Beitrag vom 12.07.2019
FAS
Instabile Staaten :
Warum gegen afrikanische Regierungen so oft geputscht wird
Von Philip Plickert
Im Sudan gab es nun schon wieder einen versuchten Staatsstreich. Nirgendwo werden Regierungen so häufig gestürzt wie in Afrika. Woran das liegt, haben Wissenschaftler in einer Studie untersucht.
In Sudan war zuletzt die Hölle los. Nach dem Putsch vor drei Monaten wüteten in der Hauptstadt Khartum und in Darfur Milizionäre und die sogenannten Djandjawid (Reitende Teufel); es gab zahllose Todesopfer. Seit dem Sturz des islamistischen Diktators Omar al Baschir hat eine Militärregierung die Macht übernommen. Indes forderten mutige Demonstranten in Khartum eine echte Demokratisierung.
Ende der vergangener Woche verkündete die Militärregierung eine Einigung mit der Opposition auf eine gemeinsame Übergangsregierung. Doch die Unsicherheit geht weiter. Wie der Militärrat am Donnerstagabend im Staatsfernsehen mitteilte, gab es nun einen neuen versuchten Staatsstreich anderer Offiziere, der niedergeschlagen wurde.
Die Ereignisse im Sudan werfen ein Schlaglicht darauf, dass Coups d'État vor allem in Afrika noch immer relativ häufig vorkommen. Im zentralafrikanischen Gabun versuchte zu Jahresbeginn eine Gruppe junger Offiziere die Macht zu übernehmen, als Staatschef Ali-Ben Bongo nach einem Schlaganfall abwesend war. Sie besetzte einen Radiosender, doch ihr Aufstand scheiterte.
In Algerien drängte ein drohender Staatsstreich den Langzeitherrscher Abd al-Aziz Bouteflika aus dem Amt. In Äthiopien, dem Nachbarland Sudans, wurden Ende Juni bei einem Putschversuch gegen die Regionalregierung in Amhara deren Präsident sowie der Chef der Streitkräfte des Landes getötet.
75 Prozent aller Staatsstreiche und Putsche finden heutzutage in afrikanischen Ländern statt, heben die Analysten von NKC African Economics, einer Tochtergesellschaft von Oxford Economics, in einem aktuellen Papier hervor. Allerdings hat die Putschhäufigkeit deutlich abgenommen. In den 1960ern knallte es im Durchschnitt fast zehnmal im Jahr, danach sank die Zahl schrittweise. Heute gibt es nur noch etwa zwei Staatsstreiche pro Jahr auf der ganzen Welt.
Die 1960er Jahre waren aus verschiedenen Gründen eine Hochphase von Militärputschen: Nach der Dekolonisierung Afrikas entstanden dort instabile Staaten, in denen verschiedene Gruppen um die Macht rangen. Zudem wurden die Konflikte im Kalten Krieg von den beiden Supermächten zusätzlich angefacht, die Attentate, Rebellionen und Staatsstreiche unterstützten.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und der weltweiten Zunahme demokratischer Regierungen hat die Coup-Wahrscheinlichkeit stark abgenommen. Afrika bleibt indes ein Kontinent mit vielen eher instabilen Ländern.
Demokratie kann Staatsstreiche verhindern
Was sind die Faktoren, die einen Coup oder Coup-Versuch begünstigen? Die Ökonomen von NKC African Economics haben elf Faktoren in einer Regressionsanalyse aller - erfolgreichen oder versuchten – Staatsstreiche seit 1950 getestet. Einige Faktoren korrelieren dabei mehr als andere mit dem Ereignis Staatsstreich, wobei Korrelation nicht zwingend Kausalität bedeuten muss.
Wenn ein Land eine demokratische Regierung hat, verringert dies tendenziell die Putschwahrscheinlichkeit. Allerdings ist die Beziehung nicht linear, sondern komplizierter. In soliden Demokratien wird selten geputscht. Aber auch in ganz harten Autokratien und Diktaturen ist die Putschgefahr nicht so hoch, wenn der Herrscher mit Eisenhand regiert und jede Opposition unterdrückt. Anfällig für Putsche sind eher mittel- bis halbautoritär regierte Länder, wo es gerade ein bisschen Freiheit gibt, so dass Proteste sich äußern oder Medien über Missstände berichten können. Nur etwa die Hälfte der afrikanischen Staaten kann man als wirkliche Demokratien betrachten.
