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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 24.06.2019

FAZ

Afrikas Freihandelszone als Wendepunkt?

Die Erwartungen sind hoch. Aber in der Praxis lauern Hürden. Viele afrikanische Staaten behindern den Handel mit Nachbarn. Um wirklich etwas zu bewegen, müsste die EU ein großes Angebot machen.

Von Helmut Asche

Auf dem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union am 7. Juli in Niamey soll das große Vorhaben feierlich gestartet werden – Afrikas Kontinentale Freihandelszone. Man wird sich ihr englischsprachiges Kürzel CFTA ebenso einprägen müssen wie Mercosur oder Nafta, ihre süd- und nordamerikanischen Entsprechungen. Die CFTA ist wenig mehr als ein Jahr nach ihrer Gründung in Kigali von 52 der 55 afrikanischen Staaten unterzeichnet und von 24 Staaten schon ratifiziert worden. Südafrika hat gezögert und spät unterschrieben. Die größte afrikanische Volkswirtschaft Nigeria, seine Satelliten-Ökonomie Benin und Eritrea, haben allerdings nicht unterzeichnet.

Worum geht es bei der CFTA? Die kontinentale Freihandelszone soll zum schrittweisen Abbau der meisten afrikanischen Binnenzölle auf Güter führen. Sie soll auch den Einstieg in die innerafrikanische Liberalisierung von Dienstleistungen bringen sowie umfangreiche Handelserleichterungen und einen verbindlichen Mechanismus zur Konfliktregelung. Gerade die Parallelität von Warenhandels- und Service-Liberalisierung ist ein grundsätzlicher Fortschritt gegenüber der Schritt-für-Schritt-Logik der existierenden Handelsabkommen in Afrika und trägt der Realität moderner Netzwerke von Produktion, Logistik und Finanzabwicklung Rechnung. In einer zweiten Phase sollen ab 2020 die Themen Wettbewerb, Urheberrecht und Investitionen dazukommen – ein äußerst anspruchsvolles Programm.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellt in seinem jüngsten Halbjahresbericht über Afrika die Frage, ob die CFTA ein bahnbrechender Erfolg sein kann – ein „game changer“. Was wäre der Erfolgsfall? Im Erfolgsfalle wird die CFTA einen Markt von heute schon gut 1,2 Milliarden Menschen mit einer Wirtschaftsleistung von 2,5 Billionen Dollar integrieren. Sie würde auch einige Dutzend afrikanische Länder einbeziehen, die bisher in gar keine nennenswerte Regionalunion eingebunden sind. Die CFTA soll bis zu 90 Prozent des innerafrikanischen Handels von Zöllen befreien, wenn die unklare Regelung im Vertrag von allen Ländern so umgesetzt wird.

Ihr Erfolg wird aber – so sieht es auch der IWF – noch stärker vom Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse abhängen, die es in Afrika millionenfach gibt (neben dem Problem der schlecht ausgebauten grenzüberschreitenden Handelsstraßen). Auch notwendige technische oder sanitäre Standards und kleinteilige Ursprungsregeln werden hier unentwegt zu Hürden. Da nach einhelliger Einschätzung aller befassten Ökonomen die weiter fortgeschrittenen Länder Afrikas überdurchschnittlich von der CFTA profitieren würden, müssten auch Kompensationsmechanismen in das Paket gepackt werden, und dafür müssten die reicheren Mitgliedstaaten Geld in die Hand nehmen.

Das Projekt hat strategische Bedeutung. Afrika ist zwar mittlerweile gut in den Welthandel integriert – mit einem Volumen von etwa 67 Prozent der Wirtschaftsleistung, aber nur 12 Prozent des Handels findet im Inneren des afrikanischen Kontinents statt, fast alles geht in andere Kontinente. Dabei stellen sich die afrikanischen Staaten untereinander teilweise höhere Zölle in Rechnung als Drittländern, insbesondere wenn sie nicht derselben subregionalen Wirtschaftsgemeinschaft angehören. Nichttarifäre Handelshemmnisse schlagen stärker zu Buche als etwa im Verhältnis zur EU, wo Zollverfahren gut reglementiert und Ursprungsregeln vereinfacht sind. Händler gehen den Hürden aus dem Weg.

Der informelle, schwarze Grenzhandel in Afrika geht daher in die Milliarden Dollar und wird auf etwa ein Drittel des statistisch registrierten Handels geschätzt. Die Infrastrukturen sind seit jeher auf den Handel mit Übersee ausgerichtet, nicht auf den Binnenhandel. In dem Maße, wie die CFTA hieran etwas Grundlegendes ändert, kann sie einen gewaltigen Entwicklungsschritt ausmachen und die Schieflage gegenüber Handelspartnern im Rest der Welt beenden.

