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Beitrag vom 13.12.2014

Wall Street Journal

Die Rückkehr von Afrikas Diktatoren

Von Drew Hinshaw und Patrick McGroarty

An dem Morgen im November, als Boko Haram ein weiteres Dorf im Norden Nigerias einnahm, umstellten Polizisten das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Abuja. Jedoch schützten sie die Abgeordneten nicht vor Anschlägen der islamistischen Aufständischen; sie waren da, um einen Politiker von der Abgabe seiner Stimme abzuhalten.

Nigerias Parlamentssprecher Aminu Tambuwal war kurz zuvor zur Opposition übergelaufen - ein riskanter Schritt in einem Land, dessen Politik von einer Partei dominiert wird. Ein Gericht hatte entschieden, dass er seinen Posten als Sprecher behalten könne, die Polizeisperren vor dem Gebäude bedeuteten jedoch das Gegenteil. Sie stoppten sein Auto am Eingang.

Auf dem Plan der nigerianischen Abgeordneten stand an jenem Tag die Abstimmung über die Neufassung eines Gesetzes, das es Soldaten erlauben sollte, Verdächtige in Gegenden, die von Boko Haram bedroht werden, grundlos zu durchsuchen. Erwartet worden war, dass sich Tambuwal an die Spitze einer Gruppierung setzt, die sich gegen derart weitreichende Befugnisse für die Staatsmacht stellt. Stattdessen feuerte die Polizei mit Tränengas und machte das nigerianische Parlament schließlich dicht.

Das politische Drama in Nigeria ist nur ein weiteres Beispiel für einen beunruhigenden Trend auf dem afrikanischen Kontinent. Auch zwei Jahrzehnte mit Wahlen und wirtschaftlichem Fortschritt in Afrika haben die enorme Macht, die das Militär in vielen Staaten lange innehatte, nicht ausradiert - in großen Ländern ebenso wenig wie in kleinen. In weiten Teilen Afrikas haben die Streitkräfte tatsächlich in den vergangenen Jahren an Einfluss gewonnen, weil der Kampf gegen islamistische Terroristen Priorität hat.

"Es gibt Anzeichen dafür, dass das blutrünstige Wesen der Militärherrschaft" nach Afrika zurückkehre, sagt Larry Diamond, Direktor am Zentrum für Demokratie, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit der Universität Stanford. "Für eine Reihe dieser Länder ist das eine Katastrophe."

Für Freunde der Demokratie sind die 54 Länder Afrikas vermutlich der weltweit wichtigste Testfall, ob repräsentative Institutionen in sich schnell wandelnden Volkswirtschaften mit niedrigem Lebensstand gedeihen können. Staats- und Regierungschefs aus den USA, Europa und Südamerika haben den Kontinent bereist, um für offene, politisch haftbare Regierungen zu werben. Sie wissen, dass Afrikas wichtigster Handelspartner China das konkurrierende Modell einer marktgesteuerten Autokratie anbietet.

Fürs Erste scheint der Vormarsch der Demokratie in Afrika zum Erliegen gekommen zu sein. Im Jahr 1990 waren laut Freedom House, einer Pro-Demokratie-Lobby mit Sitz in Washington, nur drei der damals 48 afrikanischen Staaten Wahldemokratien. Vier Jahre später war diese Zahl auf 18 gestiegen. Zwei Jahrzehnte später fallen lediglich 19 in diese Kategorie.

Soldaten haben seit der Kolonialzeit das Sagen

Diese enttäuschende Bilanz wirft schwierige Fragen darüber auf, ob aus armen Ländern dauerhafte Demokratien werden können. Einige afrikanische Staaten - Botswana und Sambia zum Beispiel - scheinen sich in diese Richtung zu bewegen. Die wachsenden Mittelschichten verlangen hier nach einer größeren Rechenschaftspflicht und Transparenz ihrer Regierungen, der öffentliche Dienst macht schrittweise Fortschritte.

Deutlich mehr afrikanische Länder wie Angola oder Sudan sind jedoch rohstoffreiche Einparteien-Autokratien, die ihre Macht zementiert haben - zum Teil dank hoher Ölpreise und niedrig verzinster Kredite aus China. Einige Politikwissenschaftler hoffen, dass eine schwächelnde chinesische Wirtschaft - und fallen Ölpreise - der Demokratie in Afrika frischen Wind verleihen und geschlossene Regime dazu zwingen könnte, als Gegenleistung für Krediten des Westens Wahlen abzuhalten.

