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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 17.07.2020

weltneuvermessung.wordpress.com

DAS GEPLANTE LIEFERKETTENGESETZ: WIEDER EIN DEUTSCHER ALLEINGANG

Thomas Bonschab und Robert Kappel

Man braucht nur in den eigenen Hausgarten zu blicken, um Verletzungen von Menschenrechten zu finden. Die schäbigen Arbeitsverträge beim deutschen Fleischkonzern Tönnies sind kein Einzelfall. Schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne sind in vielen Branchen die Regel, sei es in der Textilindustrie, in der Blumenproduktion oder im Rohstoffabbau. So etwas sollte man verhindern, keine Frage. Die deutsche Antwort aus den Häusern des Arbeitsministeriums und des Entwicklungsministerium (BMZ) lautet: das Lieferkettengesetz. Es soll die global players zur Einhaltung der Menschrechte zwingen. Endlich mal keine höfliche Bitte, sondern eine gesetzliche Forderung.

Das Gezerre hat schon angefangen. Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände haben sich auf die Beine gestellt, um das Gesetz zu verhindern bzw. zu verwässern. Sie befürchten, wie bei jeder Reform, das endgültige Ende der deutschen Wettbewerbsfähigkeit. Es sind vor allem scheinheilige Argumente, die ins Feld geführt werden: Wettbewerbsnachteile, Verantwortung für etwas übernehmen, wofür sie angeblich keine Verantwortung haben, oder die Coronakrise muss herhalten, die jetzt schon die Lieferketten schädigen würde. Wirtschaftsminister Altmeier hat sich deutlich positioniert – gegen das Gesetz. Jetzt kommt es offenbar auf die Bundeskanzlerin an. Schlägt sie sich auf die Seite der Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen und der ca. 60 Unternehmen, die dem Gesetz etwas abgewinnen können (wie bspw. Tchibo, Rewe, Ritter Sport)? Die Kanzlerin hätte zudem Unterstützung von den Kirchen, der SPD und Teilen der CDU.

Doch die Sache ist nicht so einfach. Auch wenn das geplante Gesetzt getragen ist von einer legitimen moralischen Entrüstung, es wäre ein Schritt in die falsche Richtung.

Das fängt schon damit an, dass es sich wieder einmal um einen deutschen Alleingang handelt. Was wird nun aus den vielen multilateralen Vereinbarungen, die von zivilgesellschaftlichen Akteuren seit Jahren hart erkämpft wurden? Das fair trade-Siegel zum Beispiel oder Rugmark mit zertifizierten Sozial- und Umweltstandards zur Bekämpfung von Kinderarbeit in der Teppichherstellung. Oder die „codes of conduct“ für Unternehmen und deren Zulieferern, die Implementierung der Standards (Qualität, Lieferpünktlichkeit und Arbeitsstandards) eigenständig zu verfolgen. Vor allem in Sektoren mit extensiver globaler Arbeitsteilung (Kleidung, Spielzeug und Sportbekleidung) wurde in den vergangenen Jahren ein erheblicher Druck auf Kaufhausketten und Markenfirmen aufgebaut, mit ihren weltweit verstreuten Unterauftragnehmern solche Standards zu erfüllen. Tripartite Social Minimum Standards (TSMS) wurden von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, transnationalen Unternehmen (global buyers and producers) sowie von der International Labour Organisation (ILO) und Regierungen vereinbart. Man mag noch nicht auf der Zielgeraden sein, aber ein deutscher Alleingang irritiert hier zumindest. Es kann mehr als bezweifelt werden, dass die zuständigen Minister ernsthaft mit der ILO gesprochen hätten. Dass die Bundesregierung in allen Verlautbarungen betont, wie sehr sie den Multilateralismus stärken möchte – hier wird mal einfach ausgehebelt.

Auch haben sich die beiden Minister diesen Schnellschuss ohne Beteiligung der betroffenen Länder ausgedacht. Was sagen eigentlich die Regierungen in Vietnam, Kambodscha, Bangladesch, Kolumbien oder Äthiopien dazu? Wie sehen die Länder das deutsche Vorpreschen und die Intervention in die inneren wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten? Vietnam zum Beispiel. Einst gefeiert als Next 11 und Jahrzehnte der guten Zusammenarbeit. Binnen zwei Monaten wird das Land zunächst vom BMZ einseitig von der Liste bilateraler Partnerländer gestrichen, jetzt erfährt man möglicherweise aus der Presse, dass sie den deutschen Standards nicht mehr genügen.

