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Beitrag vom 14.11.2018

FAZ

Der Traum vom Freihandel in ganz Afrika

Hohe Zölle, willkürliche Bürokratie und miserable Straßen verhindern, dass innerhalb Afrikas mehr gehandelt wird. Das könnte sich radikal ändern.

Von Thilo Thielke und Philip Plickert

KAPSTADT/FRANKFURT, 13. November. In Nakonde, dem Grenzposten zwischen Tansania und Sambia, herrschte wieder einmal das übliche Chaos. Kilometerlang stauten sich die schlammverkrusteten und heillos überladenen Laster in beide Richtungen. Einige standen schon seit Tagen dort und warteten auf die Abfertigung. Nur die Prostituierten witterten ein gutes Geschäft mit den Truckern, die an ihren Flaschen mit Kilimanjaro-Bier hingen. Diesmal war es besonders schlimm. Ein Blitz hatte in das Häuschen der Kontrolleure eingeschlagen und das System lahmgelegt, nichts ging mehr.

Der deutsche Entwicklungshelfer, seine Frau und die kleine Tochter rollten sich hinten in ihrem VW-Bus in dicke Decken ein und verbrachten dort die Nacht im prasselnden Regen. Seit vier Jahrzehnten ist der Entwicklungshelfer in Afrika unterwegs. Er kennt den Kontinent, und er kennt seine Grenzen. „Viel geändert hat sich nicht“, sagt er, „zwischen den Staaten herrscht meist das reinste Chaos.“ Den Lastwagen mit Umzugsgut vertraute er lieber einem Sambier, der über die grüne Grenze rumpelte. Darauf, dass er mit seinem Privateigentum von den Zöllnern korrekt abgefertigt werden würde, mochte sich der Afrika-Veteran nicht verlassen. Er kennt die Korruption. An den Grenzen, sagt er, gehe kaum ein Transport durch, ohne dass Schmiergeld gezahlt werde. Als besonders schlimm gilt in Ostafrika der Hafen von Daressalam in Tansania.

Kommerzieller Handel in Afrika scheitert oft an zweierlei: schlechte Straßen voller Schlaglöcher, die den Transport extrem erschweren und verteuern. Häufig warten Lastwagen tagelang an Zollstationen; es gibt zu wenige grenzüberschreitende Straßen oder Bahnnetze. Und zweitens machen die recht hohen Zolltarife, nicht-tarifären Hemmnisse und willkürlich ausgelegten Zollgesetze den Handel teuer. „Der durchschnittliche Protektionismus ist mit der höchste in der Welt“, sagt Albert Muchanga, Handelskommissar der Afrikanischen Union (AU), der F.A.Z.

Die recht hohen Zölle und die anderen, nichttarifären Hürden bewirken, dass nur wenig wirtschaftlicher Austausch innerhalb des Riesenkontinents mit seinen fast 1,3 Milliarden Einwohnern stattfindet, dessen Bevölkerung rasant wächst. Afrikas Export kommt auf knapp 500 Milliarden Dollar im Jahr. Aber weniger als 100 Milliarden Dollar beträgt das innerafrikanische Handelsvolumen; ein Drittel davon sind Rohstofflieferungen wie Öl, Erze oder Agrargüter. Zum Vergleich: Allein Österreich kommt auf mehr als 130 Milliarden Euro Exporte im Jahr. Während nur knapp 20 Prozent der afrikanischen Exporte in andere afrikanische Länder gehen, ist in Europa fast 70 Prozent des Handels innereuropäisch.