Um die Demokratie zu verbreiten ist es mit Hilfsversprechen und Beifall für Wahlen aber nicht getan, warnen Demokratisierungsexperten. Selbst Hoffnungsträger wie Ghana oder Benin müssen sich einer langen Geschichte als Militärdiktatur stellen, die ihre politische Entwicklung geprägt hat.

In vielen afrikanischen Ländern hatten Soldaten seit den frühen Tagen der Kolonialisierung das Sagen. In m späten 19. Jahrhundert heuerten Europäer Einheimische für neue Streitkräfte an, mit denen sie den gesamten Kontinent eroberten. Während des folgenden Jahrhunderts des Imperialismus nutzten die Europäer diese kolonialen Brigaden, um afrikanische Anwälte, Beamte und Journalisten zu unterdrücken, die für ihre Unabhängigkeit kämpften.

Nachdem dem Zweiten Weltkrieg zogen sich Briten, Franzosen und andere europäische Großmächte zurück. In vielen unabhängig gewordenen Staaten unterdrückten die Militärs die Zivilbevölkerung jedoch weiterhin. Zwischen 1960 und 1990 erlebte Afrika mehr als 60 Putsche, hat die Afrikanische Entwicklungsbank festgehalten. Einige kippten Wahlergebnisse, weil diese den Militärführern nicht schmeckten; andere versprachen, die politische Korruption auszurotten, nur um nach ihrer Wahl selbst korrupt zu werden.

Viele dieser Regime verließen sich auf die Gunst der USA oder Russlands, die aus Zeiten des Kalten Krieges stammt. Die Verbündeten Moskaus fanden sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 allerdings oft in der Pleite wieder; und die USA verloren das Interesse daran, korrupte Regimes wie das in Zaire unter Mobutu Sese Seko zu unterstützen.

In der Ära nach Ende des Kalten Krieges versuchten Dutzende afrikanische Länder ihre finanzielle Not zu besiegen, indem sie als Gegenleistung für US-Kredite und Hilfen Wahlen abhielten. Die Soldaten, die einst das Sagen in Ländern wie Ghana und Nigeria hatten, kehrten in ihre Kasernen zurück. Nach den Anschlägen der al-Qaida am 11. September 2001 unterstützen die USA auf der Suche nach neuen Verbündeten im Kampf gegen den Terror viele afrikanische Regierungen bei der Ausbildung ihrer Truppen.

Im vergangenen Jahrzehnt erwies sich Afrika politisch als vergleichsweise stabil, die afrikanischen Volkswirtschaften zogen an. Dank ihrer üppigen Vorräte an Öl, Gas und Mineralien lockten die Länder des Kontinents 2013 nach Angaben der Vereinten Nationen 56 Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen an - das Dreifache der 18 Milliarden Dollar, die ein Jahrzehnt zuvor investiert worden waren. Das Wirtschaftswachstum, das vor 20 Jahren nahezu stagnierte, wird in diesem Jahr nach Schätzungen der Afrikanischen Entwicklungsbank 5 Prozent erreichen - höhere Wachstumsraten gibt es lediglich in Asien.

Armeen sind stark und gut organisiert

Das Wachstum hat eine neue Mittelschicht hervorgebracht. In Senegal, Uganda, Kenia und andernorts sind junge, weltoffene Verbraucher auf die Straße gegangen, um Demokratien nach westlichem Vorbild zu fordern. Politikwissenschaftler hatten gehofft, dass diese wachsende Bewegung Soldaten davon überzeugen würden, dass sie besser daran täten, die Vorzüge des wirtschaftlichen Aufschwungs von der Seitenlinie aus zu ernten, als sich der Demokratie in den Weg zu stellen.

So ist es in vielen Fällen aber nicht gelaufen. Trotz starken Wirtschaftswachstums bleiben die bürgerlichen Institutionen Afrikas schwach, viele tun sich schwer, Grundbedürfnisse zu erfüllen. Öffentliche Krankenhäuser in Westafrika kämpfen einen verzweifelten Kampf gegen Ebola. Kinderschutzorganisationen müssen hilflos zuschauen, wie sich junge Anhänger islamistischen Rebellengruppen in Nigeria und Kenia anschließen.

