Beitrag vom 25.06.2019
FAZ
Schon Hunderttausende Tote
Seit Jahren terrorisieren die Djandjawid-Milizen Darfur – jetzt haben sie in Khartum das Sagen/Von Thilo Thielke
KAPSTADT, 24. Juni
Die Bilder aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum, die derzeit in den sozialen Medien veröffentlicht werden, zeugen von Orgien der Gewalt: Sie zeigen plündernde, prügelnde, mordende Milizionäre; Leichname, die aus dem Nil gezogen werden; endlose Kolonnen von Pritschenwagen, an deren Seiten Panzerfäuste baumeln und auf deren Ladeflächen Maschinengewehre montiert wurden. Ärzte berichten von Vergewaltigungen, Oppositionelle von willkürlichen Erschießungen.
Bislang hatten die Djandjawid in Darfur gewütet. Jetzt nennen sie sich „Rapid Support Forces“ (Schnelle Unterstützungskräfte) und treiben ihr Unwesen in Khartum – im Machtzentrum eines Landes, das zwar Beled as-Sudan, „Land der Schwarzen“ genannt wird, in dem aber eine sich arabisch nennende Elite lange mit teils roher Gewalt über als minderwertig betrachtete „Afrikaner“ herrschte. Dafür hatten die Machthaber in Khartum Handlanger in den Provinzen bewaffnen lassen, darunter viele Söldner. Nun haben diese apokalyptischen Reiter offenbar das Zentrum der Macht erobert.
Lange Zeit hörte man wenig aus Darfur. Seit dem Sturz Omar al Baschirs hat sich das geändert. Denn seit die Djandjawid-Milizen die Hauptstadt kontrollieren, scheint auch in den fünf Darfur-Provinzen die Gewalt wieder zu eskalieren. Allein in den vergangenen drei Monaten sollen nach Angaben von Andrew Gilmour, dem Beigeordneten UN-Generalsekretär für Menschenrechte, 47 Menschen in Darfur getötet und 186 verletzt worden sein. Innerhalb der vergangenen zwei Monate sollen wegen der Teilnahme an Demonstrationen in Darfur darüber hinaus 163 Zivilisten verhaftet worden sein. Es gebe „vermehrt Berichte über Tötungen, Entführungen, sexuelle Gewalt und andere Taten“, so Gilmour, der davon überzeugt ist, dass „über viele Verbrechen in Darfur nicht berichtet wird und sie unsichtbar bleiben, da einige Regionen kaum zugänglich sind“.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Jens Laerke, Sprecher des UN-Nothilfekoordinators. Kürzlich sagte Laerke in Genf, in Darfur herrsche immer noch „eine humanitäre Krise“. Wenige Tage zuvor habe ein Trupp der in Darfur stationieren Blauhelmmission Unamid das Dorf Deleji in Zentraldarfur besucht und einen Überfall untersucht, bei dem 17 Menschen getötet, 15 verletzt und mehr als hundert Häuser niedergebrannt worden seien.
Umkämpft war Darfur schon immer. Einst kreuzten sich hier die wichtigsten Handelswege zwischen Niger und Nil mit der Sklavenstraße Darb al Arba’in. Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert zogen immer mehr arabische Nomaden in die Gegend und vermischten sich mit den sesshaften Stämmen. Auch Mekka-Reisende strandeten in der unwirtlichen Gegend, in der unzählige Räuberbanden ihr Unwesen trieben. Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert war Darfur ein selbständiges Sultanat. 1883 kapitulierte der von Ägyptern eingesetzte Darfur-Gouverneur Slatin Pascha, ein Hasardeur aus Österreich, vor den Truppen des Mahdi. Die Dürre, die in den achtziger Jahren die ganze Region heimgesucht hatte, verschärfte auch in Darfur die Konflikte: zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern, zwischen Arabern und Afrikanern, zwischen den Anhängern des Regimes und denen, die sich seit Jahrzehnten an den Rand gedrängt fühlen.
