Beitrag vom 16.10.2023
welt.de
VIRCHOW-PREISTRÄGERIN ROSE LEKE
„Manche nutzen Moskitonetze zum Fischen“
Von Norbert Lossau
In Berlin ist der mit 500.000 Euro dotierte Virchow-Preis an eine Wissenschaftlerin aus Kamerun verliehen worden. Professor Rose Leke wurde für ihre Beiträge zur Malariaforschung und die Förderung von Frauen in der Wissenschaft ausgezeichnet.
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Für „bahnbrechende Pionier- und Forschungsarbeit“ im Kampf gegen Malaria ist die kamerunische Immunologin Rose Gana Fomban Leke am Samstagabend im Roten Rathaus von Berlin mit dem Virchow-Preis für Globale Gesundheit ausgezeichnet worden. Ihre Forschung habe erheblich zum Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Erregern, Wirten und Umweltfaktoren beigetragen, lautete die Begründung der Virchow Foundation for Global Health für den mit 500.000 Euro dotierten Preis. Zudem sei Leke auch ein Vorbild für heranwachsende Mädchen und Frauen in Kamerun, in Afrika und der ganzen Welt geworden.
WELT: Wann haben Sie sich dafür entschieden, Forscherin zu werden?
Rose Gana Fomban Leke: Als ich ein Kind war, konnte ich mit dem Wort Forscherin noch gar nichts anfangen. Womit ich jedoch bereits in jungen Jahren konfrontiert wurde, ist die Krankheit Malaria. Ich selbst war mehrmals betroffen und die meisten anderen Kinder auch. Meine Mutter steckte mich, wenn ich Malaria hatte, unter eine Decke mit einem Topf heißen Wassers, um so das Schwitzen zu fördern. Schon damals war ich sehr neugierig und wollte wissen, was Malaria verursacht und was man möglicherweise dagegen tun kann. Erst später, als ich an der Universität studierte, wurde mir bewusst, dass es so etwas wie Forschung gibt und dass dies die Möglichkeit ist, Antworten auf jene Fragen zu finden, die ich mir bereits als Kind gestellt hatte. Und so wurde ich Malaria-Forscherin. Heute kann ich aus wissenschaftlicher Sicht bestätigen, dass das Vorgehen meiner Mutter und das Schwitzen eine gute Maßnahme gegen Malaria war.
WELT: Sie haben in den USA studiert. Wie kam es dazu?
Leke: Nach meiner Schulausbildung in Kamerun habe ich mit um ein Stipendium in den USA beworben, das speziell an Studierende aus Afrika vergeben wird. Von mehr als hundert Bewerbern in Kamerun überstanden die erste Auswahlrunde mit den schriftlichen Arbeiten 17 Jungen und ein Mädchen – das war ich. Wir wurden zur nächsten Runde eingeladen, zu einem persönlichen Interview. Alle männlichen Bewerber bestanden, nur ich fiel durch. In den USA war man mit dieser Entscheidung nicht glücklich und es wurde ein Sondergesandter extra für meinen Fall aus Washington nach Kamerun geschickt. Der machte mit mir ein Interview und entschied, dass auch ich ein Sonder-Stipendium erhalten werde – auch wenn ich von offizieller Seite in Kamerun nicht ausgewählt worden war. Ich habe dann mein gesamtes Studium in den USA und in Kanada gemacht. Beim Master ging es bereits um das Thema Malaria. Schon damals haben Forscher versucht, einen Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln. Da kann man sehen, wie lange es dauert, bis aus Grundlagenforschung tatsächlich in der Praxis einsetzbare Präparate werden. Für meine Doktorarbeit bin ich zur Universität in Montreal gewechselt. Da habe ich Malaria bei Mäusen erforscht – unter anderem, was bei Malaria in der Leber passiert. Nach der Doktorarbeit ging ich zurück nach Kamerun und habe meine Forschungsarbeiten zur Malaria beim Menschen fortgesetzt.
WELT: Ein Forschungsschwerpunkt wurde dann Malaria bei Schwangeren?