Vermögen im Ausland
Ein Faktor, der mit etwas höherer Putschhäufigkeit einhergeht, ist die lange Herrschaftsdauer eines Staatschefs: Einige sitzen über Jahrzehnte an der Spitze des Landes. Als Muammar al-Gaddafi 2011 abgesetzt und getötet wurde, hatte er 42 Jahre lang über Libyen geherrscht. Gabuns Präsident Ali-Ben Bongo amtiert erst seit zehn Jahren, zuvor regierte aber sein Vater Omar Bongo ganze 42 Jahre lang das ölreiche, bitterarme Land und häufte ein Vermögen von mehreren hundert Millionen Dollar an; laut Medienberichten besitzt die Familie allein in Frankreich fast vierzig Immobilien und Villen.
Diktator al Baschir kam 1989 nach einem Militärputsch an die Macht und herrschte in Sudan fast 30 Jahre. Robert Mugabe, der 2017 von Rivalen in Zimbabwe gestürzt wurde, hat sogar 37 Jahre lang regiert und die einstige Kornkammer Ostafrikas zeitweise in Hungersnöte gestürzt. Nirgendwo sonst auf der Welt halten sich so viele Langzeitregenten wie in Afrika: In Kamerun, Äquatorialguinea und Uganda sitzen die Herrscher seit mehr als drei Dekaden auf ihren Thronen, mit pseudodemokratischem Anstrich. Nirgendwo gibt es so viele hochbetagte Herrscher mit weit über 70 oder 80 Jahren (Mugabe war bei seinem Sturz 93 Jahre alt). In Ländern, in denen die Hälfte der Bevölkerung unter 18 Jahre ist, wirken diese Greise wie Fremdkörper.
Andere Faktoren haben ebenfalls, wenngleich nur geringeren Einfluss auf die Putschwahrscheinlichkeit. Eine sehr junge Bevölkerung, die aus sehr hohen Geburtenzahlen resultiert, steigert das Risiko etwas, aber nicht viel. Der "Youth Buldge" - also ein extremer Überhang an jungen Leuten, die kaum berufliche Perspektiven haben - soll gar keinen Effekt haben. Andere Faktoren wie besonders große Armut oder niedriges Wirtschaftswachstum gehen laut NKC-Analyse nicht mit einer höheren Putschwahrscheinlichkeit einher.
Ein militärischer Hintergrund des amtierenden Regierungschefs erhöht das Risiko eines Staatsstreichs jedoch signifikant: Er zeigt, dass hier Generale an die Macht kommen können. Immerhin in dreizehn afrikanischen Ländern stehen Ex-Militärs an der Spitze. Laut der NKC-Analyse gibt es derzeit in fünf afrikanischen Staaten ein erhöhtes Risiko, dass es zu einem Putsch kommt: in Äthiopien, Nigeria, Zimbabwe, auf den Komoren und in Sierra Leone.
In der jahrzehntelangen wissenschaftlichen Debatte über mögliche Putsch-Determinanten herrscht allerdings kein Konsens. Dutzende Studien kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Ökonomen Martin Gassebner (Universität Hannover) sowie Jerg Gutmann und Stefan Voigt (beide Uni Hamburg) haben mit einer Extreme-Bounds-Analyse versucht, unter den vielen vorgeschlagenen Ursachen diejenigen herauszufiltern, die wirklich "robust" sind. Sie haben Daten von 465 Putschen und Putschversuchen seit 1950 herangezogen und 66 Faktoren getestet. Nach ihrem (sehr strengen) Test spielen nur eine Handvoll Faktoren ganz sicher eine Rolle: eine schwache Wirtschaftsentwicklung in einem Land, frühere Putschversuche sowie andere Formen politischer Instabilität und Gewalt, unsichere Eigentumsrechte.
Wo schon häufiger das Militär eine Regierung gestürzt hat, rechnen sich putschwillige Offiziere Erfolgschancen aus. Andererseits können Regierungen der Putschgefahr vorbeugen, wenn sie für sicherere Eigentumsrechte der Bürger sorgen. Außerdem ist die Putschgefahr geringer, wenn die Nachbarländer stabile Demokratien sind.