Beitrag vom 01.03.2016
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Wird China künftig auch im internationalen zivilgesellschaftlichen Bereich neue Akzente setzen?
Thomas Bonschab
Noch ist es nur ein Plan, aber China will künftig chinesische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stärker in die Durchführung internationaler Entwicklungskooperationen einbinden. Chinesische NGOs sollen nicht nur mit lokalen NGOs in Afrika oder Asien zusammenarbeiten, sondern auch mit Internationalen NGOs des Westens. Chinesische NGOs sollen einen Beitrag dazu leisten, die globale Entwicklungsarchitektur im Sinne des chinesischen Verständnisses mitzugestalten.
Aber langsam. NGOs in China? Und noch abenteuerlicher: Ausgerechnet von China soll ein Impuls für das internationale zivilgesellschaftliche Engagement in der Entwicklungspolitik ausgehen?
Bevor ein solcher Anspruch in die Realität umgesetzt werden kann müssen Chinas Aufsichtsbehörden und das für Entwicklungszusammenarbeit federführende Handelsministerium eine Reihe von Fragen beantworten. Hier sind nur einige davon:
1. Wie kann das erforderliche Maß an Unabhängigkeit und Rechtssicherheit für NGOs gewährleistet werden?
2. Wie können NGOs darin unterstützt werden, sich professionell und sensibel in internationale Kontexte einzubringen?
3. Welche Standards für Finanzierung, Rechenschaftslegung und Monitoring sollten festgelegt werden?
Es ist nicht zu erwarten, dass rasch eindeutige Antworten auf solche und ähnliche Fragen gefunden werden. Wahrscheinlicher ist, dass sich bestenfalls ein vorläufiger Umgang mit NGOs etabliert, der dann im Rahmen von internationalen Pilotprojekten schrittweise eine neue Praxis schafft. Regierung und Gesellschaft werden Zeit brauchen, NGOs als Akteure aufzubauen und sich an ihre Präsenz zu gewöhnen. Und auch die heute nur in Ansätzen vorhandene NGO-Szene in China wird Zeit brauchen, sich zu professionalisieren und internationale Erfahrungen zu sammeln.
Viele internationale Beobachter bezweifeln, dass China es überhaupt ernst meint mit dem Aufbau entwicklungspolitisch ausgerichteter NGOs. Tatsächlich lässt sich mit guten Argumenten darauf verweisen, dass zivilgesellschaftliche Gruppen derzeit kein leichtes Leben in China haben. Zudem liegt bereits in zweiter Fassung ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch, der alle internationalen NGO-Aktivitäten unter die Aufsicht der chinesischen Sicherheitsbehörde stellt.2 Das geplante Gesetz bezieht sich zwar nur auf internationale NGOs mit Engagement in China, aber da viele chinesische NGOs – gerade im Bereich der Entwicklungspolitik – internationale Unterstützung erhalten, geht es auch um sie. Der Entwurf hat viel internationale Empörung ausgelöst. In der Tat sollten alle Alarmsignale blinken, wenn einer Sicherheitsbehörde im Namen der nationalen Sicherheit weitreichende Befugnisse erteilt werden sollen – zumal die Kriterien der Intervention nicht näher bestimmt sind. Es gibt viele problematische Ansätze in dem Gesetzesentwurf. Nicht einmal die Gruppe der NGO wird näher definiert, so dass auch universitäre Kooperationen unter das Gesetz fallen würden. Das alles klingt nach Verschluss, nicht nach Öffnung in der internationalen zivilgesellschaftlichen Kooperation.
China befindet sich offenbar am Scheideweg. Aber es gibt auch Grund für einen gewissen Optimismus. Der Gesetzesentwurf zur Steuerung und Überwachung internationaler NGOs liegt bereits seit Mitte letzten Jahres vor und ist seither nicht beschlossen worden. Der Grund ist, dass er auch innerhalb des chinesischen Systems nicht so recht zu überzeugen vermag. Die Sicherheitsbehörde wurde mit der Erstellung eines Gesetzesentwurfs beauftragt, den sie entsprechend aus ihrer Perspektive formuliert hat. Der Entwurf ist härter und enger formuliert als es aus Sicht international ausgerichteter Ministerien – also fast aller anderen Ministerien in China – sinnvoll sein kann.
