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Beitrag vom 19.06.2019

FAZ

Piratenjagd am Horn von Afrika

Die Bundesmarine beteiligt sich seit zehn Jahren an der europäischen Operation „Atalanta“. Seither ist die Seeräuberei stark zurückgegangen. Doch die Täter bleiben oft auf freiem Fuß.

Von Thilo Thielke

DJIBOUTI, im Juni

Gutes Wetter heute. Klare Sicht, blauer Himmel, 36 Grad Hitze schon am Morgen. Vor ein paar Tagen noch fegte ein heftiger Sandsturm über Djibouti. Korvettenkapitän Michael Langhof, 38 Jahre alt und derzeit Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents, schaut zufrieden. Es ist acht Uhr früh. Neun Stunden Aufklärungsflug liegen vor dem Kommandeur und seiner Mannschaft. Gerade noch wird die „Orion“ betankt. Dann wird die „Jester“ genannte Vier-Propeller-Maschine, ein Seefernaufklärer des amerikanischen Herstellers Lockheed, wieder aufbrechen zur Überwachung des Seeraums über Somalia.

Für Langhof und die elfköpfige Besatzung ist das alles mittlerweile Routine. Seit drei Monaten sind er und seine Leute schon am Horn von Afrika stationiert: 78 Bundeswehrsoldaten, von denen die meisten sonst in Nordholz bei Cuxhaven stationiert sind. Sie gehören zum Marinefliegergeschwader 3, das auch „Graf Zeppelin“ genannt wird. Dazu kommen noch einige Soldaten von anderen Standorten, die als Sanitäter oder Buchhalter tätig sind. In der Zeit, die Langhofs Leute schon in Djibouti sind, haben sie 270 Flugstunden Seeraumüberwachung hinter sich gebracht; wenn sie in einigen Wochen wieder in der Heimat sind, werden es rund 350 sein. Ihre Aufgabe: Piraten aufspüren, Handelswege sichern, den Schiffen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) freie Fahrt zu den Hungernden zu ermöglichen. Von 2009 bis heute wurden mehr als 450 UN-Schiffe mit 1,8 Millionen Tonnen Nahrungsmittelhilfe sicher eskortiert. Das ist auch bitter nötig: Erst Anfang Juni veröffentlichte das WFP eine düstere Prognose. Demnach sind derzeit allein in Somalia zwei Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht. Vielen der Betroffenen drohe bis zum Ende des Sommers der Tod, so der Nothilfekoordinator Mark Lowcock, weil eine Dürre Ernten und Viehbestände vernichtet habe.

Den Rest besorgen Terror und Bürgerkrieg. Am vergangenen Samstag riss in Somalias Hauptstadt Mogadischu ein Bombenanschlag elf Menschen in den Tod, 25 wurden verletzt. Ein Einzelfall ist dieser Anschlag nicht. Allein im Jahr 2018 verübten radikale Islamisten der Terrorgruppe Al shabaab 1515 Gewalttaten und waren damit für „fast 42 Prozent aller erfassten tödlichen Islamisten-Angriffe in Afrika verantwortlich“, wie das „Africa Center for Strategic Studies“ berichtet. 3955 Menschen kamen bei diesen Anschlägen ums Leben. Weitere Morde gehen auf das Konto des „Islamischen Staats in Somalia“. Dieser hatte im vergangenen Jahr 49 Anschläge verübt und im November 2018 der Al Qaida nahestehenden Al Shabaab den Krieg erklärt.

