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Beitrag vom 15.05.2016

SZ

Fluchtland Eritrea

Asmara - die verschwiegene Stadt

Die eritreische Hauptstadt hat alles, was eine Metropole lebenswert macht: sanftes Klima, Art déco, vier Kinos. Warum also fliehen die Menschen? Eine Recherche.

Reportage von Alex Rühle

Auf den ersten Blick ist alles zauberhaft und poetisch. Sanftes Klima, meist um die 25 Grad. Die Luft ist hier oben auf 2500 Metern besser als in manchem europäischen Kurort, der Himmel so blau und so nah, als hätte ihn jemand dick mit Fingerfarben über die Stadt gemalt. Und wenn abends die Kumuluswolken vom Horizont heranquellen, sieht das aus, als würde sich ganz Asmara mit einem leuchtend weißen Federbett zudecken.

Das Essen ist köstlich, in den Cafés gibt es italienischen Macchiato. Außerdem ist Asmara so sicher, dass man selbst nachts alleine herumlaufen kann. Und dann diese Häuser! Keine Ahnung, warum all die Architekturnostalgiker ihre Zeit in Havanna verplempern, das hier ist das wahre Dorado moderner Baukunst: Art déco, Neo-Klassizismus, Novecento, faschistisch geprägte Moderne, alles durcheinander, alles so erhalten, wie es zwischen 1930 und 1941 von den Italienern hingestellt worden ist.

Es gibt diesen Witz vom Flüchtling, der aus Europa eine erste Mail an die Eltern schickt: "Überfahrt überlebt, Grüße aus Rom. Erstaunlich, die haben hier versucht, unsere Stadt nachzubauen."

Als würde das Gebäude abheben in Richtung Sonnenaufgang

Zu Mussolinis Zeiten galt Asmara als "Roma piccola" und "Zukunft in Aktion". Viele Architekten, die gewagte Projekte nicht in Rom ausprobieren durften, bauten sie dann eben hier: Beispielhaft sei nur die Tagliero-Tankstelle genannt, ein Gebäude wie ein Flugzeug, rechts und links weite, frei schwebende Flachdachflügel. Als würde das Gebäude abheben in Richtung Sonnenaufgang, wir können jetzt alles.

Als die Italiener 1941 hundert Kilometer nordwestlich gegen die Briten die Schlacht von Keren verloren und Eritrea unter britisches UN-Mandat gestellt wurde, gab es in Asmara mehr Ampeln als in Rom. Heute ist Asmara wahrscheinlich die einzige Hauptstadt der Welt ohne eine einzige funktionierende Ampel. Andererseits gibt es sowieso kaum Verkehr. Und die paar Autos kriechen so vorsichtig durch die Straßen, als wollten die Fahrer ihrem Motor das Benzin tropfenweise einflößen: Ein Liter Benzin kostet drei Euro. Die Leute verdienen zwischen 50 und 200 Euro im Monat.

Der Präsident versprach eine Mischung aus Kommunismus und Singapur - er schuf eine Diktatur

Und haben außerdem gerade all ihr Erspartes abgeben müssen: Im Januar ließ Präsident Isayas Afewerki neue Banknoten in Umlauf bringen und versprach, das alte Geld eins zu eins umzutauschen. Nur geben die Banken seither jedem höchstens 5000 Nakfa monatlich, rund 320 Euro. Fragt sich, wie man davon leben soll.

"Gar nicht", sagt Birhane. Er steht im Schatten eines Baums, gegenüber dem Café Zilli, das mit seinen Bullaugen einem Dampfer nachempfunden wurde, und starrt auf die leere Kreuzung. Das ganze Gespräch über steht er reglos unter diesem Baum, aber seine Augen suchen unruhig den Platz ab. Es wirkt, als fließe eine Menge Strom durch seine tieferen Leitungen.

Birhane ist Mitte 50, lebt in Europa und heißt in Wahrheit anders. Er ist zu Besuch hier, die Stadt füllt sich gerade, so wie jedes Jahr im Frühjahr. Am 24. Mai sind die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag. "Dabei ist das inzwischen für uns alle kein Feier-, sondern ein Trauertag", sagt er. "Sie klingen nicht wie ein Fan der Regierung. Sind Sie aus Eritrea abgehauen?" - "Ja." - Und da können Sie auf Besuch kommen?" - "Klar. Hab unterschrieben und bezahlt."