Es ist also zweifelhaft, ob das Gesetz, selbst wenn es in der vorliegenden Fassung beschlossen würde, den großen Trend des Aufbaus von NGOs in China und deren Einbindung in die internationale Entwicklungskooperation aufhalten kann. Allen voran ist das Handelsministerium – als federführendem Ressort für die internationale Entwicklungszusammenarbeit – dringend auf die Kapazitäten im zivilgesellschaftlichen Bereich angewiesen. Denn die eigenen personellen Ressourcen sind äußerst begrenzt. Verglichen mit den Entwicklungsministerien und deren Vorfeldeinrichtungen etablierter Geberländer der OECD geht die eigene Leistungsfähigkeit schnell in die Knie. Schon die Anfragen zu Dialogen mit den etablierten Gebern lassen sich mit dem vorhandenen Personal nicht bedienen. Für eine flächendeckende Zusammenarbeit nach westlichem Vorbild – mit Einsatz von Experten, Konferenzen, Prüfmissionen und dem Aufbau komplexer Strukturen– sind weder finanzielle noch personelle Kapazitäten vorhanden. Wichtiger noch: Nicht nur das Handelsministerium will und braucht einen NGO-Sektor, auch und gerade in der Entwicklungspolitik.
Sollte China die Einbindung von NGOs in die Entwicklungspolitik gelingen, können wir uns auf eine lebhafte Diskussion einstellen. Es ist absehbar, dass chinesische NGOs nicht wie Internationale NGOs mit Sitz in westlichen OECD-Ländern operieren werden. Sie werden einen ‚chinesischen Weg‘ gehen, der dem Rest der Welt einen kritischen Spiegel vorhält. Es lässt sich auch schon ausmalen, welche Argumente hierbei eine besondere Rolle spielen:
? Die westlich geprägte NGO-Szene dürfte dafür kritisiert werden, dass sie in ihrer gegenwärtigen Form zur Fragmentierung der Entwicklungszusammenarbeit beiträgt, gerade dann, wenn sie unabhängig und weit entfernt von staatlichen Programmen agiert.
? Besonders die großen Internationalen NGOs dürften zunehmend der Kritik ausgesetzt werden, ohne zivilgesellschaftliche Partner vor Ort zu arbeiten oder, schlimmer noch, im Stile eines „crowding out“ lokalen grassroots-Bewegungen das Leben schwer zu machen.
? Die gegenwärtige NGO-Szene dürfte schließlich dafür kritisiert werden, sich in vielen Fällen zu sehr auf politisches Lobbying (aus chinesischer Sicht eine illegitime Intervention), statt sich auf technische Lösungsangebote zur Armutsbekämpfung zu konzentrieren.
Die etablierte, offizielle Entwicklungspolitik der traditionellen Geber kennt die Wucht, die davon ausgehen kann, wenn ein so wichtiger Akteur wie China kritische Fragen stellt. Auch wenn nicht alles angenommen werden muss, so hat es doch die Erfahrung der vergangenen 10 Jahre gezeigt, dass eine solche Kritik zu einem konstruktiven Dialog und zu einer Verbesserung der globalen Lage führen kann.
Im Jahr 2016 wird die internationale NGO-Szene in erster Linien mit Sorge auf die Entwicklung in China blicken. Der vorliegende Gesetzesentwurf zur Steuerung und Überwachung internationaler NGOs gibt Anlass dazu. Aber es kann gut sein, dass in wenigen Jahren ausgerechnet aus China eine neue Diskussion über die Rolle von NGOs in der internationalen Entwicklungspolitik kommt. Internationale NGOs und Ministerien sollten sich darauf vorbereiten.