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Beitrag vom 06.08.2019

FAZ

Ruandas Präsident Kagame : Gefährlicher Kampf

Von Thilo Thielke

In Ruanda gibt sich der Diktator Paul Kagame als Saubermann. Doch er lässt seine politischen Gegner, die sich für Demokratie einsetzen, einsperren und ermorden.

Victoire Ingabire sitzt im Empfangsraum eines Hauses, das viel zu groß für sie allein ist. Es liegt auf einem Hügel. Wenn sie vor die Tür geht, hat sie einen guten Blick über Ruandas Hauptstadt Kigali. Es ist Ingabires Haus. Doch ihre Familie befindet sich in Holland, der Ehemann und die drei Kinder, 13, 16 und 26 Jahre alt. Die 50 Jahre alte Victoire Ingabire hat Sehnsucht nach ihnen. Aber sie sagt auch, sie müsse bleiben, sie könne nicht anders: „Wenn ich dieses Land einmal verlassen habe, werden sie mich nie wieder einreisen lassen. Und die Familie hierherzuholen ist zu gefährlich.“

Victoire Ingabire vom Stamm der Hutu ist Vorsitzende der „Vereinigten Demokratischen Kräfte Ruandas“ und wollte 2010 für das Amt der Präsidentin kandidieren. Seit 1994 wird Ruanda von dem Diktator und ehemaligen Rebellenführer Paul Kagame mit eiserner Faust regiert. Kagame duldet keinen Widerspruch. Wahlen gewinnt er regelmäßig mit 98 oder 99 Prozent der Stimmen; politische Gegner verschwinden oft spurlos. Dennoch kehrte Ingabire, die zuvor in den Niederlanden Wirtschaftsrecht studiert hatte und erfolgreiche Geschäftsfrau war, nach 16 Jahren aus dem europäischen Exil zurück in die alte Heimat. „Ich wusste damals schon, wie gefährlich das war“, sagt sie heute, „doch ich wollte für die Demokratie kämpfen.“ Daran habe sich nichts geändert.

Ingabire wurde gar nicht erst zu den Wahlen zugelassen. Sie war noch nicht lange in Kigali, da stand sie bereits unter Hausarrest und wenig später vor Gericht. Sie sei eine Terroristin, schäumte die damalige ruandische Außenministerin Louise Mushikiwabo, und unterhalte Kontakte zu Hutu-Milizen in Kongo. Der Richter befand, Victoire Ingabire leugne den Völkermord und plane einen Umsturz. Ein „Génocidaire“ zu sein ist der Standardvorwurf im Land der tausend Hügel. Sogar Ingabires Anwalt, der amerikanische Jura-Professor Peter Erlinder, wurde damals in Kigali wegen der angeblichen Leugnung des Genozids festgenommen.

Erlinder hatte zuvor in den Vereinigten Staaten Strafanzeige gegen Kagame gestellt. Der Jurist wirft ihm vor, den Abschuss jener Maschine befohlen zu haben, die am 6. April 1994 im Landeanflug auf Kigali von zwei Boden-Luft-Raketen getroffen wurde. Burundis Herrscher Cyprien Ntaryamira und Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana kamen ums Leben, und unmittelbar darauf begann ein Genozid, der rund drei Monate dauern sollte und bei dem rund 800??000 Menschen ihr Leben verloren. Der Tutsi Kagame und seine Rebellentruppe Rwandan Patriotic Front hatten Ruanda zuvor von Uganda aus angegriffen und das Land in einen Bürgerkrieg gestürzt. Es kam zu grausamen Gemetzeln an Angehörigen der Tutsi-Ethnie, aber auch an moderaten Hutu, und es wurden auch massenhaft Racheakte von Kagames vordringenden Tutsi-Rebellen begangen. Auch Victoire Ingabires Bruder kam damals ums Leben.

Seitdem Paul Kagame den Bürgerkrieg für sich entscheiden konnte und an der Macht ist, wird jeder verfolgt, der die offizielle Lesart anzweifelt. Nach dieser Version haben Kagames Männer dem Land keinen Bürgerkrieg aufgezwungen, nicht das Flugzeug mit Ruandas Präsidenten abgeschossen und keine Kriegsverbrechen begangen. „Das ist Geschichtsklitterung“, sagt Ingabire, „aber jede Kritik daran wird brutal unterdrückt.“ Ihr amerikanischer Anwalt wurde kurz nach seiner Verhaftung aus „gesundheitlichen Gründen“ wieder auf freien Fuß gesetzt. Victoire Ingabire hingegen wurde von Kagames Richter zu 15 Jahren Haft verurteilt – und erst im Herbst 2018, nach acht Jahren Haft, offiziell begnadigt.

