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Beitrag vom 09.07.2011

HANDELSBLATT

SÜDSUDAN WIRD UNABHÄNGIG

Eine Sauna im Palast, aber keine Straßen auf dem Land

Afrika bekommt einen neuen Staat: Seit heute ist der Südsudan unabhängig. Die Hauptstadt Juba boomt, doch die alten Konflikte mit dem Norden bleiben. Gestritten wird ums Öl und um die Grenzregion Abyei.

Juba Der Countdown läuft seit Wochen: Mitten in Juba, der jüngsten Hauptstadt der Welt, zählt eine Uhr die Tage und Stunden bis zum 9. Juli herunter. Heute ist es so weit: Der Südsudan wird zum 54. Staat Afrikas - und löst sich offiziell vom sudanesischen Zentralstaat im Norden und der dortigen Regierung in Khartum. Direkt neben dem Denkmal von John Garang, dem 2005 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommenen Vorkämpfer für die Unabhängigkeit des Südens, haben Bauarbeiter eine Tribüne errichtet, auf der am Wochenende die vielen Ehrengäste der Feierlichkeiten Platz nehmen werden.

Mehr als 95 Prozent der vier Millionen wahlberechtigten Südsudanesen hatten zu Jahresbeginn in einem Referendum für die Unabhängigkeit der ölreichen aber ansonsten bitterarmen Region votiert. Die Abstimmung war Teil eines im Jahre 2005 zwischen dem muslimischen Norden und christlichen Süden geschlossenen Friedensabkommens, das einen mehr als 20 Jahre langen Bürgerkrieg beendete. Insgesamt waren dabei mehr als zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen.

Juba macht sich seit Wochen für den großen Tag am Wochenende fein. Mit ungewohntem Eifer fegen Putzkolonnen den Abfall von den Straßen, Fahnenmasten werden geschmückt, Regierungsgebäude angestrichen. Kaum eine andere Stadt ist in Afrika in den letzten fünf Jahren so rasant gewachsen wie die neue Hauptstadt des 196. Staates der Welt. Wo einst Gewitterregen die Sandpisten in riesige Seenlandschaften verwandelten, verlaufen heute zumindest ein paar geteerte Straßen - die größte vor dem Präsidentenpalast, der in einem frisch renovierten Kolonialgebäude liegt. Selbst an eine Sauna haben die Architekten gedacht, obwohl bei Außentemperaturen von 35 Grad ein solcher Luxus eigentlich nicht unbedingt notwendig wäre.

Seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages ist die nahe der Grenze zu Uganda und Kenia gelegene neue Hauptstadt nicht wiederzuerkennen: Noch 2005 war Juba einer der unwirtlichsten Orte der Welt und kaum mehr als eine Ansammlung von Lehmhütten und Schotterpisten. Im gesamten Südsudan gab es damals ganze vier Kilometer geteerte Straße - in einem Gebiet von der doppelten Größe Deutschlands. Auch Unterkünfte suchten Besucher damals vergeblich.

Heute boomt Juba. Überall schießen fast immer von Ausländern betriebene Restaurants und Hotels aus dem Boden. Die neue Abfertigungshalle am Flughafen ist zwar noch immer ein Rohbau, doch betonieren chinesische Arbeiter gerade große Flächen um die Halle, um genug Parkplätze für die Maschinen zu schaffen, die hier am Wochenende erwartet werden.

Mit dem Aufschwung kommen allerdings auch viele neue Probleme. In der ganzen Region hat es zuletzt nur eine einzige größere Privatinvestition gegeben: Der südafrikanische Biergigant SAB Miller hat vor zwei Jahren rund 45 Millionen US-Dollar in eine neue Brauerei gesteckt, die für die Bierherstellung mehr Strom erzeugt als ganz Juba für seine 750.000 Menschen. Auch der Verkehr hat stark zugenommen. Allerdings sind die meisten Straßen noch immer ungeteert und versumpfen bei Regen schnell. Und trotz des vom Ölreichtum geschürten Baubooms leben die meisten Menschen noch immer in traditionellen Lehmhütten mit Strohdach. Hochhäuser gibt es keine.

