Beitrag vom 20.09.2021
Zeit Online
Cholera-Ausbruch in Nigeria
Eine vermeidbare Krise
Nigeria erlebt den schwersten Choleraausbruch seit Jahren. Er macht deutlich, wie schlecht es um Hygiene und Zugang zu Sanitäranlagen bestellt ist.
Von Katrin Gänsler
Cholera-Ausbruch in Nigeria: Ein Junge geht durch Abwasser. Nigeria kämpft gegen den schlimmsten Choleraausbruch seit Jahren. Die schlechte Wasser- und Sanitärversorgung ist ein Grund dafür.
"Die Situation ist schrecklich", sagt Ibrahim Mualeem Zikirullahi. "In den vergangenen vier Monaten sind in Kano immer mehr Menschen an Cholera erkrankt und gestorben." Die Millionenstadt Kano ist das Wirtschaftszentrum Nordnigerias, Zikirullahi leitet dort das nicht staatliche Zentrum für Menschenrechte und politische Bildung, das sich auch für die Gesundheitsversorgung einsetzt. Der aktuelle Choleraausbruch ist in Nigeria mit rund 210 Millionen Einwohnern ein Dauerthema. Nach Informationen des nigerianischen Zentrums für Seuchenkontrolle (NCDC) gibt es bereits fast 70.000 Fälle. Mehr als 2.300 Menschen sind bis Anfang September gestorben. Der gleichnamige Bundesstaat Kano ist mit knapp 10.200 Fällen besonders schwer betroffen, schlimmer ist die Lage nur im Bundesstaat Bauchi. "Es gelingt nicht, den Ausbruch einzudämmen", sagt Zikirullahi.
Cholera ist eine hoch ansteckende Magen-Darm-Infektion, die zu schweren Durchfällen, Erbrechen und dadurch zu einem gefährlichen Flüssigkeitsverlust führt. Ausgelöst wird die Infektion durch Vibrio-cholerae-Bakterien, die häufig über verunreinigtes Wasser übertragen werden.
Vorsicht ist auch in den Krankenhäusern geboten. "Kommt ein Patient, der Durchfall hat und sich erbrechen muss, überweisen wir ihn in eine Spezialeinrichtung", sagt die Ärztin Mujidat Babah, die in den privaten EHA Clinics in Kano arbeitet. Was Nigeria gerade erlebt, sei der schwerste Ausbruch seit 2017. Vor allem zeige er, wie schlecht es um das Gesundheitssystem, die Sanitärversorgung, den Zugang zu Trinkwasser und die persönliche Hygiene bestellt sei. Ausbrüche wie diese ließen sich vermeiden, sagt Babah, wenn sich die Lebensbedingungen von Millionen Menschen bessern und Präventionsmaßnahmen getroffen würden.
In Nigeria leben etwa 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und verfügen täglich über weniger als 1,90 US-Dollar. Besonders von Armut und fehlender Infrastruktur betroffen sind der Nordwesten und der Nordosten. Dazu kommt das Bevölkerungswachstum: Seit der Unabhängigkeit 1960 hat sich die Zahl der Einwohner Nigerias etwa vervierfacht. Jedes Jahr wächst die Bevölkerung um die Größe Dänemarks oder Irlands. Wohnraum in Ballungszentren wie Kano ist seit Langem knapp. "Auf kleinem Raum sehen wir Familien mit drei Generationen", sagt die Ärztin Babah. Auch die Enge trägt zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten bei.
Was nicht mitwächst, ist die Infrastruktur, wie an der Wasserversorgung deutlich wird. Selbst in Kleinstädten haben zahlreiche Häuser keinen Anschluss. Stattdessen liefern Verkäufer Wasser in Kanistern, was sich längst nicht jede Familie leisten kann. Und so sind viele wie auch in den Dörfern auf verschmutzte Brunnen angewiesen. Nach Informationen des Kinderhilfswerks Unicef hatten 2019 lediglich 139 Millionen Nigerianerinnen und Nigerianer Zugang zur Wasserversorgung. "Nur 16 Prozent der Haushalte haben fließendes Wasser und Seife", sagt Oumar Doumbouya, der bei Unicef Nigeria den Bereich Wasser, Sanitär und Hygiene leitet.
