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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 12.07.2025

Achgut.com

Neue Entwicklungsministerin – alter Größenwahn

Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) hat eine führende Rolle Deutschlands nach dem Rückzug der USA in der internationalen Entwicklungshilfe gefordert. Es wäre aber deutlich zielführender, sich endlich mit den Realitäten zu befassen.

von Volker Seitz

„Viele schauen auf uns, wenn es darum geht, Orientierung zu geben, globale Standards zu setzen, Partnerschaften zu stärken und gemeinsame Lösungen zu entwickeln“, sagte die Ministerin am Mittwoch, dem 9. Juli 2025, in der Haushaltsdebatte im Bundestag.

Alle führenden Medien haben diese Aussagen ohne Kommentar und Nachfrage weitergegeben. Niemand fragt, weshalb das kleine Deutschland „Orientierung geben und globale Standards“ setzen solle. Dieser Geltungsdrang, gepaart mit moralistischem Rigorismus (deshalb schaut man auf uns), wird nach meiner Beobachtung im Ausland nur belächelt. Es wird höchste Zeit, sich mit den Realitäten in Afrika (dort fließt die meiste „Hilfe“ hin) zu beschäftigen, bevor weitere Millionen an Autokraten fließen. Wir brauchen dringend ebenso wie die USA eine grundlegende und ernsthafte Überprüfung und Kontrolle der entwicklungspolitischen Aktivitäten, bevor neue – schuldenfinanzierte – Mittel in nicht taugliche Projekte fließen. Auch muss künftig sichergestellt werden, dass das Ausmaß der Zweckentfremdung von deutschen Steuergeldern deutlich unter dem ortsüblichen Maß ist.

Kein ernstzunehmender Journalist hat die jeweiligen Minister je gefragt:

Warum gehen drei Viertel aller Entwicklungsprojekte in Afrika schief?
Warum durch die Hilfe nicht die individuellen und gesellschaftlichen Eigenanstrengungen, besonders durch Bildung und bessere Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Tätigkeit, gestärkt werden konnten.
Warum wurden Infrastrukturprojekte nicht nur in Ländern, in denen bereits früher errichtete Anlagen dauerhaft instandgehalten werden, finanziert, um dadurch möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen?
Warum wurde die verschwenderische Konkurrenz der EU und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber den Entwicklungsländern nicht beendet?

Warum bekommen Länder Entwicklungshilfe, die nicht bereit sind, ihre Einkünfte aus Bodenschätzen offenzulegen?
Warum wurde die Hilfe für Länder, die sich selbst helfen können, wie China und Indien, nicht längst beendet?
Was wäre zu tun?
Ich sehe Entwicklungshilfe vor allem in Afrika nicht nur kritisch wegen ausbleibender Erfolge, sondern auch, weil Fördergelder oft nur dazu benutzt wurden, ein System klientelarer Beziehungen in einem Land zu bedienen.

Ein wirklich neuer Ansatz könnte sein, dass – mit einem Pilotprojekt – die Informationen über jedes einzelne Projekt im Internet zugänglich gemacht werden, natürlich auch der wirtschaftliche Zweck, die Kosten und die Leistungen des Landes. Die privaten lokalen Medien – die bis heute oft von den Informationen ausgeschlossen werden – könnten zu aufmerksamen Beobachtern werden.

Zugleich erhielten alle Beteiligten eine Gelegenheit, ihre Beobachtungen und Meinungen einzubringen. Dann würde dafür gesorgt, dass die staatlichen Behörden auf die Wünsche, Bedürfnisse, Initiativen und Ideen der Bevölkerung eingehen und sie so gut wie möglich erfüllen. Dies würde ihnen die Selbstbestimmung und Mitgestaltung ermöglichen. Entwicklungshilfeorganisationen und die Regierung könnten dadurch deutlich Verantwortung und Transparenz verbessern. Nur dann könnte man von Entwicklungshilfezusammenarbeit und nicht von Entwicklungshilfe sprechen. „Heute ist Entwicklungshilfe immer dort schädlich, wo sie eigenständiges Handeln lähmt und zum Warten auf fremde Hilfe erzieht“, sagt der Afrikanist Professor Nuscheler.

Die reichen Vielfalt Afrikas unterstützen
Auch müssten Regierungen nicht mehr Hand aufs Herz schwören, sie würden die Korruption bekämpfen. Und die Geber nicht mehr vorgeben, als glaubten sie ihnen. Überzeugen kann das aber nur, wenn am Ende eine echte Einsicht dahintersteht. Wer es wirklich gut meint mit Afrika, der sollte die Entfaltung der menschlichen Potenziale, die sich aus der reichen Vielfalt Afrikas ergeben, unterstützen.

Es hat keinen Sinn, erst über Beträge zu sprechen und dann über Aufgaben, die damit finanziert werden sollen. Das Schlimmste an der Diskussion: Sie konzentriert sich auf finanzielle Größen – und leistet dem verheerenden Denken Vorschub: Mehr Geld bringe mehr, und mehr Geld bedeute mehr Entwicklung.

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, dass sich Entwicklung von außen nicht steuern lässt, werden nicht zur Kenntnis genommen. Es gibt keine überzeugenden Argumente für immer mehr Geld, wenn die Impulse für Entwicklung nicht aus dem Land selbst kommen. Statt immer mehr Geld zu fordern, wäre es sinnvoll, endlich mal die zahlreichen Leistungen (allein Deutschland gibt – trotz leichter Kürzung – 2025 immer noch bilateral jährlich über 10 Milliarden Euro), die es jetzt gibt, ernsthaft und vor allem unabhängig auf ihre Tauglichkeit und Zielgenauigkeit zu prüfen.

