Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 07.05.2019

FAZ

Ohne großen Masterplan

Fakten widerlegen die These von der „Schuldenfallen-Diplomatie“Chinas/Von Friederike Böge

PEKING, im Mai

Vor gut zwei Jahren prägte der indische Wissenschaftler und Kommentator Brahma Chellaney eine wenig schmeichelhafte Vokabel zur Umschreibung von Chinas neuer Seidenstraße: Schuldenfallen-Diplomatie. Sein Vorwurf: Das Land vergebe gezielt Kredite an mittellose Länder, die sie nicht zurückzahlen könnten, um sie von sich abhängig zu machen und den eigenen geostrategischen Interessen zu unterwerfen. Konkret warf er Peking vor, seiner Marine auf diese Weise Zugang zu ausländischen Häfen zu sichern und so seine militärische Expansion voranzutreiben.

Chellaneys einprägsame Vokabel hat sich seither zu einem Evergreen der Debatte über die chinesische Infrastrukturinitiative entwickelt. Befördert wurde das von der amerikanischen Regierung, die „die Schuldenfalle“ zum Kampfbegriff erhoben hat. Im März etwa sagte Außenminister Mike Pompeo, Peking nutze „die Schuldenfalle, um Länder in eine Lage zu bringen, in der es nicht mehr um einen kommerziellen Vorgang, sondern um einen politischen Vorgang geht, der darauf ausgerichtet ist, Schaden zu verursachen und politischen Einfluss in dem Land zu gewinnen“.

Auch manche von Chinas Schuldnern haben die Vokabel dankbar aufgegriffen, um ihre Position in Verhandlungen mit Peking zu verbessern. Zum Beispiel der malaysische Ministerpräsident Mahathir Mohamad. Als Beleg für den Vorwurf der Schuldenfalle wird fast ausschließlich das Beispiel Sri Lanka angeführt, das China im Dezember 2017 die Nutzungsrechte für den Hafen von Hambantota für 99 Jahre überschrieb, weil es seine Schulden nicht mehr bedienen konnte.

Sind die Teilnehmer der neuen Seidenstraße also Opfer eines chinesischen Masterplans, dessen Dimensionen sie nur noch nicht durchschaut haben? Amerikanische Wissenschaftler haben nun Zweifel angemeldet, ob das Wort von der Schuldenfalle den Kern der Sache trifft. Dabei haben sie etwas vorgebracht, das in der Debatte oft zu kurz kommt: Daten und Fakten.

Das Analyse-Haus Rhodium Group hat kürzlich 40 Fälle untersucht, in denen es Nachverhandlungen über Kredite chinesischer Staatsbanken gegeben hat. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine Übernahme von Vermögenswerten wie in Sri Lanka „ein sehr seltener Vorgang ist“. In 16 der 40 untersuchten Fälle wurden Schulden abgeschrieben, in elf Fällen die Rückzahlungsfristen verlängert und in jeweils vier Fällen eine Refinanzierung, eine Neuverhandlung der Konditionen oder ein Abbruch der Zahlungen vereinbart. Das weist einerseits darauf hin, dass Peking sich durchaus gesprächsbereit zeigt, wenn Länder in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Andererseits zeigt die hohe Zahl an Nachverhandlungen, dass die von China finanzierten Projekte sich häufig als wirtschaftlich nicht tragfähig erwiesen haben.

Die Rhodium-Studie kommt zu dem Schluss, dass die Schuldner in den Nachverhandlungen immer dann ein besseres Ergebnis erzielen konnten, wenn sie Zugang zu alternativen Finanzquellen, etwa dem Internationalen Währungsfonds, hatten, also nicht allein auf Peking angewiesen waren. Auch im Falle von Machtwechseln, in denen neugewählte Regierungschefs ihren Vorgängern vorhielten, schlechte Konditionen mit China ausgehandelt zu haben, machte Peking Zugeständnisse. In Ecuador etwa und in Malaysia, wo die neue Regierung die Kosten für den Bau einer neuen Eisenbahnlinie nachträglich um ein Drittel senken konnte. Andererseits gaben Nachverhandlungen China die Möglichkeit, wirtschaftliche Zusagen ein weiteres Mal an politisches Wohlverhalten zu knüpfen. Wohl nicht zufällig war der malaysische Ministerpräsident der erste Regierungschef, der offiziell seine Teilnahme am Seidenstraßen-Gipfel im April zusagte. Noch Wochen vorher hatte er Peking des Neokolonialismus verdächtigt.

Dass das mächtige China bei Zahlungsrückständen nicht immer am längeren Hebel sitzt, zeigen Beispiele wie die Ukraine, die sich weigerte, das zugesagte Getreide zu liefern, und Venezuela, dessen Öllieferungen an China seit Jahren weit unterhalb der vereinbarten Menge liegen. Dass Peking daraus einen geostrategischen Vorteil ziehen konnte, ist nicht zu erkennen.

Eine scharfe Kritikerin des Begriffs „Schuldenfalle“ ist Deborah Bräutigam von der Johns-Hopkins-Universität. Als Leiterin der China-Afrika-Forschungsinitiative untersucht sie seit langem chinesische Finanzströme in der Welt. Dabei habe ihr Institut kein Muster erkennen können, wonach chinesische Staatsbanken gezielt in unwirtschaftliche Projekte investierten, um strategische Vorteile für China zu erwirken, schrieb sie in einem Gastbeitrag für die „New York Times“. Sie verwies darauf, dass von 17 afrikanischen Ländern, die sich derzeit in einer Schuldenkrise befänden, nur drei vornehmlich bei China verschuldet seien.

Selbst das Beispiel Sri Lanka taugt nach Bräutigams Einschätzung nicht als Beleg für die Schuldenfallen-These. Die Idee für den Bau des Hafens von Hambantota, der sich bislang als nicht tragfähig erwiesen hat, sei nicht von China gekommen, sondern seit Jahrzehnten Teil des offiziellen Entwicklungsplans Sri Lankas. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durch ein dänisches Unternehmen habe dem Projekt 2006 gute Chancen attestiert. Der Impuls für das chinesische Engagement sei von dem staatlichen Hafenbauunternehmen CHEH gekommen, das die Finanzierung durch chinesische Staatsbanken sicherte, um an dem Bauvertrag zu verdienen. CHEH sei dann aber von einem anderen chinesischen Unternehmen bei der Vergabe der Betreiberlizenz ausgestochen worden. Damit erinnert Bräutigam daran, dass die chinesischen Akteure vermutlich oft eher eigenen Interessen folgen als einem großen Masterplan.

All das bedeutet freilich nicht, dass die Kritik an der Seidenstraße unberechtigt wäre. Schon die Intransparenz der Kredite, deren Modalitäten von China nicht veröffentlicht werden, und der weitgehende Ausschluss anderer Anbieter begünstigen Korruption, überhöhte Projektkosten und Kungeleien zwischen chinesischen Staatsunternehmen und lokalen Regierungen, erst recht, wenn dort Wahlen anstehen. Beim Seidenstraßen-Gipfel in Peking Ende April hat Präsident Xi Jinping zwar mehr Transparenz und wirtschaftliche Nachhaltigkeit versprochen. Aber es wurden keine Mechanismen vereinbart, an denen sich ablesen ließe, ob die Versprechungen auch eingelöst werden.

Das Bild von der Schuldenfalle lenkt jedoch von der Frage ab, warum so viele Länder trotz der bekannten Risiken eine „Teilnahme“ an der neuen Seidenstraße attraktiv finden. Offenbar gibt es nicht genügend andere Angebote, mit denen die Länder ihren Infrastrukturbedarf decken können.