Leke: Das ist richtig. Mein Ehemann ist Gynäkologe und wir sprachen damals über das Thema Malaria und Schwangerschaft. Klar war, dass eine Malaria-Infektion dazu führen kann, dass eine schwangere Frau ihr Baby bei einer spontanen Fehlgeburt verliert. Ich wollte mehr darüber wissen. Zuerst musste man aber verlässlich wissen, ob eine Schwangere Malaria hat. Heute gibt es Schnelltests, die leicht anzuwenden sind. Doch damals musste man eine Blutprobe nehmen und diese unter einem Mikroskop anschauen. Das war die einzige Methode. Wir haben bei 1000 Frauen nach der Entbindung zum einen Blut aus der Plazenta und zum anderen aus einem Finger entnommenes Blut untersucht. Das spannende Ergebnis war: Bei 25 Prozent jener Frauen, bei denen der Malariaerreger in der Plazenta nachgewiesen werden konnte, blieb die Analyse des Blutes aus dem Finger negativ. Damit war klar, dass es eine große Dunkelziffer von Malariafällen bei Schwangeren gibt, die mit einer Standard-Blutuntersuchung offenbar nicht gefunden werden können. Die betreffenden Frauen fühlen sich krank, doch ihnen wird fälschlicherweise gesagt, dass sie gar keine Malaria haben. Und dann haben sie aufgrund der Malaria, die aber nicht behandelt wurde, möglicherweise ihr Baby verloren. Dieses Phänomen haben wir aufgeklärt. Das war ein wichtiger Fortschritt.
WELT: Wie ist der Zusammenhang zwischen der Malaria-Erkrankung und den Fehlgeburten?
Leke: Das Baby im Mutterleib wird ja über die Plazenta ernährt. Eine Malaria-Infektion der Mutter führt dann auch zu Malaria beim Baby. Das kann dann Frühgeburten und eben auch Fehlgeburten verursachen. Einige Kinder haben wir weiterverfolgt und bei ihnen das Immunsystem erforscht – also wie viele Antikörper gegen Malaria es gibt und wie lang diese vorhanden sind. Wir haben da mit einem multidisziplinären Forscherteam gearbeitet und zugleich sehr viel Studenten ausgebildet. Es ist sehr wichtig die nächste Generation von Forschern auszubilden, die unsere Arbeiten fortsetzen können.
WELT: Wenn ein Kind während der Schwangerschaft mit Malaria in Kontakt kam, was bedeutet dies dann für sein weiteres Leben?
Leke: In einigen Fällen führt es dazu, dass sie schneller als üblich eine Immunität gegen Malaria entwickeln. Bei anderen dauert es länger. Das hängt davon ab, welche Antikörper und wie viele von der Mutter auf das Kind übertragen worden sind. Dadurch, dass Antikörper von der Mutter auf das Baby übergehen, kommt das Kind mit einem gewissen Basisschutz gegen Malaria in die Welt, der eine Zeit lang wirksam ist. Eine typische Zeitspanne sind da sechs Monate. Die meisten Todesfälle durch Malaria treten bei Kindern im Alter von bis zu fünf Jahren auf. Wer das übersteht, hat offenbar ausreichend viel Immunität entwickelt. Es spielen viele Faktoren dabei eine Rolle, wer überlebt und wer nicht – auch genetische. Doch vieles ist da noch nicht verstanden. Ich hoffe, dass die nächste Forschergeneration Licht in dieses Dunkel bringen wird.
WELT: Kann es also günstig für ein Kind sein, bereits während der Schwangerschaft mit Malaria in Kontakt gekommen zu sein?
Leke: Das würde ich so nicht sagen. Denn es ist weder für die Mutter noch das Kind gut, wenn Malaria während der Schwangerschaft auftritt. Zum einen ist die Mutter dann ernsthaft krank und zum anderen kann es, wie schon erwähnt, zu Fehlgeburten kommen. Zudem ist es so, dass eine Mutter auch dann, wenn sie nicht akut während der Schwangerschaft an Malaria leidet, bereits Antikörper im Blut hat. Diese kann sie auch dann an das Baby weitergeben.