Die deutsche Regierung hat sich nicht einmal der Mühe unterzogen, sich mit diesen Ländern abzustimmen und gemeinsam Maßnahmen zu verhandeln. Wie zum Beispiel die Umsetzung eines Plans, in dem Fördermaßnahmen und Anreizsysteme zur Erweiterung von Menschenrechten und gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften etabliert werden. Das wäre aber erforderlich, denn man kann sich ja leicht vorstellen, dass Länder, die von westlichen als Standorte für Textilproduktion, Blumen, und Spielzeug ausgewählt wurden, möglicherweise den Beschlüssen aus Deutschland zustimmen wollten. So posaunen die deutschen Minister ihre Botschaft in die Welt: wir preschen voran, wir entscheiden, wir sind am längeren Hebel, wir sagen wo es lang geht, wir heben den Zeigefinger – und analysieren nicht einmal die realpolitischen und wirtschaftlich-sozialen Folgen für die betroffenen Länder und Unterauftragsfirmen.

Was die betroffenen Länder hingegen brauchen, ist kein Lieferkettengesetz, sondern einen glaubwürdigen und ernsthaften Ansatz, zusammen mit der deutschen Wirtschaft bzw. mit der Wirtschaft der Industrienationen insgesamt, die Wertschöpfung in den eigenen Ländern zu stärken. Deutsche Investitionen können dann am besten funktionieren, wenn mit lokalen Mittelunternehmen zusammen gearbeitet wird, wenn Technologie- und Wissenstransfer stattfindet, die Produktivität steigt und damit auch die Löhne anziehen. Gerade die High-Tech Unternehmer aus Deutschland wissen aus eigenen Erfahrungen in China, in Südafrika, Mexiko und in Thailand, dass es nicht mehr um die niedrigsten Löhne geht, sondern um ein Zukunftskonzept mit gut verdienenden Arbeitnehmern, mit wachsenden Konsummärkten, mit gut ausgebildeten Menschen und moderner Landwirtschaft. D.h. deutsche Investoren sollten in die Entwicklung von Wertschöpfungsketten investieren. Es geht um lokale Wertschöpfung, von der die deutschen Investoren profitieren. Lieferketten sind der status-quo, Wertschöpfungsketten sind die Zukunft. Dies hat sich bei vielen Unternehmen herumgesprochen, auch wenn sich die verfasste Wirtschaft damit schwer tut.

Da das geplante Lieferkettengesetz solche Ziel nicht einmal im Ansatz verfolgt, würde es auch nicht zu einer besser Globalisierung führen, sondern eher dem gegenwärtigen Trend der Renationalisierung von Wertschöpfungsketten. Es ist zu vermuten, dass sich ein beträchtlicher Anteil von Firmen aus den Niedriglohnländern zurückzieht und die Produktion wieder nach Europa, und dann nach Ost- und Südosteuropa verlagert. Ob damit den Armen in Bangladesch, Äthiopien oder Vietnam gedient ist? Eher nicht. In Ländern wie Vietnam, Thailand, Kolumbien oder Indonesien sind in den letzten Jahren Unternehmen entstanden, die mit eigenen Brandnames, mit dem Schub in der Technologie und Produktivität Anschluss an die Unternehmen in Europa gefunden haben. Anstatt die wirtschaftliche Kooperation mit diesen reicher werdenden Ländern mit hoher Kaufkraft zu vertiefen, setzt das Lieferkettengesetz auf Rückzug. Die aufstrebenden Länder können das vielleicht verschmerzen und werden sich an andere Partner wie allen voran China, aber auch Indien oder Korea halten. Die immer lauter werdende Klage über den geopolitischen Bedeutungsverlust von Deutschland bzw. Europa wird immer unglaubwürdiger.

Deutschland befindet sich im außenpolitischen Blindflug. Ausgerechnet das von der globalen Arbeitsteilung profitierende Deutschland schiebt einen Prozess in die falsche Richtung an und wird vom Exportweltmeister zum Anti-Globalisierer. Das Lieferkettengesetz ist ein Aufschlag ins falsche Spielfeld, das ein über Jahrzehnte aufgebautes internationales Vertrauenskapital leichtfertig vergibt. Er sollte deshalb gegen den Widerstand der Befürworter abgelehnt werden.