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Beitrag vom 31.07.2015

FAZ

Afrika hat keine Zeit

Von THOMAS SCHEEN

Nahezu alle Volkswirtschaften Afrikas wachsen beachtlich und mit ihnen das Selbstbewusstsein der Afrikaner. Doch Eisenerz kann man nicht essen. Der Kontinent muss sich auf Bewährtes besinnen: Landwirtschaft.

Im Juli 2007 hielt der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy eine Rede in Senegal. In geschniegelten Worten, damit die Wucht der Botschaft die Zuhörer nicht gleich vom Hocker warf, unterstellte Sarkozy den Afrikanern, die Zeit verschlafen zu haben. Um den Zustand des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stillstands zu illustrieren, benutzte Sarkozy das Bild des Bauern, der „im Rhythmus der Jahreszeiten seine Hacke schwingt“. Daran sei prinzipiell nichts auszusetzen, so Sarkozy. Nur: „Die Wiederholung der immer gleichen Gesten lähmt jeden Gedanken an Erneuerung. Niemals kommt ihm in den Sinn, das immer Wiederkehrende aufzugeben, um sich eine Zukunft zu schaffen.“ Für diese schonungslose Beschreibung der Wahrheit musste sich Sarkozy anschließend als Rassist beschimpfen lassen.

Im Juli 2015 tritt der amerikanische Präsident Barack Obama vor die kenianische Bevölkerung und rät ihr, das Schicksal endlich in die eigenen Hände zu nehmen und nicht länger darauf zu warten, dass Hilfe von außen kommt. Das ist ein Appell an die eigene Kreativität und inhaltlich nichts anderes als die Sarkozy-Schelte acht Jahre zuvor. Doch Obama erntet für seine Worte tobenden Applaus. Hat sich etwas geändert in Afrika?

Natürlich, alles hat sich geändert. Nahezu alle Volkswirtschaften auf dem Kontinent wachsen seit Jahren beachtlich und mit ihnen das Selbstbewusstsein der Afrikaner. Das ist zu einem nicht unbeträchtlichen Teil denjenigen geschuldet, die Obama bei seiner Afrika-Reise bei jeder Gelegenheit als Bösewichte anprangert, nämlich den Chinesen. Die Geschäfte Pekings in Afrika sind alles andere als transparent, das ist richtig. Doch Afrikaner sehen das pragmatisch. Die von Chinesen gebauten Straßen, Kraftwerke und Flughäfen verschwinden nicht auf einem Schweizer Bankkonto. Sie bleiben und tragen zur Steigerung der Lebensqualität bei. Aus volkswirtschaftlicher Sicht verhalten die Afrikaner sich genau richtig. Die Kritik an dieser Politik lässt sie kalt. Und so viel Ehrlichkeit sollte sein: Unter den Konzernen, die in Afrika im großen Stil Eisenerz, Kohle, Platin, Gold, Kupfer und Chrom fördern, sind die chinesischen in der Minderheit. Diese Märkte sind fest in Händen von Amerikanern, Kanadiern, Briten, Australiern, Brasilianern und Südafrikanern.

Dass Afrika trotz seiner unbestrittenen Erfolgsgeschichte des zurückliegenden Jahrzehnts immer noch als Hungerkontinent wahrgenommen wird, hängt mit der Größe der Herausforderungen zusammen. Wenn beispielsweise die Rohöleinnahmen Nigerias auf die geschätzt 170 Millionen Einwohner heruntergebrochen werden, bleibt pro Kopf nicht gerade viel. Selbst ein korruptionsfreies Nigeria hätte große Schwierigkeiten, den Lebensstandard aller Nigerianer auf absehbare Zeit zu steigern.

Doch Zeit ist etwas, was Afrika nicht hat. Das größte Kapital des Kontinents, nämlich seine Jugend, ist auch das größte Problem. 225 Millionen Afrikaner und damit ein Viertel der Gesamtbevölkerung sind jünger als 18 Jahre. In vier bis fünf Jahren drängen diese jungen Menschen auf den Arbeitsmarkt. Dafür bedarf es Millionen neuer Jobs. Pessimisten beschwören deshalb die Apokalypse und sehen diese jungen Afrikaner schon mit Schlauchbooten nach Europa drängen. Dabei stammen gegenwärtig nur 19 Prozent aller Flüchtlinge in Europa aus Afrika. Und die Mehrheit unter ihnen ist nicht vor Arbeitslosigkeit geflohen, sondern vor der Diktatur in Eritrea und dem Krieg in Somalia.

Das ändert aber nichts an den demographischen Herausforderungen, die Afrika in den kommenden zehn Jahren bevorstehen. In Ermangelung einer forcierten Industrialisierung nach chinesischem Vorbild wird sich der Kontinent deshalb auf Bewährtes besinnen müssen: seine Landwirtschaft. Nach Angaben der Weltbank gibt es in Afrika 400 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Fläche. Das entspricht der Hälfte der Fläche Australiens. Kultiviert werden aber nur zehn Prozent davon. Das fruchtbare Afrika kann sich selbst nicht ernähren und gibt jedes Jahr 40 Milliarden Dollar für den Import von Lebensmitteln aus. Nur fünf Prozent dieser Summe beziehen sich auf Importe aus anderen afrikanischen Ländern. Der Rest stammt aus Asien, was zu der paradoxen Situation geführt hat, dass der vermeintliche Hungerkontinent Afrika zum größten Absatzmarkt für Reisbauern in Thailand geworden ist. Dieses Potential zu heben ist die nächste große Herausforderung. Dafür braucht es nicht einmal Zugang zum Weltmarkt. Der heimische Markt ist groß genug.

Im Zuge des Rohstoffbooms hatten einige Länder zwar vergessen, dass man Eisenerz nicht essen kann. Inzwischen aber hat ein Umdenken eingesetzt, das maßgeblich mit den in Äthiopien gemachten Erfahrungen zu tun hat. Äthiopien verfügt kaum über begehrte Rohstoffe, trotzdem wächst die Wirtschaftsleistung dank hoher Investitionen in die Landwirtschaft beständig um zehn Prozent. Das Beispiel hat Schule gemacht. Nahezu überall auf dem Kontinent wird der Modernisierung der Landwirtschaft inzwischen ähnliche Bedeutung beigemessen wie vor einigen Jahren noch dem Bergbau. Sarkozy wird sein Bild vom senegalesischen Bauern revidieren müssen.