Beitrag vom 20.08.2015
ORTNER ONLINE
Afrikas Geburtenrate und vermeintlicher Rassismus
(Volker Seitz) Es gibt sogenannte Afrikaexperten wie Bob Geldof, die behaupten, dass einer der größten Wettbewerbsvorteile Afrikas die stark wachsende junge Bevölkerung ist. Wer anderseits – wie der langjährige Afrikakorrespondent des Tagesspiegels, Wolfgang Drechsler – auf die Gefahren des außer Kontrolle geratenen Bevölkerungswachstums hinweist, gerät unter Rassismusverdacht. Eine junge Bevölkerung wirkt sich aber für afrikanische Länder nur positiv aus, wenn sie die Perspektive auf sichere Arbeitsplätze hat. Das vielgepriesene Bevölkerungswachstum ist derzeit kein Vorteil, sondern eine gewaltige Herausforderung.
Hohe Zahl Jugendlicher ohne Zukunftsperspektive
Wenn die vielen Erwerbsfähigen auch die Chance bekommen, eine Stellung zu finden, wird es, wie in Asien, volkswirtschaftlichen Gewinn geben. Dafür müssen die Menschen gut ausgebildet und Arbeitsplätze geschaffen werden. Nur dann entsteht dieser demographische Bonus. In Asien wurde gleichzeitig in Bildung und Familienplanung investiert, notwendige wirtschaftliche Reformen wurden vorangebracht und vor allem Arbeitsplätze für die Millionen junger Erwerbsfähiger geschaffen.
Die Geburtenrate in Afrika beträgt 4,7 Kinder pro Frau. In Asien liegt sie bei 2,2. Experten rechnen mit einer Bevölkerungsverdoppelung in Afrika bis 2050.
Nach einer Studie der Weltbank werden in den nächsten zehn Jahren 11 Millionen junge Leute unter 25 Jahren auf den afrikanischen Arbeitsmarkt drängen, für die nicht ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Andererseits tun sich selbst in Südafrika internationale Konzerne schwer, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden.
Heute sind nach UN-Angaben 60 Prozent der 15- bis 24-Jährigen in Afrika arbeitslos. Diese hohe Zahl Jugendlicher ohne Zukunftsperspektive bleibt ein ernstes Problem für den Kontinent und wegen der Flüchtlingsströme auch für Europa.
Die Entwicklungshilfe muss deshalb an eine vorausschauende Bevölkerungspolitik mit positiven Anreizen zur Geburtenbeschränkung gekoppelt werden. Aber noch so raffinierte Familienpolitik bleibt wirkungslos, solange nicht die Altersversorgung gelöst ist. Kinder gelten vor allem auf dem Lande als einzige zuverlässige Methode der Alterssicherung.
Moderne Mittel zur Familienplanung werden vor allem in Westafrika kaum genutzt, da sie mit dem Islam als unvereinbar angesehen werden.
Positives Beispiel: Auf Initiative der damaligen Frauenministerin wurde im Senegal bereits 1996 von den Imamen anlässlich des Freitagsgebetes öffentlich in den Moscheen über die Notwendigkeit und Pflicht jedes Familienvaters gepredigt, die Gesundheit seiner Familie durch den Gebrauch von Kondomen zu schützen.
Kaum Wohlstandsfortschritte
Von den weltweit 48 am wenigsten entwickelten Ländern befinden sich 33 in Subsahara-Afrika.
Man braucht sich nur die demographische Kurve in Ostafrika anzusehen, dann ahnt man, dass das nicht mehr lange gut geht: In Tansania lebten 1961 8 Mio. Menschen, jetzt sind 45 Mio., 2030 wahrscheinlich 80 Mio. Auch Uganda und Kenia werden 2050 je rund 100 Mio. Einwohner haben. Die Verteilungskämpfe werden schon viel früher einsetzen. Es gibt zwar positive Entwicklungen, aber das ungebremste Bevölkerungswachstum bringt es mit sich, dass besonders in den großen Städten viele Menschen unter erbarmungswürdigen Umständen leben müssen. So werden sich im südlichen Afrika kaum Wohlstandsfortschritte erreichen lassen. Wer soll diese Menschen ernähren? Die Wohltätigkeitsindustrie setzt sich nicht mit diesen Tatsachen auseinander und macht stattdessen für die fortgesetzte Notlage Afrikas den angeblich reichen Westen verantwortlich und sichert sich so eine glänzende Einkommensquelle.