Das Problem ist, dass sich die großen Regionalgemeinschaften in West-, Ost- und Südafrika die wichtigsten dieser Reformschritte schon längst vorgenommen hatten. Auf dem Papier gehen einige sogar weiter und sind nominell Zollunionen oder Gemeinsame Märkte wie die EU. Auch auf ihrer Ebene hat es bedeutenden Zollabbau im Innern gegeben und Handelserleichterungen wie sogenannten One-Stop-Border-Posts. Aber keine einzige der Wirtschaftsgemeinschaften hat ein Stadium erreicht, wo Binnenzölle vollständig verschwunden und nicht durch neue Hürden ersetzt worden sind. Im Gegenteil, einzelne wichtige Länder brillieren immer wieder damit, sich außer der Reihe mit Handelsbeschränkungen zu traktieren – so Tansania, Kenia, Uganda oder Nigeria. Ständig wechselnde Listen mit „ausnahmsweise“ geschützten Produkten im Außen- wie im Binnenverhältnis machen Unternehmen das Leben schwer – oder leicht, wenn man zu den Profiteuren gehört. Daher dürfen auch deutsche Unternehmen einen annähernd friktionsfreien Binnenmarkt nirgendwo in Afrika erwarten, ganz gleich was am Eingangstor steht. Die fünf nordafrikanischen Länder handeln praktisch gar nicht miteinander, sondern lieber mit Europa. Und in Zentralafrika ist nur die Ausfuhr ostkongolesischer Rohstoffe nach Ruanda und Uganda wirklich bedeutend – ein Herz der Finsternis eigener Art. Warum sich daran grundlegend etwas ändern sollte, weil die ganze Thematik nun auch auf panafrikanischer Ebene verhandelt wird, ist a priori schwer einzusehen.

Eine politische Grundvoraussetzung wäre ohnehin, dass nicht nur kleine Binnenstaaten wie Ruanda vorangehen, sondern die beiden Regierungen der beiden größten Ökonomien – Nigeria und Südafrika – die CFTA zu ihrem gemeinsamen Projekt machen. Obwohl sie mit am meisten profitieren würden, fürchten diese beiden Länder aber Billigeinfuhren aus China auf dem Umweg über die neuen offenen Grenzen und wissen daher nicht recht, was sie von der CFTA halten sollen. Man stelle sich zum Vergleich eine Entwicklung der Europäischen Union mit einem zögernden Deutschland und maulenden Frankreich in ihrer Mitte vor.

Es bleibt die Erwartung, dass einzelne wesentliche Modernisierungsschritte, die technisch ohnehin auf kontinentaler Ebene besser aufgehoben sind – Brokerage, Zollabfertigungsregeln, Currency clearing, transkontinentale Infrastruktur –, die Wirtschaftsintegration voranbringen.

Derweil sind die existierenden Wirtschaftsgemeinschaften in West-, Ost- und Südafrika durch den Spaltpilz der sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der EU bedroht, die Economic Partnership Agreements (EPAs). Im südlichen Afrika gibt es gleich zwei; im Westen hat Nigeria, im Osten Tansania aus gutem Grund noch nicht unterschrieben, während die Elfenbeinküste, Ghana, Kamerun und Kenia Einzelvereinbarungen haben – ein alltägliches Desaster für die afrikanische Wirtschaftsintegration, die mit der CFTA gerade auf eine höhere Ebene gehoben werden soll, aber darunter auseinanderzufallen droht.

In dieser Situation schlagen Entwicklungsminister Gerd Müller, Kanzlerinberater Günter Nooke und Organisationen der Zivilgesellschaft vor, die umstrittenen EPAs der EU durch ein gemeinsames neues Abkommen mit der Afrikanischen Union beziehungsweise der CFTA zu besseren Bedingungen für Afrika zu ersetzen. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn die EU-Kommission dafür zu handelspolitischen Kompromissen bereit wäre. Auch eine werdende Freihandelszone wie die CFTA kann technisch mit einer etablierten Zollunion ein solches Abkommen schließen. Ob sich aber alle afrikanischen Länder erneut auf weitgehende Handelsliberalisierung gegenüber Europa einlassen werden, wird nicht dadurch plausibler, dass man die ganze Problematik auf die kontinentale Ebene hebt. Die EU müsste wohl viel weiter gehende Angebote machen – eine gemeinsame Neuordnung der Agrarpolitik zum Beispiel. Das sollte die Bundesregierung unterstützen, wenn sie Afrika wirklich helfen wollte.

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Helmut Asche ist Ökonom und Entwicklungsfachmann mit langjähriger Erfahrung in der praktischen Entwicklungshilfe. Er lehrte zuletzt als Professor am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz.