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Beitrag vom 12.01.2021

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Afrika-ABC in Zitaten: Antillaner in Afrika (2)

von Volker Seitz

In der 2020 erschienenen, außergewöhnlich selbstkritischen und dadurch umso glaubwürdigeren Autobiografie der aus der Karibik stammenden Schriftstellerin Maryse Condé „Das ungeschminkte Leben“, Luchterhand, schreibt sie: „Mir liegt mehr herauszufinden, welch wichtigen Platz Afrika in meinem Leben und meinen Vorstellungen eingenommen hat.“ (S. 14)

„Die Afrikaner hassen uns Antillaner... Sie beneiden uns. Sie finden, wir seien den Franzosen zu ähnlich, die sich ihrerseits auf uns stützen, weil sie meinen, wir wären den Afrikanern überlegen“, erfuhr sie in den ersten Tagen im Senegal (S. 42).

„Wie ich in meinem Buch ‚Victoire‘ erzähle, brüsteten sich meine Eltern damit, ‚Grand Nègres‘ zu sein. Sie verstanden das als eine Mission, ihrer gesamten Rasse als Vorbild zu dienen.“ (S. 50)

„Meine neuen Mentoren [in Guinea] begnügten sich nicht damit, die Übeltaten der Kolonisation zu geißeln. Sie benannten auch die Missstände der präkolonialen Epoche: ‚Aber nein! Das war keine goldene Zeit, wie die Schwärmer behaupten!' pflegte Hamilcar [H. Cabral guinea-bissauischer Unabhängigkeitskämpfer, Poet, 1973 in Conakry/Guinea ermordet] zu sagen. ‚Es gab damals Haussklaven, Kastensysteme, Unterdrückung der Frauen, abgesehen von anderen barbarischen Sitten, wie die Beschneidung von Frauen, die Ermordung der Zwillinge und der Albinos.'“ (S. 91)

„Wir kamen an eine Schranke mit Wächterhäuschen voller Militärs, die mit wütender Strenge die Papiere der Besucher prüften, doch als wir sie hinter uns gelassen hatten, waren wir in einer anderen Welt. Eine Welt des Luxus, der Ruhe und des Wohlbefindens. Blühende Hecken, hellgrüner, sorgsam gemähter Rasen, wunderschön beschnittene Bäume, langgestreckte, flache weiße Villen.“ (S. 118)

„Ein geschickter Jongleur mit plakativen Slogans“

Maryse Condé berichtet dies, weil in Guinea die Masse der Bevölkerung unter grausamen Verhältnissen lebte, die mir nur zu gut bekannt waren. Sie schämte sich, weil sie Keita Fodéba, einem der wichtigsten Stützen des Diktators Sekou Touré, gegenübersaß und ihn nicht beschimpft hatte. „Wegen eines Stromausfalls hatten wir eine Spirituslampe angezündet. Wir tranken Ersatzkaffee, in dem unaufgelöste russische Zuckerwürfel schwammen. Die tschechischen Minzkekse unseres frugalen Imbisses waren hart wie kleine Steine. Aber das war nicht das Schlimmste. Jeder musste inzwischen um sein Leben fürchten. Völlig unbescholtene Leute verschwanden, wurden ohne ersichtlichen Grund ins Gefängnis geworfen.“ (S. 149)

In Ghana – das damals unter Intellektuellen den Ruf hatte, sich als einziges afrikanisches Land aus der Unterentwicklung zu befreien – brauchte sie einen Bürgen: „Er trat als Bürge für mein politisches Engagement, meinen Glauben an den afrikanischen Sozialismus, ja selbst für meine Moral ein.“ (S. 174)

Allerdings hielt sie wenig vom autoritären Präsidenten, der sich ‚Osagyefo‘ (Erlöser) nennen ließ: „Nach meiner Ansicht konnte Ghanas Präsident Kwame Nkrumah weder als feinsinniger Philosoph noch als fundierter Politologe gelten. Er wirkte auf mich höchstens wie ein geschickter Jongleur mit plakativen Slogans. Folgende erschienen mir besonders wirkungsvoll:

- Power corrupts. Absolute power corrupts absolutely.

- Imperialism, last stage of capitalism.