Die ersten fünf Jahre seien grausam gewesen, sagt Ingabire: „Ich wurde komplett isoliert. Erst in den letzten drei Jahre haben sich die Bedingungen etwas gebessert, weil ich da zum ersten Mal meine Zelle verlassen konnte und andere Häftlinge sah.“ Reden durften die Mitgefangenen allerdings nicht mit der Politikerin. Als Ingabire das berüchtigte Mageragere-Gefängnis im September vergangenen Jahres verließ, wirkte sie dennoch ungebrochen. Sie schritt aufrecht und trug ein rotes Kleid und eine grüne Jacke, die Farben ihrer Koalition. Sie sagte damals: „Wenn wir sehen, in welche Richtung unser Land heute geht, hat man Grund zur Hoffnung auf größere politische Freiheit.“

Das würde sie heute nicht mehr sagen. „Drei Wochen nach meiner Freilassung wurde der Vizepräsident unserer Partei, Boniface Twagirimana, aus dem Gefängnis verschleppt und verschwand spurlos. Unser Generalsekretär befindet sich immer noch in Haft.“ Am 9. März schließlich wurde Ingabires Sekretär, Anselme Mutuyimana, ermordet am Rande des Gishwati-Waldes in West-Ruanda aufgefunden. Dorfbewohner hatten beobachtet, wie die Leiche von Ingabires engstem Mitarbeiter aus einem Auto geworfen wurde. An seinem Hals fanden sich Würgemale. Mutuyimanas Tod, schreibt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sei das letzte Vorkommnis „in einer langen Reihe von Morden, dem Verschwindenlassen, politisch motivierten Verhaftungen und ungesetzlichen Festnahmen, besonders von Regierungsgegnern“.

Sie selbst könne sich zwar frei bewegen, sagt Ingabire, müsse aber stündlich mit einer Verhaftung rechnen. Erst jüngst verbrachte sie einen ganzen Tag auf einem Polizeirevier und wurde verhört. Das Land darf sie nur mit der Genehmigung des Justizministers verlassen. Dass Kagame vorhaben könnte, das Land zu demokratisieren, und sie und 2140 weitere Gefangene aus diesem Grund aus den Gefängnissen entließ, glaubt sie nicht mehr.

„Es geht Kagame nur darum, sein Image aufzupolieren“, ist Ingabire überzeugt. „Er möchte Führer der frankophonen Welt in Afrika werden, und insbesondere möchte er im Jahr 2020 die Commonwealth Games ausrichten – dafür stilisiert er sich jetzt als Saubermann.“ Ursprünglich sollten die Spiele in Malaysia stattfinden, wurden aber aus politischen Gründen verlegt und dann Ruanda zugewiesen. Damit wird das Sport-Großereignis zum ersten Mal in der Geschichte in einem Land ausgetragen, das nie zum britischen Einflussreich gehörte.

„Kagame genoss lange Narrenfreiheit und wurde vom Westen geradezu hofiert“, sagt der ruandisch-kanadische Ökonom David Himbara. „Das liegt an den Schuldgefühlen, weil damals die Vereinten Nationen nicht eingegriffen haben, um den Völkermord zu verhindern.“ Kagame selbst spreche in diesem Zusammenhang von „Genocide Capital“. Himbara wuchs in Kanada auf und besitzt einen Doktortitel von der Queen’s University in Kingston, Ontario. Später arbeitete er unter anderem in Südafrika. Wie Ingabire kehrte auch Himbara nach Ruanda zurück, um sein Land wiederaufzubauen. Von 2000 bis 2002 arbeitete der marktliberale politische Ökonom offiziell als „Oberster Privatsekretär“ Paul Kagames; 2006 dann beauftragte ihn der Präsident, das Land wirtschaftlich zu öffnen. „Wir haben damals Ruanda nach vorne gebracht“, sagt Himbara. „Im Weltbank-Bericht, der misst, wie wirtschaftsfreundlich die Länder sind, kletterte Ruanda vom 143. auf den 67. Rang von 183 Ländern.“

Von diesem Ruf zehrt der bitterarme Kleinstaat mit seinen rund zwölf Millionen Einwohnern noch immer. Dennoch waren die Mängel nicht zu übersehen. Kagames Regierungspartei RPF mische durch den parteieigenen Investmentfonds Crystal Ventures in nahezu jedem Wirtschaftszweig mit, sagte Himbara. Das gelte vom Straßenbau über die Sicherheit bis hin zu Möbelfirmen. „Jetzt können ausländische Investoren zwar unkompliziert Niederlassungen eröffnen, aber es gibt keinen fairen Wettbewerb.“ Die Folge: Sechzig Prozent der Ruander leben nach Aussage Himbaras von weniger als zwei Dollar am Tag. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Ruanders betrage 740 bis 800 Dollar – halb so viel wie das eines Kenianers. Als er Kagame dafür kritisiert habe, Statistiken fälschen zu lassen und zum Beispiel das jährliche Wirtschaftswachstum des Landes viel zu hoch angegeben zu haben, so Himbara, sei es zum Bruch zwischen den beiden gekommen.

