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Beitrag vom 27.01.2022

FAZ

PROVENIENZFORSCHUNG

Gemeinsam erlebte Vergangenheit garantiert keine gemeinsame Zukunft

Es sind noch viele Fragen offen: Deutsch-kamerunische Provenienzforschung in den Dörfern, in denen der deutsche Kolonialoffizier Max von Stetten seine Sammlung zusammentrug.

Von Hubert Spiegel

Dass Provenienzforschung nicht ausschließlich Archivforschung und Kunstmarktrecherche sein muss, erweist sich an dem Forschungsprojekt zur Sammlung Max von Stetten. Der zeitweilige Kommandeur der sogenannten deutschen Schutztruppen in Kamerun hatte sie in den Neunzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts zusammengetragen und der damaligen Königlich-Ethnographischen Sammlung als Schenkung überlassen. Dieses erste ethnologische Museum Deutschlands, gegründet 1862 in München, heißt heute Museum Fünf Kontinente und hat neue Wege beschritten, indem es eine Forschungskooperation einging, in deren Rahmen kamerunische Wissenschaftler Feldforschung im eigenen Land betrieben. Sie folgten dabei den Spuren, die von Stetten hinterließ – zunächst als reisender Afrikaforscher, später als Offizier und Kommandeur brutaler Strafexpeditionen, mit denen das Deutsche Reich seine Besitz- und Machtansprüche durchsetzen wollte.

Von den Umständen dieser Militäraktionen und den Todesopfern, die sie gekostet haben, war jetzt auf der Abschlusskonferenz zum Forschungsprojekt keine Rede. Auch dass sie nur online stattfinden konnte, weil mehreren Teilnehmern aus Kamerun die Einreisevisa verweigert worden waren (F.A.Z. vom 14. Januar), wurde nur mit einer bitteren Randbemerkung quittiert. Es ging fast nur um die Objekte: um das, was sie einmal bedeutet haben, um das, was sie heute bedeuten, und um das, was sie künftig bedeuten könnten. Viele Fragen sind noch zu klären, nicht zuletzt solche politischer und gesellschaftlicher Natur. Provenienzforschung rührt an die Wurzeln des Selbstverständnisses – der Herkunftsgesellschaften wie der Aufnahmeländer.

„Das wäre, als würde jemand seine eigene Geschichte verkaufen“

Die klassische Provenienzforschung, so Albert Gouaffo von der Universität in Dschang, findet im Aufnahmeland statt, während die postkoloniale Provenienzforschung im Herkunftsland beginnt. Zwei junge Mitarbeiterinnen Gouaffos, Yrine Matchinda und Lucie Mbogni Nankeng, berichten von den schwierigen Umständen, unter denen ihre zweijährige Feldforschung im anglophonen Teil Kameruns stattfinden musste: Dort gibt es eine Separatistenbewegung, seit 2016 tobt ein Bürgerkrieg. In vielen Dörfern mangelt es an Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten, während das Misstrauen der Bewohner oft groß war. Einige Ortschaften, in denen von Stetten in den Neunzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts gewesen ist, existieren nicht mehr oder sind kaum auffindbar, weil sie umbenannt wurden. Aus einem Dorf wurden die Wissenschaftlerinnen unter Androhung von Gewalt vertrieben – weil man Angst hatte, ausgeraubt zu werden.

Bei den etwa zweihundert Objekten der Sammlung handelt es sich um Gebrauchsgegenstände wie Trommeln, Pfeile und Speere, zum nicht geringen Teil aber auch um Kultgegenstände, von denen sich ihre Besitzer kaum freiwillig getrennt haben dürften, wie der Historiker Ngome Nkome von der Universität Buea, einer der fünf an der Konferenz beteiligten kamerunischen Wissenschaftler, betonte: „Das wäre, als würde jemand seine eigene Geschichte verkaufen.“ Und nicht zuletzt darin liegt der Wert dieser Gegenstände: Sie sind nicht selten Teil einer Geschichte, die sich ohne sie kaum noch rekonstruieren lässt, weil viele Traditionen eng mit Objekten verknüpft sind. So haben Dorfbewohner einzelne Objekte auf Abbildungen als Kultgegenstände identifiziert, ohne Näheres zum Kult selbst sagen zu können. In manchen Fällen wurde sogar vermutet, dass der Kult mit dem Verlust der für seine Ausübung nötigen Artefakte selbst verschwunden ist. Und natürlich dürften längst nicht alle Artefakte dort entstanden sein, wo Max von Stetten in ihren Besitz gelangt ist, sondern waren Handelsobjekte oder auch Kriegsbeute in Stammeskriegen.

Karin Guggeis, die Projektleiterin auf deutscher Seite, vermutet bei rund fünfzig Objekten der Sammlung eine problematische Erwerbssituation. Bislang gibt es keine Restitutionsverhandlungen; sie wären schwierig genug. Aber Gouaffo macht deutlich, dass es ihm um mehr geht. Zwar lässt er keinen Zweifel daran, dass die Erwerbungen in einem „Unrechtskontext“ stattfanden, was für scheinbare Ankäufe ebenso gilt wie für „erpresste Schenkungen“. Doch ist ihm ist ein gleichberechtigter Dialog wichtiger als Wiedergutmachungsakte. Die Dekolonialisierung Kameruns stecke noch in den Kinderschuhen, und Gleiches gelte für die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, die er nicht den Deutschen allein überlassen will: „Die Vergangenheit anderer kann nicht unsere Zukunft sein.“