Der Mann, der die Geister zählte
Ähnlich schlecht ist der Zugang zu Toiletten. Zwar habe sich dieser seit 2018 verbessert, sagt Doumbouya. Damals mussten noch 48 Millionen Menschen im Freien zur Toilette gehen. Open defecation heißt das international. Heute seien es immerhin zwei Millionen weniger. Doumbouya betont allerdings: "Die Fortschritte werden schnell durch das große Bevölkerungswachstum in den Schatten gestellt." Dabei lautet das Ziel der Regierung von Präsident Muhammadu Buhari: Bis 2025 soll open defecation beendet sein. Um das zu erreichen, sagt Doumbouya, müsse aber mehr in die Wasserversorgung, in Sanitäranlagen und Hygiene investiert werden.
Für Adebayo Alao, Programmleiter der Hilfsorganisation WaterAid in Nigeria, sind außerdem Aufklärungskampagnen notwendig. "Im Rahmen des Choleraausbruchs informieren wir gerade über die Medien, wie wichtig Präventionsmaßnahmen sind. Dazu gehört das regelmäßige Händewaschen."
"Wir brauchen dringend öffentliche Toiletten, auf Märkten und in Schulen", fordert Rabi‘u Musa, Sekretär der Rot-Kreuz-Gesellschaft im Bundesstaat Bauchi, der am schwersten vom aktuellen Ausbruch betroffen ist. "Es gibt Koranschulen ohne Toiletten. Bei Regen sickern die Fäkalien ins Grundwasser." Er zieht ein ernüchterndes Fazit: "Auch deshalb ist Bauchi die Heimat der Cholera." Jedes Jahr gebe es hier Fälle, aber mehr als 17.000 wie aktuell seien die Ausnahme.
Um den aktuellen Choleraausbruch einzudämmen, hat die Weltgesundheitsorganisation dem Bundesstaat Bauchi in den vergangenen Wochen mehr als 1,5 Millionen Impfdosen zur Verfügung gestellt. Eine Schluckimpfung kann der Erkrankung vorbeugen. Als Erster hatte sich Gouverneur Bala Mohammed impfen lassen, um ein Zeichen zu setzen. Doch bis heute ist vielerorts die Impfskepsis groß. Hinzu kommt: Wer sich impfen lassen will, muss selbst dafür bezahlen. Anders als beispielsweise Impfungen gegen Polio übernimmt der Staat sie nicht. "Die Kosten liegen zwischen 7.000 bis 11.000 Naira", sagt die Ärztin Mujidat Babah. Umgerechnet sind das 15 bis 23 Euro. Bezahlen können das nur die wenigsten. Durch die schwächelnde Währung könnten die Preise künftig sogar noch weiter steigen. Mehr gespendete Impfdosen wünscht sich Babah daher, auch in Kano. Einen vollständigen Schutz biete die Impfung zwar nicht. "Sie reduziert aber die Komplikationen", sagt die Ärztin.
Zukunft von Corona:
Wird Covid-19 irgendwann harmlos wie ein Schnupfen sein?
Bis heute haben 25 der 36 Bundesstaaten in Nigeria Cholerafälle gemeldet. Verschont geblieben ist bislang der Bundesstaat Lagos im Süden, wo in der gleichnamigen Hafenmetropole geschätzt 20 Millionen Menschen auf engstem Raum leben. Zwei Drittel davon in Armut. Ein Ausbruch in Lagos wäre die Katastrophe, sagt der Aktivist Deji Akinpelu, der sich für bessere Lebensbedingungen für die arme Bevölkerung einsetzt. Die hohe Anfälligkeit für einen Krankheitsausbruch ist seiner Meinung nach das Ergebnis einer verfehlten Politik: "In Lagos hat man private Müllsammler verboten. Doch die Müllabfuhr kommt gar nicht in die Stadtteile, in denen die Armen leben." Das Ergebnis: Der Abfall verstopft die Kanalisation und verschmutzt das Grundwasser. Das Krankheitsrisiko steigt.
Auch in Kano sieht Ibrahim Mualeem Zikirullahi die Politik in der Verantwortung. "Immer wieder heißt es auf Schildern, dass das Urinieren am Straßenrand verboten ist. Doch die Regierung kümmert sich nicht darum, dass dieses Verbot auch eingehalten wird."