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Beitrag vom 12.06.2021

FAZ

Die Lehren aus dem, was nicht funktioniert hat

Lob für Macrons Ankündigung eines Mali-Rückzugs in Paris – Berlin erwartet keine Folgen für Bundeswehr

mic./Lt. PARIS/BERLIN. Die Ankündigung Präsident Emmanuel Macrons, die Operation „Barkhane“ mit 5100 Soldaten beenden zu wollen, ist am Freitag in Paris positiv aufgenommen worden. Der Vorsitzende des Veteranenvereins „Solidarité Défense“, Jean-Marie Bockel, begrüßte im Rundfunk die Entscheidung, die nicht überstürzt sei. „Der Rückzug ist lange erwartet worden“, sagte der frühere Kriegsveteranenminister, der einen Sohn in Mali verloren hat. Laut jüngsten Umfragen ist mehr als die Hälfte der Franzosen davon überzeugt, dass die Soldaten im Sahel-Gebiet auf verlorenem Posten kämpften. „Viele unserer Soldaten sind gefallen. Ich denke an ihre Familien. Wir schulden ihnen Kohärenz und Klarheit. Wir müssen die Lehren daraus ziehen, was nicht funktioniert hat“, sagte Macron bei seiner Pressekonferenz am Donnerstagabend im Elysée-Palast. Frankreich suche deshalb nach einem „anderen Format“ für seine militärische Präsenz in Mali. „Die Fortführung unseres Engagements im Sahel-Gebiet bedeutet das Ende der Operation Barkhane“, sagte er. Frankreich könne nicht anstelle souveräner Staaten für politische Stabilität sorgen. Er äußerte sich verärgert über die Machthaber in Bamako, „die sich ihrer Verantwortung nicht stellen“.

In Mali hat sich Oberst Assimi Goïta als Präsident vom Verfassungsrat bestätigen lassen. Den zweiten Putsch binnen eines Jahres nannte Macron einen sehr gefährlichen Präzendenzfall. Macron betonte, dass es für ihn keine Alternative zu demokratischen Wahlen in dem westafrikanischen Land gebe. Verhandlungen mit Dschihadistengruppen schloss er kategorisch aus.

Die Bundesregierung bewertete die Lage nach dem Putsch am Freitag weniger kritisch. Dass der neue Machthaber Goïta bekräftigt habe, es sollten im nächsten Februar, wie zuvor schon beabsichtigt, freie Wahlen für das Parlament abgehalten werden, sei „ein erster positiver Schritt“. Das Auswärtige Amt gab weiter an, Goïta bleibe aufgefordert, eine „inklusive Regierung“ zu bilden, die auch Oppositionskräfte umfasse.

Unmittelbare Folgen für das Engagement der Bundeswehr in Mali wurden in Berlin durch die Ankündigung des französischen Abzuges nicht erwartet. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte am Freitag, man werde mit Paris erörtern, wie weiter zu verfahren sei. Das Verteidigungsministerium gab an, es werde gegenwärtig nicht erwartet, dass die französische Entscheidung aktuell Einfluss auf die Sicherheitslage haben werde. Die Bundeswehr ist in Mali sowohl an der europäischen Ausbildungsmission als auch an der UN-Mission MINUSMA beteiligt.

Macron ließ bereits vor einer Woche die gemeinsamen Militäroperationen mit der malischen Armee aussetzen. Mit der Rückzugsankündigung setzt er das Militärregime weiter unter Druck. Mit den europäischen Partnern, insbesondere mit der Bundesregierung, will er über die Folgen des französischen Rückzugs verhandeln. Auf Rückfrage sagte er, dass Frankreich weiterhin an der Seite der Partner stehe. „Ich glaube nicht, dass die Veränderung dazu führt, dass unsere Partner ihr Engagement im Rahmen der Mission der Vereinten Nationen, der EU-Ausbildungsmission oder in der Eingreiftruppe Takuba überdenken müssen“, sagte Macron. Er befürchte keinen Rückzug der Bundeswehr.

Seit 2014 hat Frankreich die Operation Barkhane ständig ausgebaut, aber die Sicherheitslage hat sich zunehmend verschlechtert. Macrons erste Auslandsreise nach dem Antrittsbesuch in Berlin führte ihn im Mai 2017 auf den Hauptstützpunkt in Gao. Jetzt will er in den Präsidentenwahlkampf im nächsten Frühjahr als derjenige ziehen, der die Soldaten in die Heimat zurückbringt. Die Entscheidung sei im vertraulichen Kreis des Verteidigungsrates am Mittwoch gefallen. Im Elysée-Palast hieß es, dass die ersten Stützpunkte Anfang 2022 schließen sollen. Frankreich unterhält elf Stützpunkte im Sahel-Gebiet, davon sechs in Mali. Bis zum Sommer 2022 will Macron etwa 30 Prozent der Soldaten in die Heimat zurückholen. Bis Anfang 2023 soll die Hälfte der Barkhane-Soldaten zurückbeordert sein.

Seit Beginn des Mali-Einsatzes im Januar 2013 sind 50 Soldaten gefallen. Mit Sorge beobachtet Macron aber vor allem die zunehmende Feindseligkeit, die den Truppen in den früheren Kolonien im Sahel-Gebiet entgegenschlägt. Die Soldaten werden als Mitglieder einer verhassten Besatzungsmacht wahrgenommen und nicht länger als Friedensstifter, die man ins Land gerufen hatte. Zugleich will er weiterhin französische Sicherheitsinteressen in dem Gebiet verteidigen und verhindern, dass dort ein neues „Kalifat“ der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) entsteht. Die Geheimdienstberichte seien alarmierend. Am Rande des G-7-Gipfels will Macron mit dem amerikanischen Präsidenten und den europäischen Partnern über die künftige militärische Aufstellung beraten. Macron betonte, er sehe die Zukunft des französischen Engagements im Rahmen der sogenannten Takuba-Truppe, in der „Hunderte französische Soldaten“ das Rückgrat bilden sollten. Priorität hätten Spezialkräfte, „die gegen den Terrorismus kämpfen“. Zu der europäischen Eingreiftruppe in der Sahelzone gehören bisher 600 Soldaten, von denen die Hälfte aus Frankreich stammt. Auch Schweden, die Tschechische Republik und Estland sind beteiligt. Seit einigen Jahren drängt Frankreich die europäischen Partner, sich stärker in der Region zu engagieren. In Mali, Niger, Tschad, Burkina Faso und Mauretanien kommt es immer wieder zu islamistischen Anschlägen. Zwar bilden diese Länder eine „G-5-Sahel-Truppe“, diese gilt aber als schlecht ausgerüstet und ausgebildet.