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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 09.12.2020

Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Wachstum gut, alles gut?

Warum Afrikas Wirtschaftswachstum seine demografische Herausforderung nicht löst

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Afrika befindet sich in doppelter Hinsicht auf Wachstumskurs. Seit 1950 hat sich die Bevölkerung mehr als verfünffacht, und ein Ende ist im Gegensatz zu anderen Weltregionen noch nicht in Sicht: Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird mehr als die Hälfte des globalen Bevölkerungszuwachses auf den afrikanischen Kontinent entfallen. Auch die Volkswirtschaften Afrikas befanden sich seit etwa zwei Jahrzehnten auf Wachstumskurs – einzig Süd- und Ostasien verzeichneten im weltweiten Vergleich höhere durchschnittliche Wachstumsraten.

Dieser Trend mag zu der Annahme verleiten, dass der starke Bevölkerungszuwachs für Afrika kein Problem darstellt. Eine verbreitete Meinung besagt, dass das vergleichsweise hohe Wirtschaftswachstum den Bevölkerungszuwachs ausgleicht bzw. dass eine stetig wachsende und junge Bevölkerung als Arbeitskräfte, Konsumenten und Innovatoren für mehr Wirtschaftswachstum und sozioökonomischen Fortschritt sorgen kann. In der Folge würden die hohen Geburtenziffern irgendwann von alleine sinken und das Bevölkerungswachstum ausklingen lassen, so die Schlussfolgerung.

Spätestens seit Ausbruch der COVID19-Pandemie und dem damit einhergehenden Zusammenbruch globaler Lieferketten scheint es jedoch mehr als fraglich, dass das afrikanische Wirtschaftswachstum ausreicht, um einen Entwicklungsweg einzuleiten, der zu mehr Wohlstand und Sicherheit für alle und so zu kleineren Familien und einem Rückgang des Bevölkerungswachstums führt.

Warum das Wirtschaftswachstum allein die demografischen Herausforderungen nicht löst

Nicht nur müssen die zukünftigen Wohlstandsgewinne bei anhaltendem Bevölkerungszuwachs auf immer mehr Köpfe verteilt werden. Das Wirtschaftswachstum in Afrika ist zudem nicht inklusiv, denn es entstehen kaum Arbeitsplätze für eine zunehmende Schar an jungen Erwerbstätigen. Das Wachstum kann vielmehr auf den Export unverarbeiteter Erzeugnisse und Bodenschätze zurückgeführt werden – wodurch nur verhältnismäßig wenige formale Jobs geschaffen werden.

Dies führt dazu, dass fast neun von zehn Afrikaner darauf angewiesen sind, ihre Familien mit informellen Tätigkeiten zu ernähren. Neben den direkten Folgen für die Menschen – fehlende soziale Absicherung im Alter, prekäre Arbeitsbedingungen und niedrige Einkommen – wirkt sich dies ebenfalls negativ auf die Staatseinnahmen aus. Denn wer nicht formal arbeitet, zahlt auch keine Steuern. Daher fehlen vielerorts die dringend benötigten Mittel für Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit. So bleibt die wichtigste Ressource des Kontinents weitgehend ungenutzt: das Humankapital.

Solange sich die Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven der Menschen nicht verbessern, dürften erfahrungsgemäß auch die Kinderzahlen auf hohem Niveau verharren. Dies mindert die Chancen auf Entwicklungsfortschritte. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie tragen zu einer weiteren Verschlechterung der Situation bei. Der Kreislauf aus niedrigen Gesundheits- und Bildungswerten, schwacher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und anhaltend hohem Bevölkerungswachstum dürfte sich so fortsetzen.

Wie die Chancen des Bevölkerungswachstums genutzt werden können

Afrikas größte Chance auf einen Entwicklungsschub, der breiten Teilen der Bevölkerung zugutekommt, sind kleiner werdende Familien. Denn erst mit einem Rückgang der Fertilität setzt ein Wandel der Altersstruktur ein, den sich auch die asiatischen Tigerstaaten bei ihrer wirtschaftlichen Aufholjagd zunutze gemacht haben. Dieser sogenannte demografische Bonus – bei dem überproportional viele junge Produktivkräfte einem sinkenden Anteil von zu versorgenden Kindern und Jugendlichen sowie älteren Menschen gegenüberstehen – ermöglicht im Idealfall einen solchen wirtschaftlichen Aufschwung. Eine umfassende Demografiepolitik mit Investitionen in die Kernbereiche Gesundheit, Bildung, Frauenförderung und Familienplanungsprogramme sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen ist dafür unerlässlich – auch und gerade in der aktuellen Krise.

Damit die afrikanischen Staaten die positiven Altersstruktureffekte auf dem Weg zu einer demografischen Dividende für sich nutzen können, sollte(n):

… Demografiepolitik ein fester Bestandteil einer integrierten Wirtschaftspolitik in Afrika sein und das Wohl und die Bedürfnisse der Menschen im Fokus stehen. Neben der verstärkten Förderung von Wirtschaftsbereichen, die für die Schaffung von formalen Einkommensmöglichkeiten zentral sind, gehört dazu auch eine stärkere Ausrichtung von Ausbildungsangeboten auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes.

… die deutsche Außenpolitik den dringenden Handlungsbedarf in demografierelevanten Bereichen im Dialog mit afrikanischen Staaten stärker in den Vordergrund stellen. Dabei gilt es klar zu kommunizieren, dass Wirtschaftswachstum allein nicht ausreicht, um die demografischen Herausforderungen in Afrika zu bewältigen.

… Internationale Finanzinstitutionen, nicht zuletzt der IWF, die makroökonomischen Auswirkungen der demografischen Entwicklung stärker in den Blick nehmen und diese ebenfalls im Dialog mit afrikanischen Partnerländern thematisieren.

… afrikanische Handlungsansätze in demografierelevanten Bereichen wie etwa die Ouagadougou Partnership oder die AU Roadmap on Harnessing the Demographic Dividend von deutscher wie auch internationaler Seite stärker unterstützt werden.

Wenn ein Virus Wachstum hemmt

Die meisten Regierungen in Afrika reagierten Anfang 2020, als sich das Corona-Virus über dem Globus zu verbreiten begann, mit strikten Beschränkungen und Maßnahmen. Das blieb – wie auch in anderen Teilen der Welt – nicht ohne Folgen für die Wirtschaftskraft auf dem Kontinent: Im Juni korrigierte die Weltbank die Wachstumsprognosen für das Jahr 2020 für alle afrikanischen Staaten deutlich nach unten. Die Annahme, dass das hohe Wirtschaftswachstum das rasche Bevölkerungswachstum auf dem Kontinent abfängt, ist spätestens damit obsolet.

Volltext:
https://www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/154_W…

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Die Autoren: Alisa Kaps, 1991, Masterstudium in Wirtschafts- und Sozialgeografie an der Universität Salzburg. Ressortleiterin Internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
Daniel Hegemann, 1990, Masterstudium in Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ressort Internationale Demografie am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
Catherina Hinz, 1965, Magisterstudium in den Fachbereichen Germanistik, Geschichte und Südasienwissenschaften an den Universitäten Hamburg und Heidelberg. Geschäftsführende Direktorin des BerlinInstituts für Bevölkerung und Entwicklung