Um die Sicherheit auf den Seewegen zu garantieren, war 2008 von der Europäischen Union die „Operation Atalanta“ ins Leben gerufen worden, und seit Beginn dieses Einsatzes ist Deutschland daran beteiligt. Damals erlebte die Piraterie in der Region einen Boom. Allein 2008 hatten Seeräuber vor der somalischen Küste 111 Schiffe angegriffen, 42 davon mitsamt ihren Mannschaften entführt und enorme Summen an Lösegeld kassiert. Damit setzten sie die Industrienationen unter Druck, die daraufhin gleich mehrere Anti-Piraterie-Missionen ins Leben riefen. Seit damals patrouilliert auch die deutsche Marine mit Fregatten, Korvetten und den Seefernaufklärern am Horn von Afrika. Die „Orion“ kommt dabei immer zum Einsatz, wenn gerade kein Monsun ist, sie startet vom französischen Flugplatz aus. Als Kaserne dient der Bundeswehr in Djibouti derweil das Sheraton Hotel.

Neben den Franzosen unterhalten auch die Amerikaner in Djibouti seit 2002 eine Militärbasis: das Camp Lemonnier mit rund 4000 Soldaten. Italienische und japanische Soldaten sind ebenfalls vor Ort. Vor kurzem errichteten die Chinesen eine Marinebasis in Djibouti; sogar die Saudis planen einen Stützpunkt. „Kaum ein Ort ist für den Welthandel von solcher Bedeutung wie diese Gewässer hier am Golf von Aden“, sagt der 45Jahre alte Fregattenkapitän Alexander Gottschalk. Gottschalk ist ein Veteran, was den Einsatz im Golf von Aden angeht. Als Schiffseinsatzoffizier war er von Januar bis August 2009 einer der ersten Deutschen im Kampf gegen die Piraten. „Rund 20000 Schiffe passieren die Meerenge jedes Jahr, also rund 60 am Tag“, sagt Gottschalk, „rund 90 Prozent des Handelsvolumens zwischen Afrika, Asien und Europa werden durch die gerade einmal sieben Kilometer breite Meeresstraße Bab al-Mandab geschleust.“ Kaum ein Seeweg sei so gefährdet wie dieser. Es ist neun Uhr morgens, als Langhof und seine Besatzung an diesem Morgen mit der „Orion“ Djibouti verlassen. Auf dem Boden neben der Einstiegsluke liegt eine Karte von der Region. Stephan D., der Tactical Coordinator, auch „Tacco“ genannt, erklärt der versammelten Mannschaft den Tagesbefehl.

Zunächst geht es ungefähr drei Stunden lang in südöstlicher Richtung zur Küste Puntlands, dann immer entlang des Küstenstreifens bis hinunter zur somalischen Hauptstadt Mogadischu, von dort nach Osten aufs offene Meer. In dieser Gegend waren zuletzt Aktivitäten der Piraten festgestellt worden. Über dem Meer dann wird die „Orion“ Schleifen drehen und die Gegend observieren. Dafür hat sie Radar, Sonar und ein kleines Wunderwerk namens Wescam MX-20 HD an Bord – eine unter dem Cockpit befestigte Kamera, die noch bei 40 Kilometer Entfernung scharfe Fotos liefert. Sollte die Truppe in der Luft irgendwelche auffälligen Bewegungen registrieren, wird sie die Kommandozentrale informieren. Diese befindet sich derzeit auf der spanischen Fregatte „Navarra“, dem Flaggschiff vor Ort, und in der andalusischen Hafenstadt Rota.

„Die Vorgehensweise der Piraten ist fast immer gleich“, sagt Langhof, „meist stechen sie in kleinen schnellen Motorbooten in See. Mit diesen kapern sie dann Handelsschiffe auf dem Indischen Ozean. Diese Schiffe, mit denen sie weite Strecken zurücklegen können, benutzen sie dann als Mutterschiffe für ihre Überfälle.“ Die Beobachtungen decken sich mit Gottschalks Erkenntnissen: „Seit das Netz der Überwachung immer dichter gezogen wurde, weichen die Seeräuber vermehrt auf die offene See aus, die nicht ganz so leicht zu beobachten ist.“ Tatsächlich ist die Zahl der Piratenüberfälle in der Region drastisch zurückgegangen. Wurden im Jahr 2011 noch 176 Angriffe und 25 Entführungen vor der somalischen Küste und im Golf von Aden gezählt, waren es schon ein Jahr später nur noch 34 Angriffe und vier Entführungen und im Jahr 2018 lediglich zwei Angriffe, die beide vereitelt werden konnten.

