Beitrag vom 28.07.2021
Welt Online
Die drei Grundübel Afrikas zerstören nun auch Südafrika
Von Hans Christoph Buch
Lange Zeit galt Südafrika zu Recht als Musterland eines Kontinents, der von bitterer Not, Bürgerkriegen und Völkermord gebeutelt wurde. Doch Stammesdenken, Korruption und Brutalität richten Afrikas einzigen Industriestaat zugrunde. Gastbeitrag eines desillusionierten Afrika-Kenners.
Südafrika geht den Bach runter. Die Katastrophenbilder erinnern an die Schneisen der Zerstörung in Ahrweiler oder Erftstadt. In KwaZulu-Natal, Hochburg und Heimatprovinz des wegen Korruption und Missachtung des Gerichts inhaftierten Ex-Präsidenten Zuma, wurden über 1000 Geschäfte geplündert, Kaufhäuser und Fabriken abgefackelt, Hafenanlagen und sogar Kliniken verwüstet – und das vor dem Hintergrund der durch Südafrika rollenden dritten Corona-Welle, die zum Tsunami zu werden droht. Über 200 Tote sind nach den Unruhen zu beklagen, mehr als 10.000 Soldaten und Polizisten standen im Kampf gegen Ausschreitungen, für die das Wort Volkszorn zu hoch gegriffen ist.
Es handelt sich vielmehr um den gezielten Versuch, die Infrastruktur von Afrikas einzigem Industriestaat mit dem Ziel lahmzulegen, die berechtigte Unzufriedenheit der in Armut vegetierenden Massen gegen den gewählten Regierungschef Cyril Ramaphosa zu mobilisieren, um Jacob Zumas korruptem Anhang wieder an die Macht zu verhelfen. Dahinter steckt eine tiefgreifende Spaltung des seit Jahrzehnten regierenden ANC. Dessen militant-populistischer Flügel hält dem Ex-Präsidenten trotz aller Sündenregister die Treue. Zuma belohnte Gefolgsleute mit Posten und lukrativen Privilegien. In diesem Kontext sei daran erinnert, dass er die Anklage, eine Aids-Kranke vergewaltigt zu haben, mit dem Hinweis zu entkräften versuchte, er habe hinterher geduscht!
Die Feder sträubt sich, solche Sätze zu schreiben. Denn nach dem gewaltlosen Übergang von der Apartheid zu Nelson Mandelas Regenbogen-Demokratie galt Südafrika zu Recht als Musterland eines Kontinents, der von bitterer Not und Bürgerkriegen bis zum Völkermord gebeutelt wurde: Biafra, Ruanda, Kongo-Zaire oder das noch vor Kurzem diktatorisch regierte Simbabwe sind Beispiele dafür.
Die drei Grundübel Afrikas
Im Juli 1987, am Vorabend der Wende, die zu Mandelas Freilassung und zum Ende der Apartheid führte, nahm ich als Beobachter an Gesprächen weißer Apartheidsgegner mit Vertretern des in Südafrika verbotenen ANC teil. Der Schriftsteller Breyten Breytenbach, wegen seiner Kritik an der Rassentrennung acht Jahre lang inhaftiert, hatte mich nach Dakar eingeladen, wo das Geheimtreffen stattfand. Es folgten Kurzbesuche in Ghana und in Burkina Faso, damals noch Terra incognita für Südafrikaner – Südafrikas Regierung unterhielt keine Beziehungen zu afrikanischen Staaten. Ich weiß noch genau, wie schockiert nicht nur die weißen Liberalen, sondern auch die aus London angereisten Vertreter des ANC angesichts korrupter Regimes reagierten, die ihr Volk brutal unterdrückten, um sich selbst zu bereichern.
Ghanas Regierungschef Jerry Rawlings, der sich erneut an die Macht geputscht hatte, hielt eine endlos lange, wirre Rede, die wir vor einem von bewaffneten Posten bewachten Büfett stehend anhören mussten. Wer nach einem Glas Wasser griff, wurde mit dem Gewehrkolben weggeschubst. Die Kehrseite dieser Art von Ordnung waren in Hotelfluren zirkulierende Prostituierte, die mit Stöckelschuhen die Frau des Klerikers Beyers Naudé attackierten, als diese ihnen den Zutritt ins Zimmer verweigerte.
