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Beitrag vom 25.04.2015

Salzburger Nachrichten

Was ist eigentlich mit Afrika?

Von Andreas Koller

Wie einst die Kolonialherren. Dass Europa zur Gänze die Verantwortung für die Tragödie im Mittelmeer übernimmt, ist politisch höchst korrekt. Und in hohem Ausmaß rassistisch.

Zeitungen berichten in dicken Schlagzeilen von der "Schande Europas". Amnesty International fordert die europäischen Regierungen auf, "ihre Verantwortung wahrzunehmen". EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini kündigt an, die EU müsse, "ohne zu zögern, Maßnahmen gegen diese Tragödie ergreifen".

Alles völlig richtig. Das Mittelmeer ist seit Jahren Schauplatz einer Tragödie von historischen Ausmaßen, und Europa hat die Pflicht und Schuldigkeit, jeden Beitrag zur Beendigung des Massensterbens zu leisten.

Nur: Was ist eigentlich mit Afrika? Wie dieser Tage in den SN zu lesen war, ist weder den afrikanischen Regierungen noch der Afrikanischen Union noch den afrikanischen Massenmedien der tausendfache Tod im Mittelmeer besonderen Aufhebens wert. Das dröhnende Schweigen der dortigen Eliten ist völlig unangebracht. Denn sieht man von den Kriegsflüchtlingen aus Nahost ab und richtet seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf jene Migranten, die aus den verschiedenen afrikanischen Ländern nach Europa strömen, so ist eindeutig festzustellen: Die Ursachen für deren Massenauswanderung, die so oft in den Tod führt, liegen nicht in Europa. Sie liegen in Afrika. In einem Kontinent also, dessen Regierungen zu einem großen Teil weder willens noch in der Lage sind, den ihnen anvertrauten Menschen eine Perspektive zu bieten, und mag diese Perspektive auch nur in genügend Essen und der Aussicht auf Überleben bestehen. In einem Kontinent, dessen Eliten sich in einem erschreckend hohen Ausmaß in kleptokratischer Weise am Reichtum ihrer Länder vergreifen. In einem Kontinent, in dem man mit der Lupe nach Regionen suchen muss, in denen die Menschen in Frieden leben können.

Europa ist also gut beraten, im eigenen Bereich alle Anstrengungen zur Beendigung der Tragödie im Mittelmeer zu unternehmen. Doch gleichzeitig hat Europa nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Gleiches mit Nachdruck auch von den afrikanischen Eliten und Regierungen zu verlangen. Dass dies nicht geschieht, mehr noch: dass es in Europa geradezu zum politisch korrekten Ton gehört, die Verantwortung für die Tragödie zu hundert Prozent in Europa und zu null Prozent in Afrika zu suchen, ist im Grunde rassistisch. Die politisch Korrekten gebärden sich damit wie die Kolonialherren früherer Zeiten, die Afrika für unfähig hielten, sich selbst zu verwalten und sich selbst zu regieren. Weshalb es leider nötig sei, europäische Fremdherrschaften über den afrikanischen Kontinent zu stülpen. Heute tut man so, als wäre Afrika außerstande, einen Beitrag zur Beendigung der Flüchtlingstragödie zu leisten. Weshalb es leider nötig sei, dieses afrikanische Problem in paternalistischer Weise ausschließlich in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten zu lösen. Damit bekundet Europa, dass es Afrika für einen Kontinent hält, dessen Regierungen und sonstige Eliten nicht für ihre Handlungen und Unterlassungen haftbar gemacht werden können. Ganz schön entlarvend!

Doch was politisches Führungsversagen betrifft, haben wir Europäer unseren afrikanischen Nachbarn keine Vorwürfe zu machen. Eine Europäische Union, die sich mit Hingabe Glühbirnen und Allergenen auf Speisekarten widmet, aber seit Jahren nicht in der Lage ist, adäquat und vor allem menschlich auf die Massenmigration über die europäischen Grenzen zu reagieren, hat keine Daseinsberechtigung. Man darf daran erinnern, dass die EU einst gegründet wurde, Frieden in ihrem Geltungsbereich zu sichern. Dieses große Projekt scheint gelungen. Das große Projekt von heute besteht darin, politische Antworten auf das Phänomen Massenmigration zu geben. Es hat den bitteren Anschein, als wären die EU-Lenker damit restlos überfordert.