückt, kurz darauf rollen die Planierraupen an. Die Oromos wehren sich inzwischen, indem sie ausländische Betriebe anzünden. Bei den Unruhen am 5. Oktober sollen es zwischen 50 und 300 Gebäude gewesen sein, die in Flammen aufgingen. Die meisten von ihnen gehören chinesischen Investoren, denn die sind die treibende Kraft hinter der Industrialisierung.

Diese beiden Episoden, der Zug und die Massenproteste, verdeutlichen, wie nahe Fluch und Segen beieinanderliegen können, wenn es um das chinesische Engagement in Afrika geht. China braucht Afrika als Rohstofflieferant und zunehmend auch als Absatzmarkt für eigene Produkte. Auf über 200 Milliarden Dollar belief sich das Handelsvolumen zeitweilig. Seit sich das chinesische Wirtschaftswachstum verlangsamt hat, ist die Nachfrage Pekings nach Öl, Gas, Kupfer, Kohle, Kobalt und Eisenerz drastisch gesunken. Das langfristige Engagement der Chinesen in Afrika ist damit jedoch nicht in Frage gestellt worden. Kritiker des chinesischen Engagements gibt es viele. Der Westen stößt sich vor allem an der Prämisse der Chinesen, Politik und Geschäft strikt zu trennen. Will heißen: Kredite an afrikanische Länder sind nicht an politische oder soziale Bedingungen oder Menschenrechte geknüpft, und mit den Antikorruptionsbestimmungen nehmen es die Chinesen auch nicht so genau. China verhindere damit demokratische Reformen, wird moniert, und es verhelfe alten Diktatoren wie dem Zimbabwer Robert Mugabe zur Sattelfestigkeit.

Doch so einfach ist es nicht. Seit die Chinesen im großen Stil in Afrika investieren, hat der Kontinent zum ersten Mal in seiner postkolonialen Geschichte eine Wahl – die Wahl zwischen europäischen und chinesischen Bauunternehmen für Infrastrukturprojekte. Die Chinesen arbeiten schnell, zuverlässig und für sehr viel weniger Geld als beispielsweise die Konkurrenz aus Frankreich. In rohstoffreichen Ländern wie Kongo-Kinshasa, Nigeria oder Angola wiederum betreiben die chinesischen Staatsunternehmen regelrechten Tauschhandel: Infrastruktur gegen Rohstoffe, Straßen gegen Öl. Damit erhalten die afrikanischen Volkswirtschaften zum ersten Mal einen Mehrwert für ihre Rohstoffe. Natürlich fließen auch bei derartigen Geschäften Schmiergelder.

Die afrikanische Bevölkerung aber sieht das entspannt: Sie bekommen Straßen, Kraftwerke und Eisenbahnlinien für das Öl und das Kupfer; es ist nicht wie früher, als die Einnahmen auf Schweizer Nummernkonten verschwanden. Das Geld bleibt im Lande, die Einnahmen helfen bei seiner Entwicklung. „Die machen derart gute Angebote, dass ich im Interesse meines Landes gar nicht anders kann, als darauf einzugehen“, sagte der sambische Präsident Rupiah Banda dieser Zeitung vor einigen Jahren.

Und die Chinesen sind wirklich überall: Es gibt inzwischen kein afrikanisches Land, in dem man nicht auf Brücken, Kraftwerke, Staudämme oder Fabriken stößt, über denen Dutzende von Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen wehen. Dafür kann man heutzutage von Südafrika bis nach Sudan über durchweg geteerte Straßen fahren.

Doch je umfangreicher das chinesische Engagement in Afrika wird, desto unmöglicher wird es für Peking, sein Prinzip der Nichteinmischung aufrechtzuerhalten. Chinesische Soldaten werden inzwischen wie selbstverständlich bei Friedensmissionen der Vereinten Nationen eingesetzt, weil Peking erkannt hat, dass die politischen Händel auf dem Kontinent seine strategischen Wirtschaftsinteressen bedrohen. Das beste Beispiel dafür ist Südsudan. Im jüngsten Staat der Welt tobt seit beinahe zwei Jahren ein Bürgerkrieg, der nahezu die gesamte Ölproduktion zum Erliegen gebracht hat. Größter Kunde für dieses Öl ist China. Peking beteiligte sich mit einer ranghohen Delegation an den zähen Friedensverhandlungen zwischen südsudanesischer Regierung und Rebellen, und als der Friedensvertrag scheiterte, starben zwei chinesische Blauhelmsoldaten. Das war eine ebenso bittere Lektion für Peking wie die ausländerfeindlichen Auseinandersetzungen in Äthiopien. China lernt gerade, dass sich Geschäft und Politik in Afrika nur schwer voneinander trennen lassen.