Profiteure des Heimwehs

Viele Flüchtlinge dürfen nach drei Jahren Karenzzeit wiederkommen - unter zwei Bedingungen: Man muss ein Schreiben unterzeichnen, in dem man versichert, dass es einem wahnsinnig leidtut, geflohen zu sein. Wichtiger ist aber das Geld: Die Regierung versucht, von allen Ausgewanderten eine "Aufbausteuer" von zwei Prozent des Einkommens einzutreiben.

Früher haben die Eritreer in Europa dieses Geld auf ihrem jeweiligen Konsulat abgegeben. 2011 mussten die eritreischen Diplomaten diese Praxis auf Druck der EU beenden. Nur wurde damit die Steuer nicht abgeschafft. Birhane zuckt mit den Schultern. "Jetzt bringen wir das Geld mit und liefern es beim Besuch bei irgendeiner Behörde ab." Er hatte diesmal auch das Geld für einen Freund dabei, der eine Geburtsurkunde braucht. "Hm, aber Sie sind doch geflohen und jetzt . . ." - " . . . finanziere ich dem Menschen, den ich am meisten hasse, sein Regime", unterbricht Birhane. "Ich weiß, es ist furchtbar. Afewerki lebt von unser aller Heimweh."

Man sollte dazusagen, dass es nicht ganz so leicht ist, wie Birhane sagt, viele oppositionelle Flüchtlinge würden schnurstracks ins Gefängnis wandern, wenn sie wiederkommen. Und viele Exileritreer sagen, sie würden nie im Leben dieses Geld zahlen.

Birhane hat sieben Geschwister, sie leben in Äthiopien, Schweden, den USA. Solche Geschichten hört man hier oft. Birhane zeigt mit einer weiten Geste auf die alten Fassaden. Viele Fenster haben schwere Lider, die Rollos sind halb hochgezogen, als dämmerten die Häuser durch die Mittagshitze und träumten von der zwar auch nicht guten, aber alten Zeit, als noch nicht 5000 Menschen im Monat das Land verlassen haben. "Alles leer", sagt er, "alles Kulisse." "Und was haben Sie jetzt auf dieser Kreuzung gesucht?" - "Das Denkmal."

Er meint das Shida-Denkmal, ein Paar schlichte, schwarze Sandalen, sieben Meter groß. Diese Schuhe trugen alle Soldaten und Soldatinnen im dreißigjährigen Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien. Sie wurden in einer unterirdischen Fabrik aus alten Autoreifen hergestellt. Das war billig, gerissene Riemen konnte man reparieren, indem man sie mit einem Feuerzeug schmolz und wieder anklebte. Das Denkmal wurde 2001, zum zehnten Geburtstag des freien States Eritrea, eingeweiht. Jetzt ist es weg. Und keiner weiß, warum.

So etwas wie das Tibet von Afrika

Plötzlich steht ein kleiner alter Mann neben uns und reckt seine rechte Hand hoch, an der zwei Finger fehlen. Birhanes Blick flackert panisch hin und her, dann verschwindet er in einer Seitenstraße. Den Alten scheint das nicht zu stören. Er schwärmt, der Unabhängigkeitskrieg gegen das übermächtige, von den Russen und den USA unterstützte Äthiopien habe "alle Eritreer gleich gemacht". Die unterirdischen Krankenhäuser und Schulen! Die Bildungsprogramme für die Nomaden! Die Heiraten, mitten im Krieg, zwischen Christen und Muslimen, im Namen einer gemeinsamen Identität!

Anfang der Neunzigerjahre, direkt nach der Unabhängigkeit, war Eritrea imagetechnisch so etwas wie das Tibet von Afrika, was für ein heroischer Sieg, hier gab es für alle Afrophilen die andere, helle Geschichte, hier waren keine Kleptokraten am Werk, alle gemeinsam wollten ein freies Land aufbauen, Präsident Afewerki versprach eine Mischung aus Kommunismus und Singapur und lief in seinen alten Kriegssandalen durch die Straßen.