- See ye first the political kingdom... (S. 166)

„Die ‚Kwame Nkrumah‘ Buchhandlung des Zentrums verkaufte ausschließlich die Werke des Vordenkers und die Zeitung der Einheitspartei CPP (Convention People’s Party). Im Kwame-Nkrumah-Hörsaal folgten Redner aus aller Herren Ländern aufeinander. Ihre Vorträge endeten ausnahmslos mit einem überschwänglichen Loblied auf den Nkrumahismus.“ (S. 176/177)

„Früher, ehe die Boundjous [Europäer] kamen, lebte man glücklich“

Der auf der Karibikinsel Martinique geborene René Maran (1887–1960) veröffentlichte 1921 mit „Batouala“ einen authentischen „roman nègre“. Als erster schwarzer Schriftsteller erhielt er den begehrten französischen Literaturpreis, den „Prix Goncourt“. Sein Roman beruht auf seinen Erfahrungen in der Kolonialverwaltung von Oubangui – Chari (heute Zentralafrikanische Republik).

In seinem Vorwort – in meiner Ausgabe als Nachwort – geht er mit der französischen Kolonialherrschaft hart ins Gericht (vgl. Anmerkung zu André Gide unten), beschreibt aber auch mit dem Müßiggang und Arbeitsscheu seines Helden. Weiter schreibt er: „Dieser Roman ist also ganz objektiv. Er versucht nicht einmal zu erklären: Er stellt fest. Er entrüstet sich nicht: Er registriert. Nur so konnte er entstehen.“ (S. 210) „Die Neger Äquatorialafrikas leben tatsächlich in den Tag hinein. Da ihnen der kritische Sinn fehlt, behauptet man, sie hätten nie irgendeine Art von Intelligenz besessen und würden auch nie eine besitzen. Zweifellos zu unrecht. Denn wenn Unintelligenz das Charakteristikum des Negers wäre, dann gäbe es nur sehr wenige Europäer“. (Manesse Verlag, 2007 Seiten 209/10). Über Häuptling Batouala schreibt er: „Das Leben ist kurz. Arbeit gefällt nur denen, die nicht zu leben verstehen. Nichtstun kann niemanden entwürdigen. Es unterscheidet sich im Übrigen grundlegend von Faulheit… In den Tag hineinzuleben, ohne an gestern zu denken, ohne sich um den morgigen Tag zu sorgen, nicht in die Zukunft zu blicken – das ist hervorragend, das ist vorzüglich.“ (Seiten 7/8)

Mit Ironie und Fabulierlust schreibt er zu den Bedürfnissen des Häuptlings und zum Zeitgefühl: „Früher, ehe die Boundjous [Europäer] kamen, lebte man glücklich. Wenig Arbeit, nur für die eigenen Bedürfnisse, essen, trinken und schlafen; von Zeit zu Zeit blutige Streitigkeiten, bei denen man den Toten die Leber herausriss, um ihren Mut zu essen und sich einzuverleiben – das waren die einzigen Beschäftigungen der Schwarzen, früher, ehe die Weißen kamen.“ (S. 99)

„Nur die Boundjous können die Zeit in gleiche Abstände einteilen. Und außerdem müssen sie diese Abstände in eine kleine Schachtel einsperren, worin sich zwei, manchmal drei Nadeln unterschiedlicher Länge mit unterschiedlicher Geschwindigkeit über Zeichen bewegen.“ (S. 150)

Dem sterbenden Batouala ruft er nach: „Man hat die Hirse deiner Scheuern verteilt, deine Waffen gestohlen. Du kannst froh sein, dass man dir deine Frauen noch gelassen hat. Aber sei beruhigt. Ihr Schicksal steht schon fest. Sie sind schon seit langem verteilt. Alle haben schon einen Abnehmer gefunden.“ (Seiten 203/204)

„Stellen Sie sich vor, da unten können die Neger fast alle lesen und schreiben“

Das Buch gilt als der erste Klassiker des afrikanischen Kontinents. Zwar ist René Maran kein Afrikaner, aber er lernte in Afrika die Bantu-Sprache und schrieb Details zu den Sitten und Traditionen in Zentralafrika. Allerdings ist der Roman vorwiegend an europäische Leser adressiert.

[Auch André Gide beschäftigte sich kontinuierlich mit der teilweise brutalen kolonialen Wirklichkeit Afrikas. Er veröffentlichte 1927 seine Afrika-Tagebücher über seine Reise nach Zentralafrika. Sie führten zu heftigen Debatten in der französischen Nationalversammlung und 1932 zur Abschaffung der Zwangsarbeit in den Kolonien. Er veranlasst eine Untersuchungskommission z.B. zu den Methoden der Handelsgesellschaft Compagnie Forestière Sangha – Oubangui, „die mit ihrem Kautschuk-Monopol und dem Einverständnis der lokalen Verwaltung den Eingeborenen ein hartes Sklavenjoch aufzwingt.“ (Seite 96) und er trifft einen der Glücksritter, die fern von Europa zu schnellem Reichtum zu gelangen versuchten. Er hatte lange Zeit an der Gold Coast [heute Ghana] gearbeitet. Er beschwert sich bei Gide: „Stellen Sie sich vor, da unten können die Neger fast alle lesen und schreiben.“ Wütend erzählt er, dass englische Kaufleute „dem Eingeborenen direkt den jeweiligen Marktpreis für die Ware bezahlen, was das ganze Geschäft verdirbt.“ (S. 112, „Kongoreise“ und „Rückkehr in den Tschad“ in Gesammelte Werke, DVA, 1992, Band 1)]

