Beitrag vom 01.09.2023
Finanz und Wirtschaft, Zürich
Afrikas Schulden bremsen das Wachstum
Ungünstige Aussichten für die Volkswirtschaften südlich der Sahara: Umschuldung und Sparprogramme sind nötig, doch das wird die ungenügende Dynamik noch weiter belasten.
Wolfgang Drechsler
Kaum bemerkt von der Weltöffentlichkeit, hat sich in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern in den vergangenen Jahren ein mächtiger Schuldenberg aufgetürmt. Er wird schon bald grössere Auswirkungen auf ihre innenpolitische Lage haben, könnte darüber hinaus auch das internationale Finanzsystem in eine neue tiefe Krise stürzen.
Vor allem in Afrika südlich der Sahara ist der Anteil der Staatsschulden am Bruttoinlandprodukt (BIP) zuletzt massiv gestiegen, auf 56%, den höchsten Stand in zwanzig Jahren. Im Vergleich mit westlichen Ländern mag das noch nicht weiter beunruhigend erscheinen, doch sind die Umstände in Afrika ganz andere. So ist zum Beispiel die Fähigkeit des Staates, Steuern zu erheben, dort in der Regel weit schwächer als in den Industriestaaten. Während der Anteil der Steuereinnahmen am BIP in Afrika bei rund 12% liegt, sind es in den reichen Ländern 27%, noch dazu auf einer viel breiteren Grundlage.
Trotz ständiger Mahnungen, dies endlich aktiv anzugehen, hat sich daran in Afrika in den letzten zehn Jahren nichts getan. Entsprechend wird die Verschuldung dort auch viel schneller zum Problem: Während in den Industrieländern eine Bruttoverschuldung ab etwa 70% als heikel gilt, wird diese Schwelle in den Entwicklungs- und Schwellenländern oft schon bei 25 bis 30% erreicht.
Leiden wie in den Neunzigerjahren
Das nun in Afrika dringend erforderliche Umschuldungs- und Sparprogramm dürfte seine Volkswirtschaften ebenso hart und unvermittelt treffen wie das ihnen in den Neunzigerjahren von IWF und Weltbank verordnete «Strukturanpassungsprogramm», das schliesslich in einer massiven Schuldenabschreibung durch die reichen Länder im Jahr 2004 mündete. Niedrige Rohstoffpreise und mickriges Wirtschaftswachstum hatten Afrika damals in einen Teufelskreis aus immer höheren Schulden und Zinsen gestürzt. Ähnliches passiert nun wieder, allerdings in einem komplexeren Umfeld.
«In Ghana verschlang der externe Schuldendienst zuletzt fast die Hälfte der Regierungseinnahmen, in anderen Ländern wie Mosambik oder Sambia sogar noch mehr.»
Die neue Schuldenkrise hat ihren Ausgangspunkt um 2010. Damals hielten viele afrikanische Staaten, bedingt auch durch die kurz zuvor durchgeführte Schuldenabschreibung des Westens, erstmals nach Geldquellen jenseits der herkömmlichen Entwicklungshilfe Ausschau hielten. Grund dafür war, dass die Kreditvergabe an den (zuvor vom Privatkapital gemiedenen) Kontinent nach der Finanzkrise 2008 kräftig angezogen hatte, zumal die Zinsen in vielen Industrieländern damals auf historische Tiefs gefallen waren. Fondsmanager jagten nun plötzlich die hohen Renditen afrikanischer Regierungsanleihen, ohne die hohen Risiken stärker in Betracht zu ziehen.
Waren bis 2005 fast ausschliesslich westliche Länder mit den dafür geschaffenen Institutionen die grössten Gläubiger gewesen, haben seitdem 21 afrikanische Staaten am globalen Finanzmarkt Geld aufgenommen, viele zum ersten Mal. Dabei verkauften sie ihre zumeist in Dollar aufgelegten Bonds auch verstärkt an ausländische Privatinvestoren, was einen ganz neuen Gläubigermix zur Folge hatte.
Chinas Engagement
Chinas immer stärkere Verzahnung mit Afrika seit der Jahrtausendwende hat die Lage weiter kompliziert und die überfällige Umschuldung erheblich schwerer als früher gestaltet. Chinesische Financiers liehen Afrikas Regierungen zwischen 2010 und 2020 sagenhafte 160 Mrd. $. Aber auch die einheimischen Kapitalmärkte wurden von Afrikas Regierungen stark angezapft. Begründet wurde die Schuldenorgie von Afrikas Politikern damit, dass in Schulen, Spitäler und Strassen investiert werden müsse. Doch viele Staaten liehen sich viel zu viel Geld oder vergeudeten die Einnahmen.
Ghana bietet eine Fallstudie dafür, was schieflief, aber jetzt vielleicht doch noch korrigiert werden kann. Dank der dem Land 2005 vom Westen gewährten Schuldenabschreibung hat die frühere britische Kolonie die Schuldenlast von 100% auf knapp 40% des BIP abgebaut. Vor fünfzehn Jahren schaffte sie es deshalb als erstes Land im Süden der Sahara, eine Anleihe von 750 Mio. $ auf dem internationalen Kapitalmarkt zu platzieren. Zwanzig andere afrikanische Staaten sollten folgen.
