Beitrag vom 21.10.2021
Welt Online
Robert Kappel: Wir sollten aufhören, die Zukunft Afrikas europäisch zu denken
Westliche Unternehmen investieren viel in Afrika, um den Kontinent voranzubringen. Doch der Großteil des Geldes fließt nach wie vor in Kolonialwaren alten Schlages. So entsteht kein gesundes Wachstum, und das Heer der Arbeitssuchenden wird immer größer. Zeit für ein Umdenken.
Bis zu 20 Millionen junge Menschen drängen Jahr für Jahr auf den afrikanischen Arbeitsmarkt. Doch es gibt viel zu wenige Jobs. Und die Corona-Pandemie hat diese Beschäftigungskrise noch verschärft und mindestens 50 Millionen Menschen zusätzlich in die Arbeitslosigkeit getrieben. Die Mehrheit der Afrikaner wird auch in den kommenden Jahren keine Beschäftigung mit Arbeitsvertrag, sozialer Sicherung und Aufstiegschancen finden.
Das betrifft selbst gut ausgebildete Ingenieure oder IT-Spezialisten. Die öffentlichen Verwaltungen und die großen inländischen und ausländischen Unternehmen haben nur einen geringen Bedarf an Arbeitskräften und schaffen gerade einmal sieben Prozent aller Jobs in Afrika.
In der nigerianischen Ölindustrie zum Beispiel arbeiten gerade 65.000 Menschen; bei einer Landesbevölkerung von mehr als 200 Millionen. Von den Hochschulabgängern in Tunesien ist mindestens jeder dritte arbeitslos.
Knapp 70 Prozent der Afrikaner sind informell und prekär beschäftigt. Sie halten sich mit Gelegenheitsjobs gerade so über Wasser, arbeiten in der Familie für ein Taschengeld oder in der Landwirtschaft als Tagelöhner. Die afrikanische Wirtschaft ist noch sehr kleinteilig strukturiert. Unternehmen haben im Durchschnitt zehn Mitarbeiter und weniger. Ein Mittelstand wie in Deutschland fehlt völlig. So kann sich keine ausreichende Wachstumsdynamik entwickeln.
Extrem abhängig von Rohstoffexporten
Die afrikanischen Eliten fokussieren weiterhin auf die Einnahmen aus Rohstoffexporten, was die Länder extrem abhängig von der Nachfrage multinationaler Konzerne macht. Der ohnehin schon geringe Anteil Afrikas am Weltaußenhandel ist in den letzten Jahren noch gesunken. Die Summe der jährlichen Zuflüsse an Auslandsdirektinvestitionen auf dem Kontinent ist von rund 55 (2010) auf 40 (2020) Milliarden Dollar zurückgegangen.
Nur sehr wenigen Ländern ist es gelungen, ihre Ökonomien zu diversifizieren. Dazu gehören Ghana, Senegal und Kenia – Länder, die über keine nennenswerten Rohstoffe verfügen und deshalb die industrielle Entwicklung vorangetrieben und in den Dienstleistungssektor investiert haben.
Je ein Prozent Wirtschaftswachstum generiert in Subsahara Afrika gerade einmal 0,4 Prozent Jobwachstum. Die Hoffnung, wonach ausländische Investoren zum Jobtreiber werden, hat sich bislang nicht erfüllt. Insgesamt sind im Durchschnitt der letzten Jahre gerade einmal 140.000 Arbeitsplätze jährlich auf dem gesamten Kontinent entstanden.
Deutsche Unternehmen sind mit Ausnahme von Südafrika und Marokko, Tunesien und Ägypten kaum präsent. Insgesamt beschäftigen sie zwischen Kapstadt und Casablanca etwas mehr als 200.000 Arbeitnehmer (2019), davon die Hälfte allein in Südafrika. Und auch die Verheißungen Chinas, zig Millionen Arbeitsplätze in Afrika zu schaffen, wurden enttäuscht.
Der größte Teil der ausländischen Investitionen fließt nach wie vor in den Rohstoffsektor und in die landwirtschaftliche Produktion von Blumen, Kaffee, Tee und Gemüse – also die Kolonialwaren alten Schlages.
Ein sehr hoher Anteil dieser Exportproduktion wird in globalen Lieferketten von europäischen, chinesischen und US-amerikanischen Konzernen gesteuert. Das heißt: einheimische Arbeitskräfte pflücken Teeblätter und ernten den Kaffee. Geröstet aber werden die Bohnen in den USA oder Europa. Die Wertschöpfung erfolgt also außerhalb Afrikas. Auf afrikanischer Seite bleibt nur wenig übrig – niedrige lokale Wertschöpfung und eine kleine Anzahl von Jobs.
