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Beitrag vom 25.06.2019

FAZ

NIgerianische Netzwerker

In Deutschland wächst die Sorge vor westafrikanischen Kriminellen/Von David Klaubert

FRANKFURT, 24. Juni. Vor dem Landgericht Traunstein wurde Saheed A. Anfang des Monats unter anderem wegen Computerbetrugs in 2802 Fällen zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der 50Jahre alte Nigerianer hatte zuletzt in Neapel gelebt und dort einen lukrativen Handel betrieben: Auf der Darknet-Plattform „Vault Market“ kaufte er, für jeweils 15 Dollar, geklaute Kreditkartendaten. Damit buchte er Tickets der Deutschen Bahn, besonders gern für den Nachtzug von Rom nach München, weshalb die Ermittler der Bundespolizei ihre Operation später „CityNightLine“ nannten. Meist waren es nigerianische Landsleute, die Tickets bei A. bestellten. 35 bis 150 Euro verlangte er für seinen Service. Und bei Bedarf lieferte er auch noch gefälschte italienische Personalausweise mit. Schleusung all inclusive.

Unter den Kunden Saheed A.s waren auch etliche „Vielbucher“, die mit den Bahntickets junge Frauen aus Italien nach Deutschland brachten. Und die sie anschließend zwangen, die Schleusungskosten als Prostituierte abzuarbeiten. Für die gesamte Reise ab Nigeria verlangten sie Summen zwischen 20000 und 30000 Euro. Um das Eintreiben kümmerten sich nigerianische Zuhälterinnen, sogenannte Madames; sie ließen die Frauen unter anderem in Bordellen in Duisburg und im Raum Braunschweig anschaffen. Eine dieser Madames hatte außerdem Kokain und Marihuana im Angebot.

Insgesamt richtete sich das Ermittlungsverfahren „CityNightLine“ gegen elf Verdächtige in Deutschland und Italien. Die meisten von ihnen sind inzwischen verurteilt, wegen Computerbetrugs, Schleusung, Menschenhandels, sexueller Ausbeutung und Rauschgifthandels. Das Netzwerk um Saheed A. ist damit ein typisches Beispiel für nigerianische organisierte Kriminalität – oder, wie es zuletzt immer häufiger heißt: die „nigerianische Mafia“.

Dass sich nicht nur die deutschen Sicherheitsbehörden, sondern auch Politik und Öffentlichkeit zunehmend für dieses Kriminalitätsphänomen interessieren, liegt vor allem an der Entwicklung in Italien. Dort sind die nigerianischen Banden in den vergangenen Jahren stark gewachsen, so dass sie inzwischen, wie der italienische Geheimdienst in seinem Bericht ans Parlament schreibt, die „sich am schnellsten entwickelnden“ und am besten organisierten ausländischen Verbrecherorganisationen sind. Auch in Italien sind die nigerianischen Kriminellen vor allem in Menschenhandel und Zwangsprostitution, als Schleuser und Drogendealer aktiv. Und auch in Italien arbeiten sie überwiegend in Netzwerken wie dem um Saheed A. zusammen, so dass der Begriff „Mafia“, der eine klar strukturierte, hierarchische Organisation impliziert, eigentlich falsch ist. Ausnahmen bilden die sogenannten Confraternities wie „Black Axe“, „Supreme Eiye“ oder „Supreme Vikings“, die in Nigeria ursprünglich als studentische Bruderschaften entstanden sind, sich dann aber zunehmend zu kriminellen, gewalttätigen Strukturen entwickelten. Und die in Italien von den Ermittlungsbehörden und in einigen Fällen auch schon von Gerichten als Mafiaorganisationen eingestuft werden.

In Deutschland spielen nigerianische Staatsangehörige in der organisierten Kriminalität (OK) bislang nur eine untergeordnete Rolle. 2017 wurden laut Zahlen des Bundeskriminalamts 16 Verfahren gegen „nigerianisch dominierte OK-Gruppierungen“ geführt, bei 572 Verfahren insgesamt. Mit weitem Abstand führen in dieser Statistik die deutschen Gruppierungen, gefolgt von türkischen, polnischen und albanischen. Die nigerianischen Banden kommen auf Platz acht.

Die mafiösen „Bruderschaften“ werden von den deutschen Sicherheitsbehörden zwar als gefährlich eingestuft, tauchen in den Ermittlungsverfahren bislang aber kaum auf, wie aus den Antworten auf mehrere parlamentarische Anfragen hervorgeht, die dieser Zeitung vorliegen. „Sie sind hierarchisch und paramilitärisch aufgestellt, agieren in Konkurrenz zueinander und mit gewalttätigen Auseinandersetzungen untereinander“, schreibt etwa das bayerische Innenministerium in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Allerdings sei nur eine einzige derartige Gruppierung bekannt, die in Bayern fest verwurzelt sei, und zwar die „Supreme Eiye Confraternity“ im nördlichen Oberbayern. In Nordrhein-Westfalen heißt es auf eine Anfrage der AfD, dass es in vier Ermittlungsverfahren Hinweise gegeben habe, „dass unter den Tatverdächtigen auch Mitglieder einer nigerianischen Bruderschaft waren“. Und das Bundesinnenministerium schreibt auf eine entsprechende Anfrage: Wie viele der OK-Gruppierungen „tatsächlich aus Mitgliedern der Nigerianischen Bruderschaften, den sog. Confraternities, bestehen, ist der Bundesregierung nicht bekannt“. Katharina Schulze, die die Anfrage der Grünen gestellt hat, kritisiert deshalb: „Befragt man die bayerischen Behörden zur Mafia, kommen immer wenige Informationen ans Licht.“ Sie fordert eine bessere Ausstattung der Polizei, besonders in Bezug auf die internationale OK, sowie eine Verbesserung des Informationsaustauschs der Sicherheitsbehörden im In- und Ausland.

Dass sich dabei gerade der Blick nach Italien lohnt, ergibt sich auch aus den Asylstatistiken. So ist die Zahl nigerianischer Antragsteller in Deutschland stark gestiegen, nur aus Syrien und dem Irak kamen zuletzt mehr. Im ersten Quartal 2019 waren es laut der Antwort der Bundesregierung 4036 nigerianische Staatsangehörige. Fast die Hälfte davon hatte zuvor schon in Italien einen Asylantrag gestellt. Hinzu kommen diejenigen, die über Schleuser-Netzwerke wie dem von Saheed A. einreisen, ohne dann Asyl zu beantragen. Dass darunter auch Kriminelle zu vermuten sind, zeigen nicht zuletzt die Ermittlungen der italienischen Behörden. Sie setzen die nigerianischen Netzwerke und die mafiösen Bruderschaften zunehmend unter Druck.

Als die Polizei auf Sizilien Anfang des Jahres gegen eine Zelle der „Supreme Vikings“ ermittelte, die aus dem staatlichen Flüchtlingszentrum von Mineo heraus rege mit Rauschgift handelte, hörte sie auch Telefongespräche ab, in denen die Verdächtigen planten, sich nach Deutschland abzusetzen. „Da ist’s gut, da sind alle meine Freunde“, sagte einer. Und tatsächlich konnten mehrere Verdächtige fliehen, bevor die Polizei zuschlug. Zwei von ihnen wurden schließlich in Regensburg festgenommen.