Beitrag vom 05.09.2019
FAZ
Brennendes Land der Hoffnungslosen
Südafrika kommt auch unter seinem neuen Präsidenten nicht auf die Beine. Die Wut darüber entlädt sich in Unruhen. Opfer sind mal wieder vor allem Einwanderer. Von Thilo Thielke
KAPSTADT, 4. September
Endlich sollte es einmal wieder gute Nachrichten aus Südafrika geben. Bei dem am gestrigen Mittwoch in Kapstadt eröffneten afrikanischen Weltwirtschaftsforum (WEF) sollen drei Tage lang Themen wie Freihandelsabkommen, die „vierte industrielle Revolution“ und das Wirtschaftswachstum diskutiert werden. Afrika will sich der Welt als Kontinent der Chancen präsentieren. Mehr als tausend Delegierte sind zu dem Treffen angereist.
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa ist auf einen Stimmungsumschwung dringend angewiesen. Ehrgeizig hatte sich der 66 Jahre alte Unternehmer und frühere Gewerkschaftsfunktionär das Ziel gesetzt, Investments von hundert Milliarden Dollar ins Land zu holen und es unter die weltweit fünfzig Staaten mit dem besten Investitionsklima zu bringen. Ramaphosa gilt als Vertreter des liberalen Flügels des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Als er seinen Vorgänger, den korrupten Jacob Zuma ablöste, war die Erleichterung groß.
Seit rund anderthalb Jahren ist Ramaphosa nun schon im Amt, im Frühjahr gewann er die Präsidentenwahlen. Doch ist ihm bislang nicht viel gelungen. Das zuvor schon schwache Wirtschaftswachstum ist weiter gesunken, auf unter ein Prozent; die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 30 Prozent – bei jungen Menschen sogar bei rund 60 Prozent; 30 Millionen Südafrikaner leben in Armut. Nun wurde bekannt, dass Unternehmer Investments im Wert von rund 3,8 Milliarden Euro zurückgezogen haben. Auch die Ankündigung entschädigungsloser Enteignungen von weißen Farmern hat viele potentielle Geldgeber verschreckt. Seit Monaten taumelt zudem der staatliche Stromversorger Eskom von einer Krise in die nächste.
Zu Ramaphosas Verdruss überschatten nun auch noch gewaltsame Unruhen den Wirtschaftsgipfel. Seit drei Tagen werden in Pretoria und Johannesburg Geschäfte in Brand gesetzt und geplündert. Mehr als hundert Menschen wurden verhaftet, mindestens fünf sollen ums Leben gekommen sein. Bilder, die im Internet kursieren, zeigen, wie aus Fahrzeugen heraus Macheten verteilt werden, Menschen auf offener Straße gesteinigt und zusammengeschlagen werden, Geschäfte und Fahrzeuge brennen. Die Polizei reagiert mit Tränengas und Gummigeschossen. Der Polizeichef von Johannesburg erklärte die Stadt zum nationalen Notstandsgebiet, und der Regierungschef der Provinz Gauteng, David Makhura, droht mit dem Einsatz des Militärs.
Die Aggression richtet sich vorwiegend gegen in Südafrika lebende Ausländer. Viele Äthiopier und Nigerianer, Eritreer und Somalier, Sambier und Zimbabwer suchen in Südafrika ihr Glück. In Pretoria soll der Auslöser für den Gewaltausbruch der Mord an einem Taxifahrer gewesen sein. Dieser war von einem Nigerianer erschossen worden, der zuvor des Drogenhandels bezichtigt worden war. In Johannesburg war ein brennendes Haus eingestürzt. Dabei waren drei Menschen getötet worden. Allerdings eskaliert die ausländerfeindliche Gewalt bereits seit Monaten immer wieder. Während in den Großstädten junge Männer marodierend durch die Geschäftsviertel ziehen, blockieren Lastwagenfahrer seit Wochen wichtige Landstraßen und greifen ausländische Fahrer an. Allein seit März 2018 sollen rund 200 Trucker ihr Leben verloren haben.
Beunruhigt von den Meldungen aus Südafrika hat der sambische Minister für Transport und Kommunikation seinen Landsleuten geraten, das Land zu meiden und ihre Lastwagen in Sicherheit zu bringen. Der sambische Fußballverband sagte ein verabredetes Freundschaftsspiel ab. Heftige Reaktionen kamen auch aus der nigerianischen Hauptstadt Abuja, wo der südafrikanische Botschafter einbestellt wurde. „Widerliche und deprimierende Nachrichten“ nannte der nigerianische Außenminister Geoffrey Onyeama die Berichte aus Südafrika. Nigerias Vizepräsident Yemi Osinbajo, der die WEF-Delegation des westafrikanischen Ölstaats anführt, erklärte, er werde die Vorkommnisse am Rande des Treffens in Kapstadt zur Sprache bringen. Der nigerianische Musiker „Burna Boy“ verkündete, er werde nie mehr südafrikanischen Boden betreten.
Zwar hat Südafrikas Präsident Ramaphosa öffentlich die Gewalt in einer Twitter-Botschaft als „absolut inakzeptabel“ verurteilt und erklärt, es gebe „keinerlei Rechtfertigung für Südafrikaner, Menschen aus anderen Ländern anzugreifen“. Allerdings wächst die Kritik an der Polizei, der viele Südafrikaner Tatenlosigkeit vorwerfen. „Südafrikas Regierung und Polizei vergießen jedes Mal Krokodilstränen, wenn so etwas passiert, dabei ermutigen sie ihre Landsleute erst zu solchen Gewalttaten“, zitiert die südafrikanische Tageszeitung „Cape Argus“ den nigerianischen Geschäftsmann Ikechukwu Obi, dessen Geschäft während der jüngsten Unruhen verwüstet wurde.
Vor zwei Jahren hatte der stellvertretende Polizeichef von Johannesburg im Fernsehen behauptet, seine Stadt werde „von Ausländern überschwemmt“ und in eine „gesetzlose Gesellschaft“ verwandelt. Wie viele Ausländer tatsächlich in Südafrika leben, ist nicht bekannt. Laut einem Zensus waren es im Jahr 2011 rund 2,2 Millionen. Allerdings wird die Zahl weit höher geschätzt, da sich viele Ausländer illegal im Land aufhalten. Insbesondere aus dem Krisenstaat Zimbabwe sollen in den letzten Jahren mehr als drei Millionen Menschen in den Nachbarstaat geflüchtet sein. Neu sind ausländerfeindliche Unruhen in Südafrika nicht. Im Jahr 2008 waren bei derartigen Unruhen mehr als 60 Menschen getötet worden.