In den vergangenen drei Jahrzehnten haben globale Produzenten von einfachen Konsumgütern wie Textilien oder Spielzeug vor allem in den Niedrigeinkommensländern Asiens Arbeitskräfte mit geringer Qualifikation eingestellt. Dies war als Möglichkeit gedacht, über arbeitsintensive Fertigung einen Jobmotor in Gang zu setzen. Afrikanische Länder aber haben diese Chancen verpasst.
Als dann die Löhne in Asien stiegen und der Standort Afrika einen Lohnkostenvorteil hätte bieten können, verringerte die sogenannte Globotik-Transformation der Automatisierung, Roboterisierung und des 3D-Drucks die Nachfrage nach ungelernter und preisgünstiger Arbeit. Inzwischen führt die automatisierte Produktion dazu, dass Unternehmen eher nach Europa zurückgehen, als in Afrika zu investieren.
Afrikanische Firmen müssten zudem die Präzisions- und Qualitätsstandards der internationalen Firmen erfüllen, um Teil einer internationalen Lieferkette zu werden. Angesichts schwacher Innovationsmilieus und Beschränkungen im Zugang zu Elektrizität, Finanzdienstleistungen sowie Managementschwächen in den Unternehmen und Korruption, sind sie kaum in der Lage, an solchen anspruchsvollen Lieferketten zu partizipieren.
Das Hauptproblem aber ist, dass afrikanische Unternehmen zu klein sind, um in diesem internationalen Technologiewettbewerb zu bestehen. Aber müssen sie das überhaupt, um den Kontinent wirtschaftlich voranzubringen?
Wir sollten aufhören, die Zukunft Afrikas allein aus europäischer Perspektive zu denken. Der Kontinent mit seinen 54 Staaten muss einen eigenen Weg finden. Die seit dem Jahr 2021 in Kraft getretene afrikanische kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) ist ein erster hoffnungsvoller Schritt. So können sich Märkte entwickeln und immerhin ein Jobwachstum von etwa ein Prozent pro Jahr generieren.
Zwar haben auch Strategien zur Entwicklung von Smart-Tech-Dienstleistungsunternehmen, grüner Industrie, nachholender Industrialisierung oder durch ausländische Investitionen induzierte Industrieentwicklung durchaus ihre Berechtigung. Sie sind wichtig, weil sie einen Produktivitätsschub erzeugen können und auch Arbeitsplätze für die besser Ausgebildeten bieten. Aber sie lösen die Probleme auf dem afrikanischen Arbeitsmarkt nicht.
Mittelstand muss gefördert werden
Dafür bedarf es einer umsichtigen Strategie zur Entwicklung eines Mittelstandes, der in der Lage ist, wettbewerbsfähig gegenüber ausländischer Konkurrenz zu werden und zugleich Impulse für Beschäftigung zu geben. Besser sind proaktive Industrie- und Agrarpolitiken durch Anreizsysteme für die Kooperation von Unternehmen mit Universitäten, durch die Vernetzung von lokalen und ausländischen Unternehmen.
Vor allem der Ausbau von Straßen, Strom- und Wasserversorgung muss gefördert werden. Die Infrastruktur spielt bei der wirtschaftlichen Entwicklung eine zentrale Rolle und ist in den vergangenen Jahren viel zu sehr vernachlässigt worden.
Afrika kann und muss eine Dynamik von innen heraus entwickeln. Dazu gehört, die lokalen Märkte zu stärken. Die kleinen Unternehmen müssen größer werden und Zugang zu größeren Märkten bekommen. Nicht nur die afrikanischen Megacitys wie Lagos und Nairobi wachsen, sondern auch Klein- und Mittelstädte, wie zum Beispiel Jinja in Uganda oder Gbarnga in Liberia, haben enormen Zulauf von Menschen aus ländlichen Regionen. Auch ihr Wachstum muss begleitet und gestaltet werden.
Immer mehr Regierungen beginnen zu erkennen, dass sie die Entwicklung Afrikas selbst anstoßen müssen, und setzen auf „Industrien ohne Schornstein“ wie Tourismus, Medien, hochwertige Landwirtschaft, kreative Sektoren oder Informationstechnologien.
Es wird ein langer Prozess aktiver Gestaltung durch die Unternehmen, die Regierungen und die Zivilgesellschaft notwendig sein, um schließlich eine Wirtschaftsdynamik in Gang zu setzen, die die Beschäftigungsprobleme nachhaltig lösen wird. Langfristig ist es für Europa besser, sich nicht immer wieder mit neuen Vorschlägen – wie in den letzten Jahrzehnten - in Afrika einzubringen. Weniger kann besser sein.