Beitrag vom 26.03.2024
NZZ
Vom Gefängnis in den Präsidentenpalast
In Senegal gewinnt der 44-jährige Oppositionskandidat Bassirou Diomaye Faye die Wahl mit grossem Vorsprung
Samuel Misteli, Nairobi
Es liegen nur ein paar hundert Meter zwischen dem Ort, wo Bassirou Diomaye Faye die letzten elf Monate verbrachte, und dem, wo er künftig arbeiten wird. Und doch Welten: Bis vor wenigen Tagen sass Faye im Gefängnis, nun zieht er in den Präsidentenpalast ein. Der Kandidat von Senegals Regierungskoalition, Amadou Ba, hat seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl vom Sonntag eingestanden. Ein offizielles Resultat liegt noch nicht vor. Aber laut senegalesischen Medien führt Faye mit 57 Prozent der Stimmen und dürfte locker das absolute Mehr erreichen, das er für einen Sieg im ersten Wahlgang benötigt.
Ungewöhnlicher Machtwechsel
Der 44-jährige Faye, der bis vor kurzem relativ unbekannt war, wird damit der fünfte Präsident von Senegal, einer früheren französischen Vorzeigekolonie mit 17 Millionen Einwohnern. Faye gewann eine Wahl, die mehrere verrückte Wendungen nahm. Die meisten Experten hatten damit gerechnet, dass die Wahl erst im April in einer Stichwahl entschieden würde.
Fayes Sieg ist auch einer für die senegalesische Demokratie. Das Land hat eine starke Zivilgesellschaft und nie einen Militärputsch erlebt. Das macht Senegal zu einer Ausnahme in Westafrika, gerade in den letzten Jahren, in denen Militärs in einer Reihe von Ländern die Macht ergriffen. In den vergangenen drei Jahren hatte aber auch Senegals Demokratie Schaden genommen. Das lag vor allem an Präsident Macky Sall, der seit 2012 regierte und damit liebäugelte, für eine verfassungswidrige dritte Amtszeit zu kandidieren. Bei Protesten wurden seit 2021 Dutzende von Demonstranten getötet. Hunderte von Oppositionellen wurden inhaftiert.
Wenige Wochen vor der Wahl, die eigentlich auf den 25. Februar angesetzt war, erklärte Präsident Sall, die Wahl werde auf Dezember verschoben. Die Opposition sprach von einem «Verfassungscoup». Es folgten neue Proteste, internationaler Druck und schliesslich ein Entscheid des Verfassungsgerichts. Dieses erklärte die Verschiebung für widerrechtlich. Sall lenkte ein.
Ein Ersatzkandidat
Dass Faye so deutlich gewann, dürfte mit der Unbeliebtheit von Macky Sall zusammenhängen. Dieser hatte einst gesagt, ein Präsident, der sein Mandat entgegen dem Gesetz zu verlängern versuche, verliere seine Legitimität. Im Verlauf seiner zwölf Jahre an der Macht änderte er seine Meinung aber offenbar.
Salls Nachfolger ist nicht die grosse Figur der senegalesischen Opposition. Das ist Ousmane Sonko, ein 49-jähriger Populist, der wie Faye einst Steuerinspektor war. Sonko wurde jedoch von der Wahl ausgeschlossen, weil er 2023 wegen «Verführung Minderjähriger» verurteilt worden war. Ihm wurden sexuelle Übergriffe gegen eine Mitarbeiterin eines Massagesalons vorgeworfen. Sonko bezeichnete die Anklage als politisch motiviert.
Weil Sonko nicht zur Wahl antreten konnte, kürte seine Partei, die 2023 verbotene Pastef, Sonkos Weggefährten Faye zum Kandidaten. Weder Sonko noch Faye machten ein Hehl daraus, wer der eigentliche Oppositionsführer sei. Sonko bezeichnete Faye als «Plan B». Faye wiederum bezeichnete sich in Interviews als «Ersatzkandidaten».
Fayes Bekanntheit stieg in den Monaten vor der Wahl auch, weil er wie Sonko inhaftiert war. Die Behörden warfen Faye unter anderem Verleumdung und das Verbreiten von Falschnachrichten vor. Faye und Sonko kamen nur zehn Tage vor der Wahl frei. Sie profitierten von einem Amnestiegesetz, das Sall im letzten Moment angeregt hatte, angeblich um die Spannungen zu entschärfen.
Faye wird beweisen müssen, dass er mehr ist als ein Stellvertreterpräsident. Seine Wahl dürfte in Frankreich und bei internationalen Investoren Sorgen auslösen. Faye vertritt ein Programm, das sich gegen die etablierten Eliten richtet und auf mehr nationale Souveränität pocht. Er will zum Beispiel prüfen, ob die Währung CFA ersetzt werden soll. Diese wird in 14 afrikanischen Ländern benützt, sie stammt noch aus der Kolonialzeit und ist an den Euro gebunden.