Direkt zum Inhalt
Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 26.07.2015

Der Bund

Die Heuchelei der Realpolitik

Barack Obamas Besuch in Kenia und Äthiopien zeigt: Wenn es den Sicherheitsinteressen der USA dient, schauen sie grosszügig über Demokratiedefizite hinweg.

Johannes Dieterich

Womöglich lässt sich dasselbe einmal über Barack Obamas Vermächtnis im Allgemeinen sagen: Viel mehr als eine neue Tönung vermochte der erste dunkelhäutige Präsident der USA auch deren Verhältnis zum Kontinent seines Vaters nicht zu geben. Nach wie vor spielen afrikanische Staaten nur dann eine Rolle, wenn sie den Sicherheitsinteressen der Supermacht entgegenkommen: Wer sich dem Kampf gegen den Terror anschliesst, darf ungeachtet sonstiger Unzulänglichkeiten auf die Hilfe des grossen Bruders setzen.

Das trifft auf beide afrikanische Staaten zu, die der 44. US-Präsident derzeit mit seiner Anwesenheit beehrt. Sowohl Kenia als auch Äthiopien können sich mit bestem Willen nicht als vorbildlich geführte Nationen brüsten. Kenia wird von einem Team regiert, das sich in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss (oder sich dieser Verantwortung durch massive Manipulation zu entziehen vermochte). Und in Äthiopien herrscht eine Clique, die sich gerade mit 99 Prozent der Stimmen wiederwählen liess. Beide Staaten werden von Washington jedoch als Bollwerk gegen den militanten Islamismus gebraucht.

Natürlich weiss Obama um die Heuchelei seiner Realpolitik – und sucht deshalb ein Ausweichgebiet, auf dem er die kritikwürdigen Verbündeten schelten kann, ohne die Freundschaft zu gefährden. Kenias berüchtigte Schwulenfeindlichkeit ist ein ausgezeichnetes Thema für diesen Zweck: So kann der US-Präsident der westlichen Welt seinen unermüdlichen Einsatz für humanistische Werte demonstrieren, während der Gastgeber über die «Einmischung» des Missionars der Freiheit zähneknirschend hinwegschauen kann. Auch den äthiopischen Machthabern wird es nicht wehtun, wenn sie von Obama auf ihre demokratischen Defizite hingewiesen werden: Dafür haben sie ihr Land – nicht zuletzt mit US-Hilfe – viel zu fest im Griff. Die Verlierer sind jene Afrikaner, die in ihrem Einsatz gegen verantwortungslose und autokratische Eliten wieder einmal alleingelassen sind.

(Tages-Anzeiger)