Öleinnahmen: Sechs Milliarden Dollar seit 2006
Mit der Unabhängigkeit des neuen Staates kämpfen die einstigen Rebellen der SPLM nun auch nicht mehr gegen das arabische Regime im Norden - sondern gegen die Löcher in den Straßen und den eklatanten Mangel an Strom und Wasser. Es ist ein ungleich schwierigerer Kampf: Wie so oft in Afrika endet der "Neue Sudan", den seine Politiker den Menschen versprochen haben, gleich hinter dem modernen Regierungsviertel im Herzen der Stadt. Fast alles Geld ist in den Aufbau der Hauptstadt geflossen - und der Rest des Landes darüber vergessen worden.

Die vielen Hilfsorganisationen aus aller Welt klagen über das von der neuen Regierung eingeschlagene Schneckentempo. Einen echten Anreiz zur Eile haben die neuen Machthaber aber auch nicht: Die Hilfe aus dem Ausland scheint für den Süden so sicher einzutreffen wie die Regenzeit. Fast 20 Jahre lang haben die Vereinten Nationen den Südsudan während des Bürgerkriegs durchgefüttert - eine Gegend, die zu den fruchtbarsten in Afrika zählt. Die Landwirtschaft scheint den früheren Rebellen jedenfalls nicht am Herzen zu liegen. Immerhin hat der Süden in den letzten fünf Jahren rund sechs Milliarden US-Dollar vom Norden aus den zur jeweils zur Hälfte geteilten Öleinnahmen erhalten. Dabei liegen rund 80 Prozent der gesamtsudanesischen

Ölvorkommen im neuen Staat.
Die (bisherige) Teilung der Einnahmen erklärt sich damit, dass die Pipelines alle durch den Norden laufen - in die Hafenstadt Port Sudan. Bereits jetzt gibt es heftigen Streit über den künftigen Verteilungsschlüssel für die Ölgelder, die sowohl für den Norden wie den Süden überlebenswichtig sind. Schon weil Khartum immer wieder mit der Sperrung der Leitungen droht, will der Süden so schnell wie möglich eine neue Leitung an die kenianische Küste bauen. Doch das wird Jahre dauern - und sehr viel Geld kosten.

Neben dem Öl gibt es weitere Hürden: Erst im Mai besetzte Khartum die umstrittene Region Abyei im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan. Dann ließ Khartum Wohngebiete in dem eigenen Gliedstaat Südkordofan bombardieren, obwohl dessen Zugehörigkeit zum Norden vertraglich garantiert ist. Offenbar will Khartum frühzeitig gegen dort noch ansässige Rebellen vorgehen, um nach der Abspaltung des Südens nicht gleich einen neuen Unruheherd im verbliebenen nördlichen Rumpfstaat zu haben.

Schon jetzt droht der Ölreichtum aber auch im Süden die Sitten zu verderben - die Korruption steigt. Eignung und Erfahrung spielen bei der Postenvergabe kaum eine Rolle. Einziges Einstellungskriterium in der Verwaltung ist oft die familiäre Bande zu einem der Führer der regierenden SPLM. Auch versucht die Volksgruppe der Dinka, die größte im neuen Staat, sich die lukrativsten Posten im Staatssektor zu sichern. Und schließlich fehlen im neuen Staat die benötigten Fachkräfte. Die meisten Menschen hier kennen nur den Kampf mit der Waffe.
John Garang hatte genau davor gewarnt. Der vor sechs Jahren umgekommene Führer der Südsudanesen hatte große Visionen für den neuen Staat, aber auch Ängste. "Jedes einzelne Wort des Friedensabkommens mit dem Norden muss in die Tat umgesetzt werden", steht auf einer Betonplatte an seinem Grab. Das "Licht der Hoffnung" solle die Welt daran erinnern. Doch der Hass auf den arabischen Norden wird künftig nicht reichen, um die vielen Völker des Südens zu vereinen. Sie müssen nun zeigen, dass sie nicht nur kämpfen, sondern auch bauen können.