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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 07.03.2024

spiegel.de (Globale Gesellschaft)

Europas Scheitern in der Sahelzone

Endlich raus aus Frankreichs Schatten

Die Sahelzone brüskiert den Westen und wendet sich Russland zu. Für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ist das ein außenpolitisches Desaster. Deutschland muss daraus lernen.

Eine Analyse von Heiner Hoffmann, Niamey (Niger)

Punkt 19 Uhr, das Abendprogramm läuft im staatlichen Fernsehkanal Télé Sahel. Plötzlich ertönt pathetische Musik, die Staatschefs von Burkina-Faso, Niger und Mali sind zu sehen. Die drei Länder verbindet etwas: Sie werden geführt von Militärregierungen, die sich an die Macht geputscht haben.

Télé Sahel zeigt Fotos der neuen Machthaber in Uniform, sie schütteln Wladimir Putin die Hand. »Eine neue Ära der Kooperation« steht in großen Buchstaben darunter. Die drei Länder haben eine neue Staatengemeinschaft gegründet, die »Allianz der Sahel-Staaten«. Und Russland soll offenkundig enger Partner werden, in Burkina-Faso und Mali sind bereits russische Uniformierte oder Söldner vor Ort; Niger hat angekündigt, die militärische Zusammenarbeit deutlich ausbauen zu wollen.

Es ist eine drastische Wende. Bis zum Putsch im Juli 2023 war Niger engster Partner Europas in der Sahelzone. Das Land stoppte im Auftrag Brüssels Migranten auf dem Weg Richtung Mittelmeer, beherbergte französische Truppen, die von hier aus ihren Kampf gegen dschihadistische Terroristen führten. Kurzum: Niger hatte für den Westen eine zentrale strategische Bedeutung. Doch damit ist nun Schluss.

Am Eingang der französischen Botschaft in Niamey sieht man noch immer die Spuren der Verwüstung. Wütende Protestierende hatten sie direkt nach dem Putsch angegriffen. Einige in der Menge schwenkten russische Fahnen. »Der letzte Mitarbeiter ist im Laufschritt abgehauen«, erzählt ein Polizist, der das leere Gebäude nun bewacht. Er grinst dabei und ist mit dieser Entwicklung sichtlich zufrieden. Die Botschaft ist noch immer geschlossen. Die französischen Soldaten sind aus dem Land abgezogen.

Der Hass auf Frankreich kommt nicht von ungefähr: Auch nach der Unabhängigkeit Nigers 1960 gerierte sich Paris als eine Art natürliche Schutzmacht, beutete die Uranvorkommen des Landes aus, ohne dass die lokale Bevölkerung davon profitiert hätte. Niger gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Das Konzept Françafrique, der Einfluss Frankreichs auf dem afrikanischen Kontinent, ist am Ende. Es ist für Paris ein diplomatisches Desaster, dessen Dimension sich kaum überschätzen lässt.

Aboubakar Diallo sitzt im Schatten seines Hinterhofs in der Hauptstadt Niamey, ein großes Metalltor schirmt ihn vom Lärm der Straße ab. Diallo hat schon viel erlebt in seiner Heimat, er hat im Auftrag der Regierung öfter mit Dschihadisten verhandelt, um Frieden zu schließen. Der 48-Jährige glaubt, dass der Rauswurf der französischen Truppen ein Fehler war, der die Unsicherheit im Land weiter verschärfen könnte. »Die Leute lehnen Frankreich ab, weil sich die französische Regierung in die Politik unseres Landes eingemischt hat, in unsere Wirtschaft. Das war ein großer Fehler von Paris. Aber jetzt die Russen zu holen, macht doch nichts besser«, sagt er.

Emmanuel Macron reagiert bislang jedenfalls trotzig. Keinen Kontakt zur Junta in Niger, keine Verhandlungen – so war nach dem Putsch die strikte Linie. Der Rest Europas folgte zunächst, auch in Ermangelung einer eigenen Strategie in der Sahelzone. Doch spricht man mit Diplomaten in Niamey, deutet sich langsam ein Umdenken an. Einige Länder wollen sich wieder annähern, entgegen dem Willen Frankreichs. Auch die EU hat inzwischen beschlossen, eine »transaktionale Strategie« zu fahren, wie es im Beschluss des letzten Außenratstreffens in Brüssel heißt. Soll heißen: Gespräche mit der Junta sind wieder möglich.

