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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 06.05.2011

FAZ 6.5.11

Muhammad Yunus
Der arme Bankier

Muhammad Yunus bekämpfte mit Mikrokrediten die Armut. Dafür bekam er den Nobelpreis. Jetzt wird er in Bangladesch entmachtet. Heute hat das oberste Gericht seine Entlassung als Direktor der Grameen Bank bestätigt.

Von Winand von Petersdorff

05. Mai 2011
Der Nobelpreisträger Muhammad Yunus ist 71 Jahre alt. Er ist mit seiner Arbeit noch nicht fertig. Und doch ist er am Ende seiner Karriere angekommen. Auf Weisung des Staats Bangladesh muss Yunus' die Leitung der Mikrokreditbank Grameen abgeben. Die Gerichte haben seine Abberufung bestätigt. Über seine Petition ans höchste Gericht, das höchstrichterliche Urteil zu widerrufen, wurde seit Montag verhandelt. Jetzt ist die Entscheidung gefallen: Das oberste Gericht bestätigte an diesem Donnerstag die Regierungsentscheidung zur Entlassung von Yunus. Damit sind die rechtlichen Möglichkeiten endgültig erschöpft. Es war Yunus' letzter verzweifelter Versuch, die Macht zu retten. Er ist gescheitert.

Wie konnte es nur so weit kommen? Für die Weltöffentlichkeit ist der Mann ein Heiliger mit der Mission, die Geißel der Armut zu vertreiben. Er machte die Idee populär, die Armen mit fairen Kleinstkrediten zu versorgen, obwohl sie keine Sicherheiten bieten können. Für seine Arbeit bekam Muhammad Yunus zusammen mit seiner Bank Grameen 2006 den Friedensnobelpreis.

Jetzt ist er in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur Heiliger, sondern auch noch Opfer. Ein Opfer allerdings, das auf mächtige Freunde zählen kann. Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton telefonierte im März mit Yunus, sicherte ihm Hilfe zu, drückte ihre Sorge über die Entwicklungen in Bangladesh aus und ließ ihren Botschafter gar drohen, Yunus' Entmachtung könnte die Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Bangladesh belasten. Es war eine ungewöhnliche Intervention in die internen Angelegenheiten eines souveränen Staates.

Kreuzigt hier eine kleingeistige Regierung ihren besten Sohn?

Andere internationale Yunus-Freunde verbreiten derweil erfolgreich die Story, der unbescholtene Bankier der Armen werde von einer missgünstigen, korrupten Regierung und ihrer Premierministerin Sheikh Hasina Wajed gemobbt. So steht es jetzt überall geschrieben. Die Regierungschefin - sie wurde 2008 in fairen Wahlen mit großer Mehrheit gewählt - sehe in Yunus eine politische Bedrohung. Sie ignoriere seine Erfolge, und seine globale Reputation sei ihr suspekt. Deshalb habe die Politikerin eine giftige Anti-Yunus-Kampagne entfacht. Die Essenz der international verbreiteten Geschichte lautet: Hier kreuzigt eine kleingeistige Regierung ihren besten Sohn.

Lässt man allerdings Ränke und Verschwörungen beiseite, bleibt ein 71 Jahre alter Ökonom zurück, der seine gewaltige globale Reputation dafür instrumentalisiert, Chef der Grameen-Bank zu bleiben, obwohl dies gegen die gesetzlichen Ruhestandsregeln für das Institut verstößt. Eine Lappalie mag man denken angesichts der vielen Menschen, denen Yunus' Idee aus der Armut half. Doch keine Kleinigkeit, gemessen an den moralischen Ansprüchen dieses großen Mannes.

