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Beitrag vom 29.06.2018

FAZ

Entwicklungshilfe reduziert die Flüchtlingsströme nicht

Forschungsbericht: Wissenschaft liefert dafür keine Hinweise/Deutschland zweitgrößtes Geberland

bee./mas. FRANKFURT/BERLIN, 28. Juni. Seit immer wieder Bilder von überfüllten Schlauchbooten und Rettungsschiffen mit Migranten aus Afrika die Öffentlichkeit aufrütteln – so wie aktuell das Boot „Lifeline“, das nun in Malta anlegen durfte – ist eine Forderung immer wieder zu hören: Um die Flüchtlingsströme einzudämmen, müssten die Fluchtursachen bekämpft werden. Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) etwa wirbt seit langem für einen Marshallplan mit Afrika.

Mit einer florierenden Wirtschaft will er dort Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen und so den Strom der Flüchtlinge stoppen oder stark abbremsen. Jede Woche wachse die Bevölkerungszahl in Afrika um eine Million, argumentiert er. Diesen Menschen müsse man eine Perspektive in ihren Heimatländern geben. Ein aktueller Forschungsbericht des Instituts zur Zukunft der Arbeit deutet jedoch darauf hin, dass sich die Hoffnung, mehr Entwicklungshilfe könne die Migration aus armen Ländern deutlich reduzieren, nicht erfüllen wird: Die Belege dafür seien „im besten Fall schwach“, schreiben die Autoren.

Allein über den Etat von Minister Gerd Müller wird Deutschland dieses Jahr 9,4 Milliarden Euro zugunsten armer Länder ausgeben. Hinzu kommen Mittel aus anderen Ressorts wie dem Auswärtigen Amt oder dem Umweltministerium. Alles in allem kamen so vergangenes Jahr fast 25Milliarden Dollar für die Entwicklungshilfe zusammen. Deutschland war 2017 nach der Statistik der Industrieländerorganisation OECD zweitgrößter Geber in der Welt – hinter den Vereinigten Staaten (35 Milliarden Dollar). Gemessen an der Wirtschaftskraft leistet Berlin jedoch deutlich mehr als Washington (0,66 Prozent im Vergleich zu 0,18 Prozent). Deutschlands Zahlen sind in der jüngsten Vergangenheit in die Höhe geschnellt, weil ein Teil der inländischen Ausgaben für Flüchtlinge einberechnet wird.

Die Autoren des Forschungsberichts schauen sich zunächst an, welchen Einfluss das Pro-Kopf-Einkommen auf Migration hat. Das Ergebnis: In Ländern, in denen es zwischen 5000 und 10000 amerikanischen Dollar liegt, ist die Zahl der Auswanderer dreimal höher als in Ländern, in denen es weniger als 2000 Dollar sind. Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass die Migration erst abnehme, wenn ein Pro-Kopf-Einkommen von 8000 bis 10000 Dollar erreicht wird – bis dahin lege sie bei wachsendem Wohlstand zu. Was erst einmal kontra-intuitiv erscheinen mag, erklären die Wissenschaftler so: Ein höheres Einkommen ermöglicht es Menschen, die auf ein besseres Leben für sich und ihre Familie hoffen, die Kosten etwa für die Überfahrt zu bezahlen. Auch können sie mit dem Geld in die eigene Bildung investieren, was es ebenfalls erleichtert, die Heimat zu verlassen.

Legt man die durchschnittliche Wachstumsrate in den ärmsten Ländern der Welt zugrunde, dauere es im Normalfall fast 200 Jahre, bis der Impuls zur Migration nachlässt, heißt es weiter. Selbst wenn man annehme, dass Entwicklungshilfe das Wirtschaftswachstum um zwei Prozentpunkte im Jahr steigere, würde es ein halbes Jahrhundert dauern, bis die entscheidende Einkommensschwelle erreicht ist. Hinzu kommt, dass der Überblicksarbeit zufolge viele wissenschaftliche Studien nicht feststellen können, dass Entwicklungshilfe einen nennenswerten Wachstumseffekt hat. All das bedeute nicht, dass Entwicklungshilfe die Situation in großen Herkunftsländern nicht verbessern kann. Die Autoren plädieren aber dafür, Migration etwa in Form von Ausbildungspartnerschaften aktiv zu gestalten.