Auch Psychiater Frantz Fanon (1925–1961) ist auf Martinique geboren. Er ist seit den späten 1960er Jahren bis heute für die mit der Dritten Welt sympathisierenden europäischen Linken eine zentrale Bezugsperson. Sein Hauptwerk „Die Verdammten der Erde“ wurde zur theoretischen Grundlage für antikoloniale Bewegungen. 2018 ist das noch heute einflussreiche Buch in der 17. Auflage bei Suhrkamp erschienen. Das Buch ist eine politisch-soziologische Abhandlung mit einem Vorwort von Jean-Paul Sartre. Im dritten Kapitel geht es um Führer der Unabhängigkeit, die allmählich zu Totengräbern ihrer Völker wurden. Dieses Kapitel gibt zu denken. Voll Verachtung schildert Fanon – der neben Algerien, wo er einige Zeit als Psychiater arbeitete, Ghana, Liberia und den Senegal besucht hat – die hohlen Phrasen, Lügen der Führer und der habgierigen Bourgeoisie der Dritten Welt, sowie deren maßlose Eitelkeit und den Ausdruck ihres Misstrauens in die ländlichen Massen.

Seit Fanon die nachfolgenden Sätze aufgeschrieben hat, ist die Zeit stehengeblieben: „Die nationale Bourgeoisie der unterentwickelten Länder ist nicht auf Produktion, Erfindung, Aufbau und Arbeit ausgerichtet, sie ist ausschließlich an Vermittlungstätigkeiten interessiert.“ (S. 128 ) „Keine Industrie wird aufgebaut. Man fährt fort, Rohstoffe zu exportieren, sich zu kleinen Landwirten für Europa, zu Spezialisten für Rohprodukte zu machen. (S. 130). Die riesigen Profite, die sie [die Bourgeoisie] durch die Ausbeutung des Volkes gewinnt, werden ins Ausland exportiert. Auf den europäischen Märkten erwirbt sie ausländische Börsenwerte, verbringt das Wochenende in Paris oder in Hamburg. In bestimmten unterentwickelten Ländern erinnert sie durch ihr Verhalten an die Mitglieder einer Gang, die nach jedem hold-up den Mitspielern ihren Teil vorenthalten und sorgsam den Rückzug vorbereiten.“ (S. 130/148) Die sogenannte nationale Partei verhält sich wie eine ethnische Partei. Sie ist im Grunde ein zur Partei erhobener Stamm. Während sie sich gern als national ausgibt, im Namen des gesamten Volkes zu sprechen behauptet, organisiert sich heimlich und manchmal offen eine regelrechte ethnische Diktatur... Die Minister, die Regierungschefs, die Botschafter, die Präfekten werden aus dem Volksstamm des Führers ausgewählt, manchmal sogar direkt aus der Familie.“ (S. 156) „Man spricht gern von der Überlegenheit dieses Führers, von seiner Kraft, und man zögert nicht, in einem komplizenhaften und leicht bewundernden Ton zu sagen, er lasse seine engsten Mitarbeiter erzittern.“ (S. 157)... „Die Verwaltungsorgane schwellen an, nicht weil sie sich entwickeln und differenzieren, sondern weil neue Vettern und neue Militanten auf einen Posten warten und hoffen, in die Staatsmaschinerie eindringen zu können. Und jeder Staatsbürger träumt davon, in die Hauptstadt zu gelangen und seinen Teil von dem Käse abzubekommen. Die ländlichen Orte sind verlassen, die nicht eingegliederten, nicht unterrichteten und nicht unterstützten ländlichen Massen wenden sich von einem schlecht bearbeiteten Land ab, strömen in die Vorstädte und lassen dadurch das Lumpenproletariat übermäßig anwachsen.“ (S. 158/59)

Auch wenn man mancher Aktivist mit ideologischer Brille diese Zitate als eine verzerrte Perspektive brandmarkt, so ist doch, was Frantz Fanon hier vor Jahrzehnten schrieb, heute noch traurige Realität mancher autoritärer und korrupter Regime.