Die weltberühmte Mikrokreditbank Grameen ist kein privates Unternehmen und keineswegs eine Privatangelegenheit des Ökonomen. Grameen wurde 1983 als staatliches Institut gegründet, nachdem Yunus die Regierung von der Idee überzeugt hatte, Arme mit ungesicherten Kleinstkrediten zu versorgen. Er hatte das Verfahren getestet. Grameen bekam ein eigenes Gesetz, um seinen weitgehend unabhängigen Sonderstatus als eine Art Entwicklungsbank zu fixieren. Noch heute ist Bangladesh Anteilseigner zusammen mit den Kreditnehmern. Nach den gesetzlichen Regeln wurde Yunus zum ersten und bisher einzigen Grameen-Chef eingesetzt.

Aus demselben Regelwerk stammt die Altersgrenze 60 für die Mitarbeiter, die von der Bank schlicht ignoriert wurde, zumindest für den Chef. "Wenn Yunus sagt, er müsse den Regeln nicht folgen und bleibe im Amt als Grameen-Chef, dann stellt er sich über das Gesetz", sagt der New Yorker Entwicklungsökonom Jagdisch Bhagwati und ergänzt: Leute, die Gesetze für sich nicht gelten ließen, seien die größte Bedrohung für Länder wie Bangladesh.

Was wäre der Mikrokredit ohne Yunus?

Man darf es natürlich auch lässiger sehen. Denn was wäre der Mikrokredit ohne Yunus? Mit seiner ungestümen Kraft beflügelte er Grameen und die Idee der Kleinstkredite. Der Mann verbindet Charisma, rhetorisches Geschick, Authentizität und persönliche Integrität. Eine bessere Leuchtfigur hätte sich die Idee gar nicht wünschen können. Mit ihr hat Yunus auch der globalen Entwicklungshilfe Hoffnung eingehaucht.

Mitte der achtziger Jahre, als Steuerzahler und Regierungen der reichen Länder ernüchtert waren über die notorische Erfolglosigkeit der Entwicklungshilfe, betrat der kleine Bengale die Szene mit der Idee, armen Menschen Minikredite zu vermitteln für kleine Geschäftsprojekte: eine Kuh, eine Nähmaschine, ein Fahrrad.

Seine Idee war das Gegenteil der planwirtschaftlichen Entwicklungsprogramme, und sie verband die Armen mit den Kapitalmärkten. Das fanden die liberalen Ökonomen prima. Gleichzeitig war Grameen nicht versessen auf Profit, was Linke und Gutmenschen beruhigte. Praktiker befürworteten seinen Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe: Die Armen sollten sich mittels Kredit selbst aus dem Elend befreien. Und schließlich hat der Mikrokredit noch eine entwicklungspolitische Killerapplikation: die Gender-Komponente. Ein Großteil der Mikrokredite geht nach dem Grameen-Vorbild an Frauen.

Heute gibt es sage und schreibe 70.000 Mikrofinanzierungs-Institutionen

Das brachte die Unterstützung zahlloser Nichtregierungsorganisationen, liberaler Staaten und UN-Untergliederungen. Heute gibt es sage und schreibe 70.000 Mikrofinanzierungs-Institutionen, quasi jedes Entwicklungshilfeprojekt, das irgendwo auf den Weg gebracht wird, enthält irgendetwas mit Mikrofinanzierung. Und jedes Programm beruft sich in gewisser Weise auf den kleinen Bengalen.

Yunus' globaler Ruhm ist Ausdruck globaler Sehnsucht, endlich der Armut Herr zu werden mit Methoden, die sich bestens in eigene Weltbilder einpassen. Zugleich beweist die globale Unterstützung auch Yunus' ungeheures Talent, die Mächtigen und Reichen auf seine Seite zu ziehen.