WELT: Wird es möglich sein, eines Tages eine Malaria freie Welt zu haben?
Leke: Das hoffe ich. Es hat ja schon viele Fortschritte gegeben. Insbesondere gibt es endlich Impfstoffe gegen Malaria – und zwar gleich zwei. Im Januar 2024 wird die globale Impfstoff-Allianz GAVI in einigen Ländern Impfprogramme gegen Malaria starten. Das wird viele Leben von Kindern unter fünf Jahren retten. Impfstoffe sind aber nur ein Aspekt. Insektizide gegen Moskitos und Medikamente gegen die Parasiten sind weitere Ansatzpunkte. Hier muss man indes immer wieder mit neuen Resistenzen rechnen. Was man jedoch mit konsequenten Anstrengungen erreichen kann, zeigt das Beispiel China. Dort gab es mal 30 Millionen Malaria-Fälle. Heute ist das Land Malaria frei. Daran hat man über viele Jahre hinweg konsequent hart gearbeitet und insbesondere Slums aufgelöst.
WELT: Eine weitere Strategie gegen Malaria ist die Freisetzung von genetisch veränderten Moskitos. Was halten Sie davon?
Leke: Da bin ich eher skeptisch. Wenn solche Organismen in die Umwelt entlassen werden, dann weiß man nicht, wie die sich entwickeln werden. Man kann bislang nicht ausschließen, dass daraus Monster-Moskitos werden, die irgendetwas verursachen, womit wir überhaupt nicht gerechnet haben.
WELT: Wir sollten davon also besser die Finger lassen?
Leke: Ich möchte es nicht kategorisch ausschließen. In jedem Fall bräuchten wir dann aber noch viel Forschung, um mögliche Risiken ausschließen zu können.
WELT: Was müsste der nächste Schritt sein? Was raten Sie den Politikern?
Leke: Die afrikanischen Länder sollten mehr Geld für die Erforschung und Bekämpfung von Malaria ausgeben. Wir sind da bislang zu sehr von Donationen aus dem Ausland abhängig. Das gilt nicht nur für Malaria, sondern auch für viele andere Infektionskrankheiten, von denen wir in Afrika betroffen sind. Es ist wichtig, dass wir unsere Universitäten bei der Malaria-Forschung mit jenen im Ausland gut vernetzen und auch die Bevölkerung beteiligen. Alle sollten miteinander reden und zusammenarbeiten – die Ministerien, die Wissenschaftler und die Menschen im Lande. Manche nutzen Moskitonetze zum Fischen und andere decken damit Getreidefelder ab. Auch ein Dialog mit diesen Menschen kann ein Beitrag zum Kampf gegen Malaria sein.
WELT: Was bedeutet der Virchow-Preis für Sie?
Leke: Dieser Preis bedeutet mir wirklich sehr, sehr viel. Ich bin jetzt 76 und werde für mein Lebenswerk ausgezeichnet. Das ist eine wunderbare Anerkennung meiner Arbeit. Ich habe bereits erwähnt, wie wichtig es mir ist, die nächste Generation von Forschern auszubilden. Dabei geht es mir auch darum, die Chancen von Frauen zu verbessern, sodass es mehr Forscherinnen gibt. Ich habe mich dafür eingesetzt, ihnen spezielle Förderung, Mentoring und Coaching zu ermöglichen. Ich nenne diese Projekte „Higher Women Consortium“. Dafür gibt es mal 10.000 Dollar von hier und 10.000 Dollar von dort. Mit den 500.000 Euro des Virchow-Preises werde ich jetzt so viel mehr Dinge zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft machen können. Darüber bin ich sehr glücklich.
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Zur Person
Rose Gana Fomban Leke wurde 1947 in Kamerun geboren und begann ihre akademische Karriere am St. Mary-of-the-Woods College in Indiana (USA). Nach dem Bachelor wechselte sie zur University of Illinois in Champagne Urbana und erhielt dort den Master. Die Doktorarbeit schrieb sie an der Université de Montreal in Kanada. Sie wurde dann Professor für Immunologie und Parasitologie an der Universität Yaounde I in Kamerun und ist heute Emeritus.