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Beitrag vom 07.09.2023

FAZ

Rückzug auf Raten aus Niger

Frankreich verhandelt über einen geordneten Abzug, während die Machthaber eine Einigung mit ECOWAS suchen. Von einer Militärintervention ist kaum noch die Rede.

Von Claudia Bröll, Michaela Wiegel

Frankreich verhandelt derzeit in Niger über einen geordneten Abzug seiner Truppen aus dem Land. Das Verteidigungsministerium in Paris bestätigte der F.A.Z. Gespräche auf militärischer Ebene. In der französischen Hauptstadt wird zugleich Wert auf die Feststellung gelegt, dass man die Militärregierung nicht als legitim anerkenne und weiterhin die Rückkehr des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum fordere.

Die neuen Machthaber haben Anfang August die bilateralen Verteidigungsabkommen mit Frankreich aufgekündigt. Die Militäroperationen der 1500 im Land stationierten französischen Soldaten sind seither suspendiert. Sie harren in den drei Stützpunkten in Niamey, Ouallam und Ayorou nahe der Grenze zu Mali aus. Auch Drohnen, Hubschrauber und Flugzeuge können nicht eingesetzt werden. Die Bundeswehr ist ebenfalls mit 100 Sol­daten in Niger präsent.

Einsatz nur noch auf Anfrage

Ziel der Verhandlungen sei zunächst, Truppenbewegungen zu erlauben, hieß es in Paris. Der internationale Flughafen in Niamey wurde nach einem Monat Schließung für den kommerziellen Betrieb wieder geöffnet. Doch militärische Flüge unterliegen weiterhin einer strengen Kon­trolle und müssen genehmigt werden. Der Kommandant der französischen Streitkräfte im Sahelgebiet (FFS), General Bruno Baratz, war im August 2022 eigentlich angetreten, aus Niger ein Vorzeigeland für eine neue partnerschaftliche Militärzusammenarbeit zu machen. Die Sichtbarkeit der Soldaten aus Frankreich sollte verringert werden. Zudem sollten sie nur noch auf Anfrage der nigrischen Armee eingesetzt werden.

Nun soll ein Teil der Soldaten nach Frankreich zurückkehren, ein anderer in den Tschad verlegt werden. Der von der Militärregierung ernannte Ministerpräsident Ali Mahaman Lamine Zeine hat geäußert, die französischen Streitkräfte hielten sich fortan „illegal“ in Niger auf. Bislang hatte sich die Staatsführung in Paris geweigert, einen Truppenabzug in Erwägung zu ziehen. Rückhalt erhält die neue nigrische Führung aus der Bevölkerung. Am Sonntag demonstrierten abermals mehrere Tausend Menschen in der Hauptstadt Niamey für den Abzug französischer Truppen.

„Ansteckungsgefahr“

Derweil laufen auch Verhandlungen zwischen den neuen nigrischen Machthabern und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Der neue Ministerpräsident Ali Mahame Lamine Zeine sagte Anfang dieser Woche, man sei guter Hoffnung, in den nächsten Tagen eine Einigung zu erreichen. Zeine war von 2002 bis 2010 Finanzminister. Bei einem Putsch gegen die damalige Regierung wurde er festgenommen und im folgenden Jahr, nach dem Wahlsieg von Präsident Mahamadou Issoufou, freigelassen. Er arbeitete danach für die Afrikanische Entwicklungsbank. Sein von den Putschisten eingesetztes Kabinett besteht überwiegend aus zivilen Ministern.

ECOWAS hatte unmittelbar nach dem Putsch im Juli mit einem Militärschlag gedroht, sollte Bazoum nicht nach einer Frist von sieben Tagen freigelassen werde. Nach den vorigen Umstürzen in Mali, Guinea und Burkina Faso war von „Ansteckungsgefahr“ in der Region die Rede. Auf einem zweiten Gipfeltreffen hatte der ECOWAS-Vorsitzende, Nigerias Präsident Bola Tinubu, diplomatischen Bemühungen den Vorrang gegeben. Ungeachtet dessen kündigte er den Aufbau einer ECOWAS-Bereitschaftstruppe an. Zeine betonte in dieser Woche abermals, man sei im Falle eines Angriffs verteidigungsbereit. Dabei kann Niger auf die Unterstützung der Militärregierungen von Mali und Burkina Faso setzen. Von einer Intervention ist allerdings kaum noch die Rede.

Der „Nationalrat für die Rettung des Vaterlandes“, der in Niger nun herrscht, hat ECOWAS eine bis zu drei Jahre lange Übergangsphase bis zu demokratischen Wahlen vorgeschlagen. Dies wurde von dem ECOWAS-Kommissar für politische Angelegenheiten, Abdel Fatau Musah, jedoch abgelehnt. Er pochte auf eine möglichst schnelle „Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung“. ECOWAS steht zugleich unter wachsendem Druck der Vereinten Nationen, die Sanktionen zu lockern, damit humanitäre Hilfe in dieser stets besonders harten Jahreszeit nach Niger gelangen kann. Die Ernte beginnt erst im September, und die Lebensmittelvorräte sind üblicherweise bis dahin fast aufgebraucht. Mehr als 80 Prozent der nigrischen Bevölkerung leben auf dem Land.

Ein Risiko

Zusätzlich hat sich die Sicherheitslage nach Beobachtungen von Informationsdiensten seit dem Putsch verschlechtert. Innerhalb der Armee gebe es Unruhe wegen des Putsches und des Rückrufs von Antiterroreinheiten, um die Militärregierung in der Hauptstadt im Ernstfall zu verteidigen, schreibt die Publikation „Africa Confidential“. Dies treibe verängstigte Bewohner aus ihren Dörfern. Einige ehemalige Rebellen, die Präsident Bazoum in einen Friedensprozess einbezogen hatte, drohten nun mit einer Rückkehr zu den Waffen.

Vor dem Putsch waren die Angriffe bewaffneter Banden und Terroristen in Niger merklich zurückgegangen, insbesondere die Präsenz französischer und anderer internationaler Streitkräfte wurde dafür verantwortlich gemacht. Für die demokratisch gewählte Regierung bedeuteten die engen Beziehungen zu Frankreich aber auch ein Risiko. Der Journalist Georges Malbrunot schrieb unter Berufung auf einen französischen Diplomaten, Bazoum habe Präsident Macron schon im August 2022 gewarnt, dass er der nächste auf der Liste für einen Putsch sei, wenn Frankreich seine Soldaten in Niger konzentriere. Allerdings gilt auch die Lage im Tschad als instabil, wo Frankreich schon den Vater des jetzigen Übergangspräsidenten Mahamat Idriss Déby unterstützt hat.