Der wissenschaftliche Beweis für den Erfolg fehlt

Was leider fehlt, ist der wissenschaftliche Beweis für den Erfolg des Mikrokredits: "Bisher existiert kein überzeugender empirischer Beleg, dass Mikrofinanz dazu beigetragen hat, die Armut zu vertreiben oder Wachstum zu stimulieren", sagt der Ökonom Arvind Panagariya von der Columbia University in New York. Während die Websites aller Mikrofinanz-Institute voll sind mit Bildergeschichten von Frauengruppen, die kleine Geschäfte auf die Beine stellen, zeigen Daten des gut erforschten indischen Bezirks Andra Pradesh, dass weniger als drei Prozent der Kredite für den Aufbau eines Geschäftes genutzt werden. Der Ökonom Panagariya findet das naheliegend. Die Geschäftsideen der armen Frauen müssen Renditen von 25 Prozent abwerfen, um die hohen Kreditzinsen zurückzahlen zu können, die selbst anständige Mikrofinanzierungs-Institute wie Grameen fordern (20 Prozent und mehr). Solche Geschäfte sind rar.

Dafür können Mikrokredite aber den Konsum armer Menschen verstetigen und ihnen die Anschaffung höherwertiger Güter erlauben. Das ist nicht gering zu schätzen für Menschen, die sich sonst nie etwas gönnen können. Die Leute leben dank der Mikrokredite weniger elend. In manchen Regionen geraten Arme so allerdings in neue Schuldenspiralen Richtung Abgrund, weil sie ihre Kredite nicht mehr bedienen können.

Kurz konstatiert: Yunus hat sein Versprechen, der Armut ein Ende zu setzen, bisher nicht gehalten. Negative Storys überschuldeter Mikrokreditnehmer verbreiten sich längst auch in Bangladesh, wo inzwischen jeder Arme Zugang zu und Erfahrungen mit Mikrokrediten hat. So hat die Idee selbst im Pionierland des Mikrokredits an Strahlkraft eingebüßt.

Geschäftsfeld dramatisch erweitert

Man darf spekulieren, dass Yunus deshalb sein Geschäftsfeld dramatisch erweitert hat. Grameen ist längst nicht mehr nur das Geldgeschäft. Zur Grameen-Familie fügen sich inzwischen der größte Mobilfunkanbieter des Landes, Software- und IT-Unternehmen, große Fischzucht- und Aquakulturprojekte, ein Unternehmen für erneuerbare Energie und weitere Gesellschaften. Mit dem deutschen Chemieriesen BASF entstand ein Gemeinschaftsunternehmen, das Moskitonetze und Vitamine vertreibt. Ein Joint Venture mit Danone bringt gesunde Joghurts unter die schlecht ernährte arme Landbevölkerung. Immer sind es soziale Non-Profit-Unternehmen, die unter dem Label Grameen gegründet werden. Sie sollen Bengalen Geschäftschancen ermöglichen, etwa als Zwischenhändler

Das von Yunus inspirierte und kontrollierte Grameen-Konglomerat ist längst ein Machtfaktor in Bangladesh geworden, der bis vor kurzem weitgehend unkontrolliert von staatlichen Institutionen agieren konnte. Das hat sich erst nach einer kritischen Fernsehdokumentation im norwegischen Fernsehen geändert. Ein Journalist hatte darin den Verdacht geäußert, Yunus zweckentfremde Entwicklungshilfe. Der Vorwurf gilt als widerlegt, doch er veranlasste die Regierung in Bangladesh, genauer zu durchleuchten, was in Yunus' Reich eigentlich vor sich geht. Dass der Grameen-Chef zeitweise mit der Idee gespielt hat, eine eigene Partei zu gründen, dürfte das Misstrauen der gewählten Regierung in Dhaka verstärkt haben: Baut da einer mit ausländischem Geld seinen eigenen Staat im Staate?

Yunus will Macht, wenn auch mit dem edlen Zweck, die Armut zu bekämpfen. Er hat es versäumt, seine Bank und seine Ideen unabhängig von seiner Person zu machen. Und er erlebt die eigene Sterblichkeit. Das ist ein Drama für einen alten Mann, der seine Arbeit noch nicht erledigt hat.