Investition in Wissen
Ein Hauptgrund für den Stillstand in vielen Ländern Afrikas ist ein eklatanter Mangel an Bildung. Es sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Menschen nur durch Bildung, egal ob jemand ein Handwerk erlernt oder eine akademische Ausbildung absolviert, sich etwas aufbauen und ein selbst bestimmtes Leben führen kann.
Wichtig ist es im volkswirtschaftlichen Interesse afrikanischer Staaten, dass nicht nur unverarbeitete Rohstoffe exportiert werden. Es ist richtig, dass der Kontinent enorm aus dem Rohstoffhunger der Industrie- und Schwellenländer Nutzen zieht. Aber die meisten Rohstoffe werden unverarbeitet ausgeführt und die Länder profitieren nicht von der Wertschöpfungskette. Qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze bei der Veredlung entstehen woanders.
Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen. Die einzige Chance, einem Leben in Armut zu entkommen, ist Bildung. Wer lesen und schreiben lernt, hat später bessere Chancen, einen Job zu finden. Frühe Schwangerschaften und die HIV-Raten gehen merklich zurück, wenn Frauen durch Bildung selbstbestimmter und vorsichtiger agieren können. Noch immer preisen afrikanische Traditionalisten den Kinderreichtum als festen Bestandteil der Kultur. Besser gebildete Frauen heiraten aber später, bekommen weniger und gesündere Kinder. Sie lernen sich zu wehren und sich vor Krankheiten wie Malaria und Aids zu schützen. Sie lernen, wie sich durch hygienebewusstes Verhalten Krankheiten vermeiden lassen. Leider werden ihnen – nicht nur in religiös fundamentalistisch geprägten Staaten – die aktive Rolle in der Familienplanung und damit der Kampf gegen die Bevölkerungsexplosion in Afrika verwehrt. Wie demokratische Regierungen und gute Bildungschancen die Zahlen nach unten drücken können, zeigt das Beispiel Botswana. Die Geburtenrate sank dort auf 2,9 Kinder pro Frau. Gleichzeitig konnte die Sterblichkeitsrate bei Kindern reduziert werden. Ähnlich sind die Zahlen von Mauritius.
Bildung ist offenbar für die herrschenden Autokraten gefährlich, weil Gebildete nicht länger passive Subjekte sich selbst bereichernder Herrscher sein wollen und darauf bestehen, als vollwertige Bürger ihres Landes behandelt zu werden und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Der südafrikanische Wissenschaftler Moeletsi Mbeki ist überzeugt, dass “einige afrikanische Machthaber Angst vor zu viel Bildung haben, denn damit werden sie automatisch zunehmend hinterfragt.”
An Verantwortung erinnern
Unsere Politiker sollten sich ein Beispiel an US-Präsident Obama nehmen und die Machthaber offen auf die Probleme der Machtausübung ansprechen und sie an ihre eigene Verantwortung erinnern. Nur die sogenannten Eliten genießen in Afrika einen hohen Lebensstandard. Die Autokraten haben Afrika mit ihrem Nichtstun und ihrem Spinnennetz der Korruption zu Bettlern gemacht. Regierungen, die nicht bereit sind, Korruption und Kapitalflucht zu bekämpfen und die Menschen unter einer überzeugenden, verlässlichen guten Regierungspraxis zu vereinen, sollten keine Hilfe mehr erhalten. Korruption ist gnadenlos und trifft vor allem die Armen, die sich dann auf den gefährlichen Weg nach Europa aufmachen. Ein wirklicher Afrikakenner, Martin Schneiderfritz, der viele Jahre in Afrika für die GTZ/GIZ tätig war und heute in Benin lebt, schrieb kürzlich: “Seltsam, es erscheinen am laufenden Meter Bücher wie “Der Afrika-Boom” oder “Afrika ist das neue Asien”, und zugleich riskieren Tausende ihr Leben, um diesem boomenden Kontinent zu entkommen.”
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(Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist.)
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