Vor diesem Hintergrund schwacher staatlicher Leistungsfähigkeit heben sich Afrikas Armeen mit ihrer militärischen Stärke und ihrer finanziellen Ausstattung hervor. Auch sind sie immer besser organisiert: Die USA haben allein 2013 rund 52.000 afrikanische Soldaten geschult. Kostenpunkt: 99 Millionen Dollar. Die Folge: Wenn Probleme drohen, wenden sich afrikanische Präsidenten ebenso wie Demonstranten an die Institution, die ihnen am durchsetzungsfähigsten erscheint.

"Wenn man unmittelbare Gefahr wittert, ruft man das Militär", sagt Mulbah Morlu, einer der Führer der wichtigsten Oppositionspartei in Liberia. Allerdings scheint das Beispiel seines Landes, wie gefährlich dieser Ansatz ist. Nach dem Ende des 14-jährigen Bürgerkriegs in Liberia im Jahr 2003 beauftragten die USA den Sicherheitsdienstleister Dyncorp International damit, die neue, 2.000 Mann starke Armee des Landes zu schulen. Anderen Institutionen wie dem Gesundheitsministerium wurde kaum Aufmerksamkeit gewidmet.

Die Ebola-Krise hat dieses Versäumnis bloß gelegt. Einige liberianische Ärzte legten ihren Job nieder, als die Epidemie im Juni und Juli um sich griff. Das Gesundheitsministerium hatte Probleme, sich überhaupt einen Überblick zu verschaffen, wie viele Menschen sich kreuz und quer durch das Land bewegten, die den tödlichen Virus trugen. Frustriert rief Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf das Militär zur Hilfe.

Das war der falsche Schritt, sagt Johnson Sirleaf heute. Statt mit dem Virus Erkrankte zu isolieren, stellten ihre Soldaten ganze Stadtviertel unter Quarantäne - einmal feuerten sie dabei in die Menge und töteten einen Teenager. Das verängstigte die Menschen in anderen Gegenden. Sie versteckten ihre kranken Nachbarn und der Virus verbreitete sich umso schneller. "Ich wusste nicht, was ich tun sollte", sagte die Präsidentin kürzlich. "Kapazitäten sind immer ein Problem für uns."

Merkwürdige Allianzen in Burkina Faso

Präsidenten in Not sind aber nicht die einzigen in Afrika, die die Armee zur Hilfe rufen. In einigen der ärmsten Länder des Kontinents - Mali, Guinea und Niger etwa - zeigen sich Demokratiebewegungen offen für Eingriffe des Militärs zum Sturz gewählter Führer. Ein Militärputsch sei in Ordnung, wenn dadurch der demokratische Prozess beschleunigt werde, lautet das pragmatische Motto.

"Die frustrierte Zivilgesellschaft möchte einen Übergangsprozess”, sagt Alex Vines, Afrikaexperte beim Londoner Thinktank Chatham House. "Auf kurze Sicht betrachten sie einen Militärputsch als zielführend."

Jüngstes Beispiel für solche ein Szenario ist Burkina Faso, eine eigentlich ruhige Demokratie im turbulenten Westen Afrikas. Blaise Compaoré, ein ehemaliger Offizier der Armee, hatte vier Wahlen gewonnen und das Land 27 Jahre lang regiert. Laut Verfassung war ihm eine fünfte Amtszeit verwehrt. Als Compaoré versucht, die Verfassung zu seinen Gunsten zu ändern, gingen Zehntausende Menschen auf die Straßen und steckten Regierungsgebäude in Brand. Sie forderten, dass der Präsident die Verfassung akzeptieren solle.

Inmitten des Chaos bildete sich eine merkwürdige Allianz: Die Demonstranten scharten sich hinter Compaorés eigenen Sicherheitskräften. Die Offiziere ergriffen die Macht und versprachen Neuwahlen binnen eines Jahres. Am nächsten Morgen gingen die Aufständischen wieder auf die Straße und begannen zu kehren - ein symbolische Geste, die die neuen Militärherrscher willkommen heißen sollte.

"Es ist so, dass wir in der Zivilgesellschaft darauf bestanden, dass die Armee einschreitet und die Ordnung wiederherstellt", sagt Aristide Zongo, leitender Direktor der burkinischen Vereinigung zur Verringerung der Kindersterblichkeit. "Aus meiner Sicht ist das völlig akzeptabel."

