Beitrag vom 13.08.2014
Neue Zürcher Zeitung
Strassen in Afrika
Die Psychologie des Schlaglochs
Markus M. Haefliger, Nairobi
Der Zustand der Landstrassen in Tansania und Kenya verhält sich umgekehrt zum Bild, das sich die Einwohner der beiden Nachbarländer voneinander machen. Kenyaner behandeln Tansanier meist hochnäsig. Woran auch immer das liegt - Kenyas Strassen sind es sicher nicht. Sie sind erbärmlich. Ein korruptes Auftragssystem und die Gleichgültigkeit von Politikern führen dazu, dass Überlandstrassen lange vor Ablauf der Amortisationszeit löchrig werden und gefährliche Fahrrinnen aufweisen.
Ganz anders Tansania. Tansanier haben es in der East African Community (EAC), einer regionalen Wirtschaftsgemeinschaft, nicht leicht. Sie sprechen selten gut Englisch, und der Afro-Sozialismus des Gründerpräsidenten Nyerere, auch als Ujamaa («Gemeinschaft») bekannt, lähmt die Eigeninitiative bis heute. Tansanier wollen nichts entscheiden, und sei es, einen Griffel zur Hand zu nehmen. Sie befürchten grundsätzlich, von ihren Partnern über den Tisch gezogen zu werden. Als die EAC Anfang Jahr ein gemeinsames Touristenvisum einführte, machte Tansania nicht mit.
Aber Tansanias Strassen sind hervorragend, sogar untergeordnete Schotterstrassen, die regelmässig ausgebessert werden. Dazu trägt sicherlich der tansanische Gemeinsinn bei, ein Nachhall der Ujamaa. Er wird in den Geschwindigkeitsbeschränkungen deutlich, die in jedem Dorf gelten: Der Fussgänger ist gleichberechtigt. Nur, was dachten sich die Verantwortlichen bei der Signalisierung? Die Tafeln zwingen Autofahrer, schon viele Kilometer bevor überhaupt ein Haus aus dem Busch auftaucht, auf die Bremse zu treten.
Für tansanische Polizisten ist dies ein gefundenes Fressen. Sie springen hinter einem Baum hervor und halten dem Temposünder triumphierend ihre Radarpistole vor die Nase. Die Busse kostet einheitlich 30 000 Schilling (16 Franken) und wird quittiert. In Kenya wäre das undenkbar. Wenn schon eine Tempobeschränkung, würde sie vernünftig gehandhabt. Und es gäbe keine Quittung. Kein Polizist in Kenya würde die Gelegenheit auslassen, eine Bestechung einzustreichen.