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Beitrag vom 26.08.2021

FAZ

„Es geht um die Industrialisierung Afrikas“

Der Afrikabeauftragte Günter Nooke über realistische Ziele für den Kontinent/Von Johannes Leithäuser, Berlin

Nach dem desaströsen Ende der westlichen Afghanistan-Mission gerät nun Afrika in den Blick. Welche Konsequenzen ergeben sich für die deutschen und europäischen Bemühungen auf dem Kontinent? Schließlich sollen bislang vor allem in den Staaten südlich der Sahara mit dem Einsatz von Soldaten und Geld mehr Stabilität und Sicherheit geschaffen werden. „Die erste Lektion aus dem bitteren Ende des Afghanistan-Einsatzes ist sicher vernünftig – sich bei solchen Missionen realistische Ziele zu setzen“, sagt der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke. Er ist seit mehr als zehn Jahren einer der Motoren der deutschen Afrika-Politik und sagt dennoch im Gespräch mit der F.A.Z.: „Ich bilde mir nicht ein, dass ich Afrika wirklich verstehe.“ Nooke hält es für richtig, so wie anfangs in Afghanistan, mit einem gemeinsamen Ansatz von Entwicklungszusammenarbeit, Bildungsunterstützung, Infrastruktur-Aufbau und militärischer Sicherheit in den Krisenländern Zonen der Stabilität zu schaffen. So geschieht das gegenwärtig in Mali und Niger. Aber mit Blick auf die Zukunft ganzer Regionen oder gar des afrikanischen Kontinents hält er solche Bemühungen für ungenügend. In die so konzipierte Unterstützung afrikanischer Länder fließe nur ein Bruchteil der Mittel, die jahrelang für Afghanistan aufgewendet worden seien; „den wirklichen Verbesserungen“ in wenigen Ländern stünden neue Konflikte und die Verschlechterung in vielen anderen afrikanischen Ländern gegenüber.

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Freitag zehn afrikanische Staatspräsidenten zu einem Afrika-Gipfel in Berlin empfängt, wird das die vierte Runde in diesem Format sein. Voraussichtlich ist das die ranghöchste Konferenz, die Merkel seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor eineinhalb Jahren leitet. Corona wird ein bestimmendes Thema für die afrikanischen Staatschefs sein, vor allem die Frage, wie sie ihre Bevölkerungen gegen das Virus schützen können. Der Gründer und Vorstandschef des Impfstoffherstellers BioNTech, Ugur Sahin, wird darum an einer Sitzung als Gast teilnehmen. Das Treffen beginnt jedoch als Wirtschaftskonferenz, bei der vor allem Investitionschancen und Hemmnisse für deutsche Firmen in afrikanischen Ländern erörtert werden sollen. Anschließend geben alle zwölf afrikanischen Staaten, die in der Initiative „Compact with Africa“ mit Deutschland zusammenarbeiten, einen Sachstandsbericht über die Situation in ihren Ländern.

Nooke sagt zu den deutschen Bemühungen, das Wirtschaftswachstum in afrikanischen Ländern zu beschleunigen, „wir sind auf der richtigen Straße unterwegs, auch in der richtigen Richtung“, aber das Tempo stimme noch nicht. Er sagt gern den Satz: „Es geht um die Industrialisierung Afrikas“, um die Dimension zu skizzieren, in der er denkt. Nicht nur das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, an das er organisatorisch angebunden ist, auch das Wirtschaftsministerium müsse sich, statt Entwicklungshilfe zu kritisieren, viel intensiver mit afrikanischen Wirtschaftsvorhaben beschäftigen. Die nächste Bundesregierung müsse ihre Afrika-Politik „noch einmal auf ein ganz anderes Niveau heben“. Wenn die Europäische Union nicht wolle, dass sich in den nächsten Jahrzehnten absehbar hundert Millionen Afrikaner als Arbeitsmigranten nach Europa aufmachten, dann müsse sie diese Herausforderung geopolitisch annehmen. Um diese Aufgabe zu illustrieren, findet der Afrikabeauftragte große und kleine Beispiele. Das größte sind die Pläne für ein neues Inga-Kraftwerk am Kongo, mit dem sich ein Projekt zur Wasserstoff-Erzeugung in großem Stil verbinden ließe. Nooke wünscht sich, dass Deutschland und Europa die Chancen wahrnehmen, die in einem solchen Vorhaben steckten. Die afrikanischen Anrainer könnten ihm zufolge von der Stromerzeugung für ihre eigene Industrie-Entwicklung profitieren; Europäer und Afrikaner könnten mit dem produzierten Wasserstoff die Schadstoff-Emissionen senken. Außerdem setzte ein solches Engagement ein Zeichen, dass afrikanische Staaten, die nach Investoren für ihre Infrastruktur suchen, nicht länger zuerst den Blick nach China lenken müssten.

Ein anderes kleines Beispiel Nookes hat im Grunde auch das Potential eines Großprojekts. Es ist eine Finanzierungsplattform namens WIDU, mit deren Hilfe Kleinunternehmer in mittlerweile fünf afrikanischen Ländern gefördert werden. Die Idee knüpft an die Geldzahlungen an, die von Millionen Afrikanern in der europäischen Diaspora an ihre Angehörigen in den Heimatländern überwiesen werden. Wenn sie Freunde oder Verwandte, die eine Unternehmung gründen oder vergrößern wollen, finanziell unterstützen und sich der afrikanische Unternehmer finanziell beteiligt, dann verdoppelt die deutsche Entwicklungshilfe die von beiden aufgebrachte Summe durch Fördermittel. Der Afrikabeauftragte nennt den Mechanismus „das wenige Geld der vielen“ und ist überzeugt, dass auch dadurch wirtschaftliches Wachstum erzeugt werden könne. Er plädiert überdies für „frugale Innovationen“, also etwa für die Entwicklung einfacher, robuster Maschinen, die ohne teure Elektronik-Funktionen auskommen und die auf dem afrikanischen Markt leichter herzustellen und leichter zu verkaufen wären, ergänzt um die Suche nach wirklich neuen Produkten.

Die Einfachheit dürfe dabei jedoch nicht mit Rückständigkeit verwechselt werden. Das breitenwirksamste Treibmittel für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas, das Nooke im Sinn hat, heißt Digitalisierung. Viele neue digitale Anwendungen ließen sich in Afrika genauso gut und vielfältig entwickeln und erproben wie anderswo, sagt er und nennt als eine Idee die Entwicklung regionaler Tauschwährungen. Dass trotz aller Hindernisse und Konflikte die 54 Länder Afrikas reformwillig und tatkräftig sind, haben die Planungen zur Gründung der afrikaweiten Freihandelszone belegt, die zumindest für den Güterverkehr seit Jahresanfang gelten soll. Hier verlangt Nooke von der Europäischen Union mehr helfende Begleitung und Unterstützung; es müssten auch von Brüssel aus weitere Schritte unternommen werden, um am Ende die Idee eines europäisch-afrikanischen Freihandelsvertrags verwirklichen zu können. Die beiden Kontinente seien wie zwei „Weggefährten“, sagt Nooke. Die seien auf einer gemeinsamen Straße unterwegs und könnten sich gegenseitig unterstützen.