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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 24.06.2019

FAZ

Demografie

Panga uzazi!

Die Bevölkerungen der afrikanischen Länder wachsen rasant – nur wenigen gelingt die notwendige Bremsung

von Philip Plickert

Was für ein mächtiger Faktor die demographische Entwicklung für die Wirtschaftsentwicklung ist, wird noch immer vernachlässigt. Dabei gibt es große Ungleichgewichte. In den Industrieländern des Westens sind die Geburtenraten seit Jahrzehnten weit unter das „bestandserhaltende“ Niveau von 2,1 Kinder je Frau gefallen; die Alterung der Bevölkerungen wird zunehmend zur Belastung. Auch in den hochindustrialisierten Ländern Asiens wie Japan oder Südkorea sind die Geburtenraten sehr tief gefallen, und selbst in China ist die demographische Bremsung schon spürbar.

Ganz anders dagegen die Situation in Afrika, das nahezu ungebremstes Bevölkerungswachstum erlebt. Seit 1950 hat sich die Bevölkerung verfünffacht. Bis 2050 erwarten die UN für den Kontinent nochmals eine Verdoppelung der Einwohnerzahl von heute 1,3 Milliarden auf 2,5 Milliarden und einen weiteren Anstieg auf mehr als 4 Milliarden Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts. Die Geburtenraten sind nur sehr langsam gesunken. Bis in die achtziger Jahre bekamen Frauen im Durchschnitt mehr als 6 Kinder. Seitdem ist diese Zahl auf 4,4 gesunken, das sind aber immer noch doppelt sie viele wie im Rest der Welt. Der Rückgang der Geburtenziffern war in vielen Regionen so schleppend, dass die UN-Demographen mehrfach ihre Vorausberechnungen nach oben korrigieren mussten.

Die meisten afrikanischen Länder sind in einem „Problemkreislauf“ gefangen, schreibt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Sie sind kaum in der Lage, ihre Bevölkerung mit den erforderlichen Gesundheits- und Bildungsinfrastrukturen zu versorgen. 37 Millionen Kinder im Grundschulalter besuchen in Afrika keine Schule. Und je niedriger das Entwicklungsniveau, desto höher die Kinderzahl: Kinder gelten in den armen Gesellschaften als Altersversicherung und werden in der Landwirtschaft als billige Arbeitskräfte eingesetzt. Doch die schnell wachsende Bevölkerung zehrt alle Fortschritte beim Wirtschaftswachstum auf. Das Resultat ist eine Armutsfalle.

Eine sinkende Geburtenrate öffnet das Fenster für einen „demographischen Bonus“, wenn die Zahl der zu versorgenden Kinder in Relation zur Erwerbsbevölkerung abnimmt. Die asiatischen Tigerstaaten haben den Bonus geschickt genutzt und in Bildung und Forschung investiert. In einer neuen Studie hat das Berlin-Institut sieben Länder analysiert, die zu einem gewissen Grad Vorreiter für eine vernünftige Bevölkerungspolitik geworden sind, darunter so überraschende Kandidaten wie Äthiopien. Als wirksamstes „Verhütungsmittel“ gilt verbesserte Bildung für Frauen, denn junge Mädchen, die in die Schule gehen und eine berufliche Perspektive erhalten, bekommen später und weniger Kinder. Zunehmende Urbanisierung bremst auch die Geburtenzahl, denn in der Stadt sind Kinder ein Kostenfaktor. In Äthiopien ist die Geburtenrate innerhalb von zwei Jahrzehnten stark gesunken, von rund sieben auf etwa vier Kinder je Frau. Der von der Regierung geförderte Ausbau des Gesundheitswesens und der Schulen hat dazu beigetragen. Eine ganze Armee von „Gesundheitshelferinnen“ bringt einfache medizinische Dienste und Wissen über Familienplanung auch in die entlegenen Dörfer.

„Panga uzazi“ („Plane die Geburten!“) lautete die Devise auf Suaheli, die Kenias Präsident Daniel arap Moi schon vor vier Jahrzehnten ausgab: Die Geburtenziffer fiel von 7,6Kinder je Frau, damals eine der höchsten der Welt, auf 3,8 – eine der niedrigsten Ostafrikas. Auch wenn die HIV-Krise einen Rückschlag brachte, weil staatliche Mittel umgelenkt wurden, sind die Erfolge doch sichtbar.

Das kleine Botswana glänzt als Beispiel für „gute Regierungsführung“; Einnahmen aus den Diamantminen werden in einem Entwicklungsfonds gesammelt und in Bildung, soziale Sicherung und Gesundheitswesen investiert. Ruanda unter seinem autoritären Regierungschef Paul Kagame macht durch Frauenförderung von sich reden. In Westafrika haben Ghana und Senegal gewisse Erfolge vorzuweisen, Ghana hat die Gebühren für Sekundarschulen abgeschafft, zwei Drittel der Frauen haben sie inzwischen besucht.

Eine vergleichsweise „moderne“ Politik hat schon seit den fünfziger Jahren Tunesien praktiziert, die Polygamie verboten und das Mindestheiratsalter für Mädchen auf 17 Jahre heraufgesetzt. Die Einschulungsraten und die Alphabetisierung stiegen massiv. Aber Tunesien zeigt auch, dass dies nicht reicht. Das Land leidet unter hoher Jugendarbeitslosigkeit. Kein Zufall ist es, dass der „Arabische Frühling“ dort ausbrach. Die Rebellion hat offenbart, welche Sprengkraft eine junge, relativ gut gebildete Bevölkerung mit mangelnden Perspektiven und Einkommensmöglichkeiten hat.