2003 begann die Rebellion mit dem Angriff der „Sudan Liberation Army“ auf den Flughafen und Einrichtungen der sudanesischen Armee in der Stadt El Fascher. Angehörige der Stämme Fur, Saghawa und Massalit hatten sich gegen die Islamisten erhoben. Um den Aufstand niederzuschlagen, gab Baschir sogenannten Djandjawid den Marschbefehl. Diese Milizen, in deren Namen die Begriffe Dschinn (Teufel) und Dschawad (Pferd) mitschwingen, waren bereits 1999 zur Aufstandsbekämpfung gebildet worden. Ihre Mitglieder hatte das Regime zunächst aus Araberstämmen in der Region rekrutiert, auch aus dem benachbarten Tschad. Später stießen Söldner aus einem Gebiet dazu, das bis nach Mauretanien reicht. Unter den „Afrikanern“ wüteten sie ohne Gnade. Bereits im Jahr 2006 wurde die Zahl der Menschen, die den „berittenen Teufeln“ zum Opfer gefallen waren, auf 300000 geschätzt. 2,7 Millionen Menschen wurden gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Zwar beruhigte sich die Situation danach, im Jahr 2007 rückte eine Blauhelmtruppe ein, die zeitweise 16000 Mann umfasste. Frieden zog in Darfur allerdings nie ein. Der amerikanische Sudan-Fachmann Eric Reeves schätzt die Zahl der Toten deshalb mittlerweile auf bis zu 600000. Wegen der als Völkermord eingestuften Greuel erließ der Haager Strafgerichtshof im Jahr 2010 Haftbefehl gegen Baschir.
Einer der wichtigsten Djandjawid-Führer war Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti. Mittlerweile ist er der zweite Mann in der Junta, die am 11. April die Macht in Khartum übernahm. Er ist der Neffe eines mächtigen Clan-Führers aus Darfur. Nach der dritten Klasse brach er die Schule ab, um mit Kamelen zu handeln. 2003 begann er seine Karriere als Djandjawid mit dem Überfall auf eine Kamelkarawane, bei dem 75 Männer ermordet und angeblich 3000 Kamele erbeutet wurden.
Seine Djandjawid-Einheiten wurden 2013 in „Rapid Support Forces“ umbenannt – ihr grausames Handwerk behielten sie bei. Sie machten Jagd auf illegale Einwanderer, plünderten Dörfer in Darfur und kämpften für die Saudis im Jemen. Mit jedem Einsatz wuchs Hemetis Einfluss. Im Moment gilt er als mächtigstes der zehn Mitglieder im Militärrat. Seine Rapid Support Forces sollen zwischen 30000 und 60000 Mann unter Waffen haben. Neben den Saudis wird Hemeti von der sudanesischen Regierung bezahlt; zudem bereichert er sich an den Goldminen in Darfur.
Nun bahnt sich in Darfur eine neue Katstrophe an. Ende dieses Monats will der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über ein Ende des Blauhelmeinsatzes beraten. Dieser ist für das Jahr 2020 vorgesehen. Im vorigen Jahr hatten die UN noch 6000 Friedenssoldaten im Einsatz, derzeit sind es nur noch 4000, daneben 2300 Polizisten. In neun von zehn ehemaligen Blauhelm-Quartieren sind nach der Räumung die Djandjawid alias „Rapid Support Forces“ eingerückt. Am 13. Mai veröffentlichte die Junta ein Dekret, nach dem die Unamid-Mission alle ihre Camps an Hemetis Männer zu übergeben habe.
„Eine Entscheidung, die Unamid-Mission zu beenden, würde auf rücksichtslose und unnötige Weise das Leben Zehntausender in Gefahr bringen“, warnt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Nach wie vor praktiziere die Regierung mit Hilfe der „Rapid Support Forces“ und anderer Milizen in Darfur „eine Politik der verbrannten Erde“. Ein Abzug der Blauhelme „würde die Zivilisten den brutalen Taktiken der sudanesischen Sicherheitskräfte ausliefern“.