Mehr innerafrikanischer Handel könnte ein gewaltiger Wohlstandstreiber für den Kontinent sein. Bislang ist Afrika in sechzehn Handelszonen zersplittert. Das soll sich aber ändern. Ein Grundsatzabkommen für eine kontinentale Freihandelszone (African Continental Free Trade Area) wurde im März geschlossen. Inzwischen haben 49 der 55 Staaten Afrikas unterzeichnet, auch Nigerias Staatschef Muhammadu Buhari, der erst noch zögerte, weil die heimischen Industriegewerkschaften Sorge vor zu viel Wettbewerb hatten. Wenn 22 Staaten das Abkommen ratifiziert haben (bislang sind es sieben), sollen innerhalb von fünf Jahren 90 Prozent aller Zölle wegfallen, die ärmsten Länder könnten sich zehn Jahre dafür Zeit lassen. „Das wird die größte Freihandelszone der Welt seit der Formierung der Welthandelsorganisation WTO“, unterstreicht AU-Handelskommissar Muchanga.

Eine echte Freihandelszone wäre ein radikaler Wandel. Bisher beträgt der durchschnittliche Zollsatz innerhalb Afrikas 6,1 Prozent – mehr als doppelt so viel wie das weltweite Niveau. 6 Prozent hört sich zwar nach nicht so viel an, aber in Realität wird der Handel noch viel mehr verteuert und erschwert. Besonders hinderlich ist, dass Industriegüter am höchsten belastet werden. Beispiel Ostafrika: 25 Prozent beträgt der Zollsatz auf Fertigwaren in der dortigen Wirtschaftszone mit den Schwergewichten Kenia, Tansania und Uganda sowie Burundi, Ruanda und Südsudan. Auf Zwischenprodukte sind 10 Prozent fällig, Rohstoffe dagegen sind zollfrei. Die Folge: Es werden vor allem Rohmaterialien gehandelt. Und viele Waren werden auf Schmuggelrouten am Zoll vorbei transportiert, nach Schätzungen Waren für bis zu 60 Milliarden Dollar.

Kann sich das alles ändern? „Die afrikanische Freihandelszone ist ein sehr positives Projekt“, sagt Kenneth Bagamuhunda, Generaldirektor für Zölle und Handel der Ostafrikanischen Gemeinschaft. Zwischen Kenia und Uganda haben sie den grenzüberschreitenden Handel schon radikal vereinfacht und beschleunigt, nun träumt er von der kontinentalen Freihandelszone. Allerdings werde es noch dauern, bis dieser Traum wirklich wahr werde. Vermutlich erst 2019 hätten genug Länder ratifiziert, 2020 gehe es richtig los mit dem Zollabbau und Regelangleichungen, schätzt Bagamuhunda. Auch Carsten Ehlers von der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft GTAI betont: „Das Projekt geht in die richtige Richtung. Es wäre auch für deutsche Unternehmen in Afrika von großem Vorteil. Aber es wird wohl noch ein sehr langfristiger Prozess.“

Die Hamburger Handelsfirma C. Woermann ist schon seit dem 19. Jahrhundert in Afrika tätig, seit fünfzig Jahren ist sie in Nigeria präsent. Kettensägen von Stihl, Liqui-Moly-Motoröl und Filter für Autos und Laster importiert das Handelsunternehmen. Es beschäftigt in Nigeria 125 Mitarbeiter und macht dort einen zweistelligen Millionenumsatz im Jahr. Der regionale Geschäftsführer Klaus Okunowski kann ein Lied von den Problemen singen, die er beim Import erlebt. Korruption am Zoll habe er wenig erlebt. Der Engpass ist die Verbindung vom riesigen Hafen Apapa in die Stadt Lagos.