Es ist 10.15 Uhr, und die „Orion“ überquert gerade auf 15000 Fuß Flughöhe Puntland im Norden Somalias, als die Umrisse einer Kaserne auf dem Monitor erscheinen. Puntland ist eine jener Regionen, aus der viele somalische Piraten stammen. Seit einiger Zeit tobt zudem ein blutiger Konflikt zwischen Puntland und der benachbarten autonomen Provinz Somaliland; es geht um ein Stück Ödland. In den vergangenen Monaten hat es Hunderte von Toten gegeben, und der Konflikt könnte sich zu einem richtigen Krieg ausweiten. Heute aber ist es ruhig. Zehn Panzer stehen in der Sonne; noch sind sie gut 50 Kilometer entfernt, aber bereits gut sichtbar. Radar- und Kamera-Operatorin Susanne S. zählt das Kriegsgerät. Keine Auffälligkeiten auch, als die „Orion“ zehn Minuten später die Küste erreicht hat. In den berüchtigten Rückzugsorten der Piraten an der Küste regt sich gar nichts. Um 11.20 Uhr überfliegt die „Orion“ die verrosteten Überreste des Containerschiffs „Albedo“, das Piraten 2010 gekapert und, nachdem sie zehn Millionen Dollar Lösegeld erpresst haben sollen, drei Jahre später vor der somalischen Küste versenkten. Nur noch die Kommandobrücke ragt aus dem Wasser. Gegen 12.30 Uhr dann tauchen die Umrisse von Mogadischu auf. Früher wurde es auch die „Perle Ostafrikas“ genannt. Heute ist es zum großen Teil eine Trümmerwüste.

„Dass die Piratenangriffe stark zurückgegangen sind, liegt nicht nur an der intensiven Seeraumüberwachung, sondern auch an der besseren Bewaffnung der einzelnen Schiffe“, sagt Gottschalk. In der Hochzeit der Überfälle sollen somalische Piraten im Jahr rund 150 Millionen Dollar Lösegeld erbeutet haben. Mittlerweile buchen Reedereien Sicherheitsdienste, wenn sie den Golf von Aden passieren müssen. Diese kennen oft wenig Gnade mit den Piraten und schießen sich den Weg frei. Dass den Deutschen meist die Hände gebunden sind, löst nicht selten Frust aus: Sie dürfen nur schießen, wenn sie selbst von den Piraten unter Feuer genommen werden. Wenn es ihnen gelingt, Piraten festzunehmen, werden diese meist entwaffnet und vor der Küste wieder ausgesetzt. Oft reichen die Indizien nicht, weil die Piraten ihre Ausrüstung – Enterleitern und Kalaschnikows rechtzeitig ins Wasser warfen oder die Flaggenstaaten der angegriffenen Schiffe kein Interesse an einer strafrechtlichen Verfolgung haben.

Aber es gibt auch Erfolgserlebnisse. Am neunten Mai spürte Langhofs Truppe eine Piratenbande auf, die ein jemenitisches Schiff entführt und 25 Seeleute als Geiseln genommen hatte. Von dort hatten die Somalis versucht, Fischereiboote zu überfallen. Die „Orion“ beschattete die Piraten und leitete die „Navarra“ zu ihnen. Zwar konnten fünf Piraten entkommen. Fünf weitere aber wurden von den Spaniern in Gewahrsam genommen. Auf den Seychellen soll ihnen nun der Prozess gemacht werden. An diesem Tag aber bleibt alles ruhig. Abends gegen 18 Uhr erreicht die „Orion“ wieder ihren Stützpunkt in Djibouti. 20 Schiffe konnten identifiziert werden. Ein Seeraum von der Größe Deutschlands wurde überflogen.