Demokratie-Verfechter hatten sich die Entwicklung in Afrika so allerdings nicht vorgestellt. In den 1990er Jahren hatten Aktivisten mit dem Argument für eine Demokratisierung des Kontinents gekämpft, dass diese den Weg für wirtschaftliche Entwicklung bereiten werde. In ihrem Szenario sollten Wahlen afrikanische Präsidenten rechenschaftspflichtig gegenüber dem Volk machen, was die Staatsführer zu einer verantwortungsvolleren Staatsführung und einem Ausbau der Dienstleistungen für die Bürger bewegen werde. In letzter Konsequenz würden große Unternehmen auf den Kontinent drängen.

Generation der Dauer-Autokraten

Doch dieser Positiv-Kreislauf hat sich nicht eingestellt. Zwar hat das Ende des Kalten Krieges viele afrikanische Autokraten zu Wahlen gedrängt. Allerdings sind die Firmen viel schneller auf dem Kontinent eingefallen, als die Regierungen Fortschritte gemacht haben. Heute expandieren Großkonzerne wie Wal-Mart oder General Electric in Länder, in denen sich die Führer niemals echten Wahlen stellen mussten.

Gewählt wird mittlerweile überall auf dem Kontinent, aber die Glaubwürdigkeit der Wahlen ist sehr verschieden. In einigen Ländern setzen die Herrscher die Sicherheitskräfte ein, um Oppositionsführer zu marginalisieren. Weniger autokratische Staatschefs erkaufen sich die Loyalität des Volks, indem sie Jobs beim Staat und andere Vorzüge verteilen, die selbst in viele Entwicklungsstaaten für Stirnrunzeln sorgen würden.

Derzeit müht sich eine ganze Generation gewählter Führer um eine längere Herrschaft. Im kommenden Jahr werden Faure Gnassingbé in Togo und Joseph Kabila in der Demokratischen Republik Kongo voraussichtlich um eine dritte Amtszeit bemühen - Kabila wird dafür die Verfassung ändern müssen, in Togo gibt es keine Beschränkungen. Beide haben die Macht von ihren Vätern geerbt, die ehemals Militärführer waren.

Andere afrikanische Staatslenker sind noch unbeugsamer. Angolas Präsident José Eduardo dos Santos, gleichzeitig Oberbefehlshaber über die Armee, hat den Ölreichtum des Landes genutzt, um ein Polizeinetz aufzubauen, das politische Rivalen seit mehr als 30 Jahren kaltstellt. Bei den Wahlen im Jahr 2012, die Beobachter als hochgradig mangelhaft bezeichnet, gewann er mehr als zwei Drittel der Stimmen.

In Simbabwe ist Robert Mugabe seit 1980 an der Herrschaft. Vor wenigen Tagen stärkte der 90-Jährige seine Machtposition noch einmal, indem er potenzielle Rivalen aus der Partei ausschloss und seine 49-jährige Frau Grace für einen hochrangigen Posten und somit als mögliche Nachfolgerin in Stellung brachte. Und in Ruanda wird allgemein erwartet, dass der ehemalige Rebellenführer Paul Kagame, der seit 2000 als Präsident an der Spitze des Staates steht, einen Verfassungszusatz erwägt, der es ihm ermöglicht, über das Jahr 2017 hinaus zu regieren, wenn seine zweite siebenjährige Amtsperiode endet. Öffentlich sagt Kagame, er werde das tun, was sich die Ruander von ihm wünschen.

Wie der politische Wind um sie herum gerade weht, ist für Afrikas Staatsführer schwer einzuschätzen, da ihre Staaten sehr junge Bevölkerungen haben. Die Hälfte ist jünger als 19. Für viele von ihnen hat sich das schnellere Wirtschaftswachstum nicht in Form von Jobs oder höheren Lebensstandards bezahlt gemacht. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass sie sich mit den Oppositionsführern identifizieren, die oft genauso alt sind wie die Präsidenten, die sie verdrängen wollen. Einige sehen im Militär die beste unter vielen schlechten Optionen.

Für den Westen und insbesondere die Supermacht USA ist Afrika ein kompliziertes Terrain. Washington möchte Afrikas Zivilgesellschaft stärken, aber auch die Militärs. Auf seinem ersten Besuch auf dem Kontinent im Jahr 2009 erklärte US-Präsident Barack Obama vor dem Parlament Ghanas, "Afrika braucht keine Diktatoren, sondern starke Institutionen". Allerdings fällt in Obamas Präsidentschaft der Aufstieg islamistischer Rebellengruppen wie Boko Haram in Nigeria oder al-Shabaab in Somalia. Ein Großteil des Engagements der USA in Afrika bezieht gilt deshalb der Ausbildung von Soldaten und nicht dem Aufbau von Gesundheitsministerien oder Wahlkommissionen.