„Die Logistik ist eine Katastrophe wegen der extrem schlechten Straßen: Wenn es mal wieder einen Streik gibt oder bei Regen bricht der Verkehr völlig zusammen“, sagt Okunowski. Manchmal dauert es zwei Wochen, bis der Container die paar Kilometer vom Hafen bis nach Lagos kommt, einer auf 24 Millionen Menschen angewachsenen Megametropole. Jean-Marc Ricca, Westafrika-Direktor von BASF, regt eine andere Sache in Nigeria besonders auf: Die Abfertigung im Hafen ist extrem bürokratisch und der Zoll unberechenbar. „Sie brauchen 23 Stempel für jeden Container, bis die Ware durch den Hafen durchkommt“, erzählt er. Und nicht selten kommt es vor, dass der Zoll plötzlich den Wert der Chemikalien im Container höher veranschlagt und dreimal so viel Importzoll verlangt. „Plötzlich heißt es: Statt 10000 Euro seien es 30000 Euro Warenwert. Sie haben keine andere Wahl, als zu zahlen“, klagt Ricca. „Es wird in Nigeria immer schwieriger, Geschäfte zu machen“, findet er. Beschwerden im Ministerium brächten bislang nichts. Manche deutsche Unternehmer rufen zuweilen die Botschaft um Hilfe, wenn in Lagos oder Accra ein Container wochenlang blockiert wird.

Dass die geplante afrikaweite Freihandelszone eine schnelle und tiefgreifende Verbesserung der Handelsmöglichkeiten bringen werde, glaubt Manager Okunowski eher nicht. „Die Handelsbeschränkungen sind doch extrem verzwickt, das liegt auch an der Bürokratie und den vielen Herrschern und Stämmen, die alle nur an sich denken.“

Oft hört man von Entwicklungshilfeaktivisten, was Afrikas Entwicklung besonders bremse, sei die Abschottung der westlichen Industrieländer. Erst kürzlich forderte Entwicklungsminister Gerd Müller, Europa müsse endlich Zölle abschaffen und seine Märkte für afrikanische Produkte öffnen. Handelsfachmann Gabriel Felbermayr hält das aber für einen Mythos. „Die Vorstellung, die Europäische Union oder die Amerikaner schotteten sich mit Importzöllen ab, ist komplett falsch. Das gilt auch im Agrarbereich“, erklärt der renommierte Handelsforscher.

Eher sei es umgekehrt: Afrika habe hohe Zollbarrieren. Die EU verlangt gewichtet nur 1,25 Prozent Importzoll für Agrarrohstoffe und weniger als 1 Prozent für Fertigprodukte aus Subsahara-Afrika – umgekehrt betragen die Zölle in Subsahara-Afrika auf Agrargüter durchschnittlich fast 10 Prozent, auf Konsumwaren fast 20 Prozent. „Dass die afrikanischen Länder so hohe Zölle auf importierte Rohstoffe haben, ist wirklich ein Problem“, betont Felbermayr. „So kann Ghana zwar Schokolade zollfrei in die EU exportieren, aber auf Zucker und Milchpulver oder Verpackungsmaterial erhebt das Land hohe Importzölle, so dass trotz der EU-Zollpräferenzen Schokolade aus Ghana nicht wettbewerbsfähig ist.“

Bei allen Schwierigkeiten sollten westliche Unternehmer Afrikas gigantischen Markt und sein Entwicklungspotential nicht unterschätzen – die Chinesen sind seit Jahren dort sehr aktiv. Auch das Ölland Nigeria, mit fast 200 Millionen Menschen die größte Volkswirtschaft des Kontinents, sei ein Land mit großen Chancen, findet Marc Lucassen, Chef der deutschen Außenhandelskammer in Lagos. „Die Tatsache, dass mehr als achtzig deutsche Unternehmen mit mehr 10000 direkten Mitarbeitern circa eine Milliarde Euro im Jahr Umsatz zu deutlich höheren Margen als in anderen Subsahara-Staaten erwirtschaften, spricht für den hiesigen Markt“, sagt Lucassen. Man solle sich nicht einseitig auf Handelshemmnisse und Sicherheitsthemen wie den Boko-Haram-Terror im Norden des Landes fokussieren, mahnt er. „Das verstellt den Blick auf das Gesamtbild und führt zu der vorherrschenden negativen Grundhaltung, die ein deutsches wirtschaftliches Engagement mit Augenmaß und kalkuliertem Risiko behindert.“