Mittlerweile lebt der Ökonom in Toronto. Himbara sagt, er könne keinen Fuß mehr auf afrikanischen Boden setzen, weil er sonst schnell ein toter Mann wäre. Seine Sorgen scheinen begründet: 2010 wurde in Johannesburg ein Attentat auf den ehemaligen ruandischen Generalstabschef und Kagame-Vetrauten Kayumba Nyamwasa verübt. Wenig später starb der ruandische Journalist Jean-Léonard Rugambage, der in dem Fall recherchierte, vor seiner Haustür in Kigali, nachdem er von vier Kugeln getroffen worden war. 2012 wurde der ehemalige Chef der ruandischen Entwicklungsbank, Théogène Turatsinze, in Maputo ermordet. Die moçambiquanische Polizei vermutet ein ruandisches Killerkommando hinter dem Angriff. 2014 schließlich wurde der frühere Geheimdienstchef Patrick Karegeya in Südafrika unter ungeklärten Umständen ermordet.

Besonders grotesk findet Himbara „den Versuch Kagames, sich bei seinen Finanziers in den sogenannten Geberländern beliebt zu machen, indem er deren Lieblingsthemen“ aufnehme. So habe er Plastiktüten verbieten lassen, obwohl es in der Millionenstadt Kigali „noch nicht einmal ein Abwassersystem gibt und all der Dreck in die Flüsse gespült wird“. Ebenso „albern“ sei es von Kagame, „sich als Feminist zu geben“. Zwar rühme er sich damit, dass von den Abgeordneten im nationalen Parlament sechzig Prozent Frauen seien – „allerdings ist keine einzige von ihnen demokratisch gewählt worden“. Im Gegenteil seien seine mutigsten politischen Gegner Frauen.

Denn nicht nur Victoire Ingabire will den politischen Kampf trotz aller Gefahren nicht aufgeben. Auch die 37 Jahre alte Geschäftsfrau und Frauenrechtlerin Diane Rwigara gehört zu Kagames größten Kritikern. Auch Rwigara, deren Familie eine der reichsten in Ruanda ist, hatte vor, gegen Kagame bei Präsidentenwahlen zu kandidieren. Anfang Mai 2017 gab sie ihre Absicht bekannt. Kurz darauf wurde ihr mitgeteilt, dass weder sie noch einige andere Kandidaten zur Wahl zugelassen werden würden. Amnesty International veranlasste das damals zu der Feststellung, in Ruanda herrsche ein „Klima der Angst und Unterdrückung“.

Kagame gewann die Wahl Anfang August erwartungsgemäß mit fast 99 Prozent. Ende August wurde Rwigaras Haus dann von der Polizei gestürmt. Sie und ihre Mutter Adeline wurden verhaftet und wegen angeblicher Steuervergehen angeklagt. Zur Abdeckung der vermeintlichen Schulden beschlagnahmte das ruandische Finanzamt Gerätschaften von einer familieneigenen Tabakplantage und verkaufte sie für rund zwei Millionen Dollar. Erst nach mehr als einem Jahr Haft wurden Rwigara und ihre Mutter auf Kaution entlassen.

Diane Rwigara sitzt auf einem Gartenstuhl vor ihrem Haus mitten in Kigali. Zur Straße hin wird das Anwesen durch eine hohe Mauer mit Stacheldraht geschützt. Sicher fühlt sie sich dennoch nicht. 2015 starb ihr Vater Assinapol Rwigara bei einem Verkehrsunfall. Die Umstände wurden nie aufgeklärt. Er stand Kagame einst sehr nahe. Dann hatte er sich – wie viele andere ehemalige Weggefährten – mit dem autoritären Herrscher überworfen. Rwigara ist davon überzeugt, dass ihr Vater ermordet wurde. „Unter Kagame herrscht Sippenhaft“, sagt sie. Selbst ihren Geschwistern wurden die Pässe entzogen, damit sie das Land nicht verlassen können. Dass Kagame vom Ausland so lange hofiert wurde und bisweilen als Versöhner und großer Erneuerer gefeiert wird, verbittert sie dennoch nicht. „Wir müssen uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern“, sagt sie, „davon gibt es kein Entrinnen.“

Im Moment drohen Kagames rabiate Methoden sich zu einer Krise auszuweiten, die die gesamte Region betrifft. Vor Monaten ließ er die Grenzen zum Nachbarland Uganda sperren – angeblich weil sein einstiger Förderer, Ugandas Präsident Yoweri Museveni, Rebellen in Ruanda finanziert. Von dort heißt es mittlerweile, man sei auch auf einen Krieg zwischen den beiden Ländern vorbereitet. Zwar wolle man einen Waffengang verhindern, ließ Musevenis Partei, „Nationale Widerstandsbewegung“, in einer Stellungnahme wissen, sei aber „darauf vorbereitet, sich jederzeit und zu jedem Preis zu verteidigen“.