Nigerianisches Militär verliert Boden an Boko Haram

Das Ergebnis sind starke Armeen in schwachen Staaten, sagt Sean McFate, der einst für DynCorp Soldaten in Burundi und Liberia ausgebildet hat. "Wenn das Militär die leistungsfähigste Institution ist, wird sich das Land in einer Krise auf diese verlassen - egal, ob es richtig ist oder nicht", meint er.

In Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstem Land, tritt das Militär bis heute protzig auf. Oberflächlich betrachtet ist das Land eine florierende Demokratie: Während der vierjährigen Amtszeit von Präsident Goodluck Jonathan, einem der ersten Staatschefs Nigerias, der nicht dem Militär entstammt, wuchs die Wirtschaft im Schnitt jedes Jahr um 7 Prozent. Die Armee, die das Land von 1966 bis 1999 fast ununterbrochen führte, hat aber nach wie vor beträchtliche Macht. Ein Fünftel des fast 30 Milliarden Dollar schweren Staatshaushalts fließt in die Streitkräfte.

Trotzdem verliert das Militär kontinuierlich Boden an die Boko Haram, eine fanatische Gruppe, die noch vor kurzer Zeit nur mit Pfeil und Bogen sowie Schwertern kämpfte. Soldaten, die sich über fehlende Munition und Panzerwesten beschweren, haben im Norden Nigerias einen Landstrich von der Größe Belgiens aufgegeben. Derweil gebe die Militärführung großzügig Geld für protziges Gerät aus, etwa neue Helikopter russischer Bauart. Einige davon seien jedoch abgestürzt, weil die nigerianischen Offiziere nicht mit den ukrainischen Piloten kommunizieren können, die angeheuert wurden, um die Helikopter zu fliegen, berichtet ein Sicherheitsberater.

Jonathan hat sich vor seine Armee gestellt. Als sich Kashim Shettima, der Gouverneur eines Bundesstaats im Kerngebiet der Boko Haram, über die Korruption beschwerte, die das Militär entkerne, drohte der Präsident im Fernsehen mit dem Abzug der Soldaten, die Shettimas Haus bewachen. Das würde ihn zur Zielscheibe für Angriffe der Boko Haram machen.

"Unsere Soldaten sind nicht in die Politik involviert"

Umgekehrt springt das Militär Jonathan ebenfalls bei. Soldaten haben Oppositionsführer während ihres Wahlkampfs daran gehindert, auf Flughäfen im Land zu landen. Und im Juni konfiszierten Soldaten bündelweise Zeitungen, in denen die Korruption in der Regierung angeprangert wurde (das Verteidigungsministerium begründete den Schritt später damit, dass die Zeitungen genutzt würden, um heimlich die Versorgung der Terroristen im Land zu organisieren).

"Unsere Soldaten sind nicht in die Politik involviert", sagt der Sprecher des nigerianischen Militärs, Brigadegeneral Chris Olukolade. Zu einzelnen Vorfällen wollte er sich nicht äußern. Das Büro des Präsidenten erklärte in einer Stellungnahme: "Dieser Regierung Unterdrückung vorzuwerfen, ist absolut falsch. Im Gegenteil: Diese Regierung war im höchsten Maße tolerant gegenüber der Opposition."

Im Oktober brach Parlamentspräsident Tambuwal mit Goodluck Jonathan. Kurz darauf zog die Polizei die Bodyguards vor seinem Haus ab. Als die Sicherheitskräfte seine Limousine im November an der Vorfahrt vor dem Parlamentsgebäude hinderten, halfen ihm Abgeordnete durch einen Seiteneingang hinein. Die Polizei trieb sie auf und versprühte Tränengas in der Lobby des Gebäudes. Am Mittag wurde die Legislatur der größten Demokratie Afrikas geschlossen.

Boko Haram konnte an diesem Tag ungehindert in das abgelegene Dorf Azaya Kura einfallen. Die Kämpfer töteten mindestens 45 Menschen, ehe sie sich in die Wälder zurückzogen, berichten Einwohner.

—Mitarbeit: Matina Stevis in Johannesburg