Beitrag vom 01.07.2019
Spiegel Online
Rebellion im Sudan
An der Schwelle zum Bürgerkrieg
Von Christoph Titz
Blutiger Sonntag: Ein demokratischer Massenprotest gegen das Militärregime im Sudan ist
brutal niedergeschlagen worden. Doch auch innerhalb der Streitkräfte tobt ein Machtkampf.
Nach dem Massaker von Khartum vor rund einem Monat schien der demokratische Protest im
Sudan ersckt. Am Sonntag meldeten sich die Demonstranten jedoch zahlreich zurück.
Im ganzen Land waren Zehntausende dem Aufruf der Organisation "Kräfte für Freiheit und
Wandel" (FFC) gefolgt, die eine Machtübergabe an eine zivile Regierung verlangt. Die
Mobilisierung gelang, obwohl der militärische Übergangsrat (TMC) seit Wochen das Internet
blockiert. Im April hatten die demokratischen Kräfte zum Sturz von Machthaber Omar al Baschir geführt.
Der Protestmarsch sollte auch ein Gedenken für die mehr als hundert Toten vom 3. Juni sein.
Damals hatten die Sicherheitskräfte ein Protestlager vor dem Armeehauptquartier überfallen
und ein Massaker angerichtet. Bewaffnete hatten in den frühen Morgenstunden Zelte
angezündet und scharf in die Menge geschossen, einige Menschen hatten die Angreifer im
Schlaf überrascht und getötet.
Doch auch die Bilanz dieses Sonntags ist in mehrfacher Hinsicht traurig.
Laut Meldungen der staatlichen Nachrichtenagentur wurden am Sonntag sieben Menschen
erschossen und mehr als 180 verletzt, etliche durch scharfe Munition. Ein Oppositionsvertreter
gab die Zahl der Getöteten jedoch mit zehn an. Er machte den Militärrat für die Gewalt
verantwortlich. Dessen Sprecher hingegen erklärte, Schuld sei die Opposition, die zu den
Protesten aufgerufen hatte.
Wie am 3. Juni seien auch am Sonntag wieder zahlreiche bewaffnete Kräfte der Miliz Rapid
Support Force (RSF) mit Sturmgewehren und Pick-up-Trucks in der Stadt zu sehen gewesen,
berichteten Augenzeugen. Schon unter Machthaber Baschir hatten die berüchtigten Einheiten
Demonstranten verschleppt, verwundet oder getötet.
Kommandeur der Miliz ist Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemed. Offiziell ist er nur
Vizevorsitzender des TMC, gilt aber gemeinhin als der neue starke Mann im Sudan. Umso
erstaunlicher war daher eine Wortmeldung Hemeds am Sonntagabend: "Scharfschützen", so
der General, hätten auf mindestens sechs Demonstranten, aber auch auf drei Männer seiner
RSF-Truppe geschossen.
Sollte Hemed die Wahrheit sagen, sind RSF-Milizionäre im Chaos der Proteste womöglich ins
Schussfeld ihrer Kollegen vom regulären Militär geraten. Oder, und das wäre schlimmer: Der
Machkampf im TMC, über den seit Wochen gesprochen wird, ist offen entbrannt. Das hieße:
Armee und RSF greifen nicht mehr nur die Demonstranten an, sondern bekämpfen sich nun
auch noch untereinander. Das brächte den Sudan näher an die Schwelle zum Bürgerkrieg.