Doch seitdem hat sich die Lage verschlechtert: Zum einen ist im vergangenen Dezember ein Projekt ausgelaufen, das die immer höheren Zinszahlungen vieler afrikanischer Länder an seine bilateralen Gläubiger ausgesetzt hatte. Dadurch wurden Afrikas Schuldenprobleme zwar verzögert, aber nicht behoben, denn die Schulden wurden nicht etwa abgeschrieben, sondern bloss ihre Rückzahlung aufgeschoben.
Gelder ineffizient verwendet
Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine begannen zudem viele nervöse Anleger, afrikanische Staatsanleihen abzustossen. Mit der Anhebung der Zinsen durch das Fed wurden die Finanzierungskosten auch deshalb immer teurer, weil rund 40% der afrikanischen Schulden in ausländischer Währung denominiert sind, namentlich in Dollar. Allein in Ghana verschlang der externe Schuldendienst zuletzt fast die Hälfte der Regierungseinnahmen, in anderen Ländern wie Mosambik oder Sambia sogar noch mehr. Dieses Geld fehlt nun für Investitionen in die Gesundheit und die Bildung.
Ein Teil der Schuld dafür liegt in der Covid-Pandemie. Allerdings wurde in Afrika auch diesmal wieder ein Grossteil der Ausgaben ineffizient angelegt, etwa in sinnlosen Prestigeprojekten. In Ghana schnellen die Staatsausgaben für gewöhnlich in Wahljahren drastisch in die Höhe, weil ein Grossteil zweckentfremdet und für die Gehälter der Staatsbeamten und andere Geldgeschenke verwendet wird.
Hatte Ghana einst in Afrika als Vorbild bei der Schuldenaufnahme gedient, könnte es nun zum Testfall ein neues Verfahren für den Schuldenabbau werden. Nach langem Gezerre hat der IWF nämlich inzwischen ein Rettungspaket für das Land in Höhe von 3 Mrd. $ beschlossen und eine dringend benötigte erste Tranche von 600 Mio. $ auch gleich freigegeben. Möglich wurde dies durch die Zusage der verschiedenen Kreditgeber (darunter auch China), Verluste zu akzeptieren. Im Gegenzug für Chinas Bereitschaft, Verluste hinzunehmen, soll die Weltbank nun Darlehen zu niedrigen Zinsen gewähren. Ghana ist der erste Test und ein vergleichsweise leichter: Es schuldet China «nur» rund 2 Mrd. $ (Sambia schuldet das Dreifache).
Bevölkerung wächst schneller als Wirtschaft
Idealerweise sollte bei der Rückzahlung ein stärkeres Wirtschaftswachstum helfen. Doch grade hier sind die Aussichten trübe. Erst zur Jahresmitte hat der IWF seine Wachstumsprognose für Afrika im Jahr 2023 auf 3,6% gesenkt – kaum ein Prozentpunkt mehr als das hohe Bevölkerungswachstum. Eine neue Austeritätspolitik könnte das Wachstum sogar völlig ersticken und intern zu Unruhen führen, wie zuletzt in Kenia und Sambia.
Als Reaktion auf die angespannte Lage hat sich nun auch noch das Tempo der chinesischen Kreditvergabe für sein gigantisches Infrastrukturprojekt «Neue Seidenstrasse» deutlich verringert – auf 10% dessen, was China noch 2016 investiert hatte. Angesichts der wirtschaftlichen Abkühlung sind die beiden grössten Staatsbanken von Peking instruiert worden, mehr Projekte in China selbst zu finanzieren. Zeitgleich haben die USA eine Initiative gestartet, die Chinas Dominanz in der internationalen Finanzierungshilfe zu brechen sucht.
USA und China büssen an Prestige ein
In dem Hin und Her könnte sich nun auch Afrikas Haltung gegenüber dem Rest der Welt verhärten. Bereits jetzt steigen die Ressentiments gegenüber den westlichen Finanzinstitutionen. Aber auch China könnte sein bislang gutes Image verlieren, wenn es durch ein zu hartes Eintreiben seiner Schulden den Eindruck erweckt, Afrikas Volkswirtschaften erpressen zu wollen. Dies erklärt auch das Sondertreffen von Chinas Präsidenten Xi Jinping mit Staatschefs und Vertretern aus mehr als dreissig afrikanischen Staaten am Rande des jüngsten Brics-Gipfels in Südafrika. Dabei hatte China wissen lassen, in Afrika den Fokus fortan vom Bau neuer Infrastruktur auf die lokale Industrialisierung zu legen.
Das panafrikanische Meinungsforschungsinstitut Afrobarometer hat in einer Umfrage in dreissig Ländern gerade erst ermittelt, dass sich die Bewertung der USA und Chinas in Afrika verschlechtert: Hatten beide dort noch 2019 im Schnitt rund 60% Zustimmung erfahren, waren es 2022 bereits rund 10% weniger. Der IWF kam jüngst zum Ergebnis, dass Südsahara-Afrika eine besonders gefährdete Region sei, falls der Westen und China in zwei unterschiedliche Handelsblöcke zerfallen würden.
Wolfgang Drechsler ist Afrika-Korrespondent in Kapstadt.