Die Militärregierung in Niger hat jedenfalls einen wirkungsvollen Hebel: die Angst Europas vor Migranten. Agadez im Osten des Landes war einst Drehkreuz für Menschen aus Subsahara-Afrika auf dem Weg nach Norden. Dann machte die ehemalige Regierung unter Mohamed Bazoum im Auftrag Brüssels dicht, erhielt im Gegenzug mehr als eine Milliarde Euro an Hilfsgeldern. Das Gesetz 2015-36 wurde erlassen, es stellte den Transport von Migranten fortan unter Strafe. Beliebt war dieser Deal im Land nie, schließlich kostete er vielen die Existenz. Die EU versprach, die Verluste auszugleichen, doch passiert ist nur wenig.

Die neue Junta schaffte das Gesetz also postwendend wieder ab. Die Zahl der Migranten, die Niger durchreisen, oft auf dem Weg nach Europa, steigt nun wieder an – und damit auch der Puls in Brüssel. Der neue Machthaber General Abdourahamane Tchiani weiß, wo die wunden Punkte der Europäer liegen und setzt das wirkungsvoll ein. Erdo?an und andere Autokraten dienen als Vorbilder. Bei denen hat es schließlich auch funktioniert: Europa schickte viel Geld, damit die Migranten fernbleiben, schaute bei Menschenrechtsverstößen auch mal weg.

Die Strategie der Militärregierung scheint aufzugehen. Brüssel und die EU-Mitgliedstaaten haben großes Interesse daran, mit der Junta ins Gespräch zu kommen. Der deutsche Verteidigungsminister reiste im Dezember gar nach Niamey, um über die Zukunft des Bundeswehr-Lufttransportstützpunkts auf dem Flughafen der Hauptstadt zu verhandeln.

Doch die Regierung in Niamey macht es Europa nicht gerade leicht, diesen Entspannungskurs fortzuführen: Sie agiert geradezu erratisch. Das hat auch die EU-Ausbildungsmission Eucap Sahel zu spüren bekommen, die seit zwölf Jahren Polizisten in Niger im Kampf gegen Organisierte Kriminalität und in Sachen Grenzschutz trainiert hat. Mitte Februar rückten plötzlich nigrische Sicherheitskräfte in der Eucap-Zentrale ein, durchsuchten stundenlang jeden einzelnen Raum, beschlagnahmten gar die Dienstwaffen. Stärker kann man einen einstigen Partner kaum vor den Kopf stoßen. Doch selbst angesichts eines solchen Affronts brauchte Brüssel ein paar Tage, um den Vorfall zu verurteilen – die Diplomaten stehen mit dem Rücken zur Wand.

Auch die Westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas steht blamiert da. Nach dem Putsch drohte sie sogar mit einer militärischen Intervention im Mitgliedstaat, verhängte scharfe Sanktionen, die Grenzen wurden geschlossen. Doch die Maßnahmen bewirkten in Niger das Gegenteil: Die Bevölkerung solidarisierte sich mit der Junta, die Stimmung schlug noch stärker gegen das vermeintlich prowestliche Staatenbündnis Ecowas um. Inzwischen sind die Sanktionen wieder aufgehoben. Die Junta treibt ihre Gegner erfolgreich vor sich her.

Spricht man in Niamey mit Bewohnerinnen und Bewohnern, ist das Verständnis für die neuen Machthaber groß. Tief sitzt der Unmut gegen die frühere Regierung, gegen die unvorteilhaften Deals, die sie mit dem Westen geschlossen hatte.

Maikoul Zodi jedenfalls hat große Ideen für sein Land. Er leitet die »Patriotische Front für die Unabhängigkeit«, ein Junta-nahes Netzwerk aus zivilgesellschaftlichen Organisationen. Es versteht sich als eine Art Thinktank für ein neues Niger unter den Militärs. Zodi liefert ein schmissiges Zitat nach dem anderen, manchmal wird er laut, vor allem, wenn es um Frankreich geht.

»Wir waren vor dem Putsch kolonialisiert«, skandiert er, »die Armee hat uns vor dem Joch des französischen Imperialismus gerettet.« Es ist keine radikale Einzelmeinung. Man wolle jetzt »tabula rasa« machen, sagt Zodi. Soll heißen: Die Zusammenarbeit mit früheren Partnern müsse komplett neu verhandelt werden. Die Deutschen seien immerhin besser als die Franzosen, meint der Aktivist: »Sie respektieren die Souveränität unseres Landes.«