Der einzige Lichtblick war der Präsident von Burkina Faso, Thomas Sankara, der der Korruption den Kampf angesagt hatte. Er wurde kurz nach unserer Begegnung vom Premierminister ermordet. Und die weißen Liberalen stritten mit Delegierten des ANC darüber, ob es sich um Neokolonialismus oder linken Faschismus handelte.
Damals glaubte ich noch, Südafrika sei vor solchen Fehlentwicklungen durch den materiellen Reichtum des Landes und seine entwickelte Infrastruktur gefeit. Die Lichtgestalt Nelson Mandela, der kritische Aufarbeitung der Vergangenheit statt Rache forderte, schien diese Hoffnung zu bestätigen. Es war eine naive Annahme. Schon sein designierter Nachfolger Thabo Mbeki trat unrühmlich hervor, als er das HI-Virus und die Aids-Epidemie allen Ernstes der CIA anlastete. Nun hat die krisenhafte Entwicklung Südafrika eingeholt. Weiße Farmer wurden enteignet oder vertrieben, indische Händler packten ihre Sachen und suchten anderswo ihr Glück, streikende Minenarbeiter wurden niedergeknüppelt oder erschossen, und Vertriebene aus Simbabwe, die vor Misswirtschaft und Unterdrückung flohen, wurden von fremdenfeindlichen Mobs gelyncht.
Die drei Grundübel Afrikas, Stammesdenken, Korruption und Brutalität sind längst auch in Südafrika anzutreffen. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe den Kontinent von Äthiopien bis zur Zentralafrikanischen Republik, von Burundi bis Tschad bereist, nicht als Tourist, sondern als Krisenreporter und Kriegskorrespondent. Selbst aus angeblichen Vorzeigestaaten wie Ghana und Ruanda gab es nichts oder kaum etwas Positives zu vermelden.
Auswegloses Leiden
Ich wünschte, es wäre anders, denn ich liebe Afrika und habe nirgendwo mehr spontane Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft erfahren als unter Menschen, die alles verloren hatten und um ihr eigenes Leben fürchteten. Afrikanische Großfamilien zum Beispiel retten Menschenleben, indem sie Kriegswaisen adoptieren – vorausgesetzt, diese gehören zu ihrem Stammesverband. Hier endet die Solidarität der Clans, und das ist der Grund, warum sich Politiker oder Unternehmer mit Geld, Macht und Einfluss primär um die eigenen Leute kümmern. Tribalismus ist der Fachausdruck dafür. Ihn gab es auch in Europa, als Volksgruppen sich zu Nationen formierten. Doch weder der Hinweis auf die Tradition noch politisch-soziale Verwerfungen genügen als Erklärung für die skandalösen Zustände im heutigen Afrika und den Massenexodus der Jugend, die nur noch wegwill, egal wohin, und dafür ihr Leben riskiert.
Aus Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, wo Muslime die Christen abschlachteten und umgekehrt, schrieb ich an Bundespräsident Steinmeier (mit dem ich, als er noch Außenminister war, Nigeria besucht hatte) einen offenen Brief über das Elend vergewaltigter Frauen, das mir buchstäblich die Sprache verschlug. Kein Wunder, dass ich keine Antwort bekam, weil auswegloses Leiden, wie Lessing sagte, Abscheu statt Mitgefühl erregt und Politiker aller Parteien Erfolgsstorys anstelle von Hiobsbotschaften erwarten.
Aber es ist und bleibt ein Skandal, dass der Tod Tausender Afrikaner, die bei dem riskanten Versuch, mit seeuntauglichen Booten das Mittelmeer zu durchschiffen, ums Leben kommen, nicht dieselbe moralische Empörung hervorruft wie das Schicksal George Floyds und anderer Opfer von Polizeigewalt. Afrikanische Staatschefs weinen ihren Mitbürgern keine Tränen nach, im Gegenteil, sie freuen sich, den Bevölkerungsüberschuss loszuwerden, und Europa hat außer Sonntagsreden nicht viel anzubieten. Kein Wunder, dass China in die Lücke stößt und, statt lästige Fragen nach Demokratie und Menschenrechten zu stellen, den Trend zur Menschenverachtung durch autoritäre Regime verstärkt.
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Der Autor ist Schriftsteller und lebt, wenn er nicht auf Reisen ist, in Berlin. Sein Buch „Robinsons Rückkehr“ erschien 2020 in der FVA.