Beitrag vom 04.02.2016
SZ
Die Herrscher schützen nur sich selbst
Es ist ein Rückfall in schlechte Zeiten: Afrikas Regierungen wollen in Burundi nicht intervenieren und den Internationalen Strafgerichtshof verlassen. Die Menschenrechte geraten wieder unter die Räder.
Von Isabel Pfaff
Jedes Jahr erhält die Afrikanische Union (AU) einen neuen Vorsitzenden, reihum darf jeder Staatschef diesen Posten einmal bekleiden. Beim AU-Gipfel am vergangenen Wochenende übernahm Idriss Déby, Präsident des Tschad, das Amt. Die afrikanischen Staaten müssten ihre Krisen endlich selbst lösen, mahnte Déby. "Wir treffen uns oft, wir reden immer zu viel, wir schreiben viel. Aber wir handeln zu wenig - und manchmal überhaupt nicht." Wahrscheinlich wusste der Tschader nicht, wie sehr seine Worte gerade zu diesem Treffen passen würden.
Der jüngste Gipfel der afrikanischen Staatengemeinschaft könnte als einer der unrühmlichsten in die Geschichte der 14 Jahre alten Afrikanischen Union eingehen. Denn die 54 Mitgliedstaaten haben bei ihrem Treffen in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba nicht nur die Idee einer Eingreiftruppe für das Krisenland Burundi fallen gelassen. Sie haben darüber hinaus auch den Plan gefasst, sich vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zurückzuziehen.
Der Fall Burundi ist kompliziert. Das kleine ostafrikanische Land wird seit dem Frühjahr 2015 von Gewalt erschüttert, der Anlass für die blutigen Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung war der verfassungswidrige Plan des Präsidenten, sich ein weiteres Mal wählen zu lassen. Menschenrechtler werfen vor allem der Regierungsseite schwere Verbrechen vor. Im Dezember entschied der Friedens- und Sicherheitsrat der AU überraschend, eine 5000 Mann starke Truppe nach Burundi zu schicken, um für Frieden zu sorgen - im Notfall auch gegen den Willen der Regierung.
Um Menschenrechte schert sich die Afrikanische Union nicht mehr
Ein Raunen ging damals durch die internationale Gemeinschaft: militärisch eingreifen, ohne die Einwilligung einer noch herrschenden Regierung? Das ist ehrgeizig, auch im globalen Maßstab. Doch es entspricht der sogenannten Schutzverantwortung, einer noch relativ jungen Norm in den internationalen Beziehungen. Kommt ein Staat der Schutzverantwortung gegenüber seiner Bevölkerung nicht nach, lässt er also schwere Menschenrechtsverletzungen zu, hat er seine Souveränität verwirkt.
Die AU war das erste supranationale Gremium, das dieses Prinzip und damit die Interventionsmöglichkeit in seine Charta aufgenommen hat - der wichtigste Unterschied zu ihrer zahnlosen Vorgängerin, der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU). In Burundi hätte Afrika zum ersten Mal nach dieser Norm handeln können, es fehlte nur noch der Segen durch das Plenum der Staats- und Regierungschefs. Doch am Wochenende, auf Druck mehrerer Präsidenten, darunter offenbar die Diktatoren aus Gambia und Äquatorialguinea, entschied der Friedens- und Sicherheitsrat anders. Man strebe nun doch die Einwilligung der Regierung an und schicke eine hochrangige Delegation nach Burundi.
Dass vielen afrikanischen Regierungen die Souveränität einzelner Staaten wichtiger ist als der Kampf gegen Kriegsverbrechen und Völkermorde, zeigt auch eine zweite Gipfelentscheidung: Die Mehrheit der Anwesenden stellte sich hinter den Vorschlag des kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta, den Internationalen Strafgerichtshof zu verlassen. Das Weltstrafgericht, so der altbekannte Vorwurf, konzentriere sich einseitig auf Afrikaner, außerdem mache es auch vor amtierenden Staatschefs nicht halt. Tatsächlich ist das ein heikler Punkt - zumal sich viele andere Länder (darunter China, Russland und die USA) auf dieses Risiko gar nicht erst eingelassen haben: Sie sind dem Statut des Gerichts nie beigetreten.
Und doch bedeutet es nichts Gutes für die AU, wenn der Schutz der Machthaber der kleinste gemeinsame Nenner ist, auf den man sich beim Gipfel einigen kann. Der Staatenbund war schon einmal weiter.