Wäre es nicht wichtig zu wissen, weshalb drei Viertel aller Entwicklungsprojekte in Afrika schiefgehen? Wenn dies nicht endlich unabhängig geprüft werden kann, werden weiter eine passive Bedienungsmentalität und eine kleine Geldelite gefördert. Es fehlt vielerorts in Afrika an gemeinwohlorientiertem Handeln und echten Kontrollinstanzen repräsentativ-demokratischer Prozesse. Es gibt keine grundsätzliche Überarbeitung der Konzepte oder eine inhaltliche Anpassung, da es keine Wirkungsstudien über die seit Jahrzehnten gegebene Hilfe gibt. Gerne wird übersehen, dass fast alle mit staatlicher, ausländischer oder privater Hilfe errichteten Projekte nicht mehr weitergeführt werden, wenn ausländische Subventionen versiegen.

Helfer haben kein Interesse daran, bei Misserfolgen auszusteigen
Unter Qualitätsmanagement verstehe ich, dass es Fehleranalysen und Wirkungskontrollen geben muss, um die Effizienz der Hilfe zu erhöhen. Anhand eines „Archivs des Scheiterns“, wie ich es in meinem Buch genannt habe, muss diese Analyse auch dazu führen, dass sich die Methoden ändern. Bei den Programmen der deutschen und europäischen Entwicklungshilfe sollte größerer Wert als bisher darauf gelegt werden, nachvollziehbare Zwischenschritte einzubauen, die jeweils mit festen Zielvorgaben verbunden sind. Bei Nichterreichen der Ziele müssen in jedem Fall spürbare Konsequenzen vorgesehen sein, bis hin zum Ausstieg.

Instrumente, die eine solche Kontrolle nicht zulassen, sollten gemieden werden. Wichtig sind die Weiterentwicklung und ständige Infragestellung der eigenen Ansätze und Methoden. Wohltätigkeit beseitigt nicht die Wurzeln der Armut. Hilfsorganisationen sind zu sehr auf soziale Hilfe konzentriert und wachstums- und wirtschaftsfeindlich eingestellt. Bevor man über eine Erhöhung von Entwicklungshilfe redet, sollte man sich auf die Mittel konzentrieren, die auch wirklich Effekte bringen.

Es gibt keine Organisation, die die Frage beantworten kann, wann Entwicklungshilfe zum Beispiel in dem Land X eingestellt werden könnte. Natürlich auch, weil sich die Frage niemand stellen will. Auch das BMZ nicht. Die Kontrolle der entwicklungspolitischen Aktivitäten ist deshalb unterentwickelt, weil die Durchführungsorganisationen sich zum größten Teil immer noch selbst begutachten und von der Hilfe leben. essen ist Entwicklungshelfer haben ein wesentliches Interesse daran, für den Rest des Arbeitslebens in der Entwicklungshilfe zu bleiben. Die Arbeitsplätze der Helfer hängen von der Fortsetzung der Hilfsprojekte ab. Infolgedes nicht ihr Interesse, die Zelte in einem Land abzubrechen.

Armut wird gerne der Fürsorge der Industrieländer überantwortet
An Geld mangelt es nach meinen Erfahrungen kaum einer Hilfsorganisation auf dem Kontinent. Aber es fehlt immer öfter an Möglichkeiten, den Zustrom des Geldes sinnvoll einzusetzen. Afrikanische Regierungen und die Entwicklungshilfeindustrie sollten nicht mehr an ihren Versprechungen, sondern an ihrer Bilanz gemessen werden.

Noch gibt es viele Entscheidungsträger in Afrika, die nicht das karge Leben ihrer Mitmenschen kennen. Dieses ist von Erniedrigung, Entbehrung und harter Arbeit gekennzeichnet. Machteliten handeln eher im Eigeninteresse, statt das Gemeinwohl zu fördern. Deshalb fließt das Geld aus Rohstoffen nicht in gute Straßen, in die Strom- und Wasserversorgung, in die Landwirtschaft und in saubere Städte. Selbst in eigentlich wohlhabenden Ländern wie dem Kongo, Gabun, Äquatorialguinea, Angola und Nigeria leben die meisten Menschen in bitterer Armut. Letztere werden gerne der Fürsorge der Industrieländer überantwortet, und wir machen das Spiel mit.

Viele afrikanische Regierungen sehen in der Forderung nach Korruptionsbekämpfung in erster Linie eine Einmischung in interne und politisch sensible Angelegenheiten. Man erwartet von uns, dass wir das Wohl der Machteliten nicht durch unbequeme Fragen nach dem Volkswohl stören. Was wir bei unseren eigenen Regierungen für selbstverständlich erachten und kritisch beobachten, fordern wir in Afrika nicht ein: Zu einer guten Regierungsführung gehört zuallererst, die eigene Bevölkerung nicht zu missachten. Zu Reformen sagen sie regelmäßig Ja, ohne sie anwenden zu wollen. Jede Kritik wird als destruktiv angesehen. Folglich machen wir eilfertig Zugeständnisse, die prompt darauf getestet werden, ob sie nicht ausbaufähig sind. (Das kennen wir inzwischen auch in der EU)

Aber die langjährige Duldung der autoritären Regime in Afrika wird Europas Regierungen einholen.Was können wir tun? Die effizienteste Hilfe ist die Bildungs- und Wirtschaftsförderung. Ein größerer Teil der Milliarden Euro europäischer und deutscher Hilfe könnte in Risikokapital umgewandelt werden. Mit Hilfe bei der Aufstellung von Businessplänen könnten freies Unternehmertum gefördert und damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit Krediten könnten dann beispielsweise Konserven-, Seifen- oder Zementfabriken errichtet werden. Arbeitsplätze könnten die Menschen aus der Armut befreien.

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Volker Seitz ist Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage).