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For a different development policy!

Beitrag vom 20.03.2017

FAZ

Was Afrika von Asien lernen könnte

Ein Marshallplan für Afrika darf keinen Nirvana-Ansatz verfolgen. Wirksamer wäre das Vorbild des Entwicklungsstaates in Ostasien.

Von Joachim Ahrens und Axel Wölk

In vielerlei Hinsicht ist die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) nach mehr als 50 Jahren hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Eine nachhaltig positive Korrelation zwischen dem Umfang der Entwicklungshilfe und Wirtschaftswachstum kann nicht konstatiert werden. Die Millenniumserklärung der Vereinten Nationen sowie die dazugehörigen Entwicklungsziele haben daher eine umfassende Diskussion über fundamentale Veränderungen der EZ und deren Effektivität ausgelöst. Das hat die Bundesregierung veranlasst, ihre eigenen EZ-Ansätze und -Aktivitäten zu überdenken, und zeigt sich aktuell auch in der Diskussion um einen vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit propagierten Marshallplan mit Afrika.

Dabei gelangen die Maghreb-Staaten, aber auch gerade die Länder südlich der Sahara zunehmend in den Fokus der deutschen und der europäischen Außen- und Entwicklungspolitik. Neben der seit Jahrzehnten bestehenden ökonomischen Unterentwicklung, der sozialen Verelendung und den politischen Instabilitäten kommen nun noch die Flüchtlingsströme dazu. Aus Sicht Europas erscheint somit eine effektivere EZ dringend geboten, um eine wirtschaftliche und soziale Basis in den Herkunftsländern zu schaffen, welche Fluchtanreize vermindert.

Der Marshallplan mit Afrika verdeutlicht, dass Entwicklung sehr vielfältig ist. Soziale, ökonomische und politische Veränderungen sind erforderlich. Diese erfolgen in speziellen historischen und kulturellen Kontexten und müssen von den betroffenen Gesellschaften und deren Eliten getragen werden. Unterstützung von außen hat sensibel und länderspezifisch zu geschehen, darf nicht erzwungen werden und muss dennoch Konditionalitäten unterliegen, ohne den nationalen Regierungen ihre Eigenständigkeit (also ownership
of reforms) zu nehmen. Ein schwieriges Unterfangen für internationale Akteure der EZ, die ja offensichtlich auch eigene Ziele verfolgen und nicht immer das Wohl der Entwicklungsländer im Sinn haben.

Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass im Marshallplan mit Afrika die Koordinationsmöglichkeiten und der Kooperationswille der internationalen Akteure überhaupt nicht diskutiert werden. Es werden darüber hinaus zahlreiche Entwicklungsziele nebeneinandergestellt, ohne Prioritäten zu setzen und ohne über politökonomische Hemmnisse in Hinblick auf ihre Umsetzung vor Ort zu sprechen. Die formulierten Ziele umfassen die Einhaltung politischer und sozialer Menschenrechte, den Aufbau von demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnungen mit einer ökologischen und sozial
verfassten Marktwirtschaft. Dies erinnert unmittelbar an die Normen, Ziele und Wünsche europäischer und besonders deutscher Politik, lässt aber vollkommen außer Acht, ob diese Ziele im Interesse der Gesellschaften in Afrika und besonders im Interesse von deren Eliten sind. Selbst wenn dies so wäre, fehlte jedwede Überlegung, wie und in welcher Abfolge
diese Ziele anzustreben wären.

Die gegenwärtige Politik suggeriert, dass alle Ziele gleich wichtig und gleichzeitig anzustreben seien. Eine solche Sichtweise ignoriert allerdings nicht nur die eigene Entwicklungsgeschichte der europäischen Staaten, sondern auch die zahlreichen Misserfolge der internationalen Entwicklungspolitik. Die versuchte nämlich nur zu oft vergeblich, nach westlichem Vorbild Entwicklungspfade universell zu gestalten. Dieses unter dem Namen Washington Consensus firmierende Modell der Entwicklungspolitik ist offenbar
gescheitert.

Erstaunlicherweise sind mehrere Staaten Ostasiens, die häufig nicht im Fokus der internationalen EZ standen, über Jahrzehnte hinweg am schnellsten gewachsen und haben gleichzeitig signifikante Fortschritte in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Beschäftigung erzielt. Heute haben Länder wie Südkorea, Taiwan und Singapur zu den entwickelten Ländern aufgeschlossen. Malaysia, Indonesien und vor allem China gehören zu den wichtigsten Schwellenländern. Aus dieser Perspektive gewinnen Instrumente des politökonomischen Modells des „Developmental State" als Entwurf für einen alternativen Governance-Ansatz in der deutschen EZ an Attraktivität. Ein Blick auf die Entwicklungsmodelle dieser Länder, die zumindest in ihren Anfängen oft auf autoritären
Strukturen fußten, mag aus der Sicht der westlichen oder deutschen EZ befremdlich
erscheinen. Schließlich weisen diese Staaten doch Charakteristika auf, die „unseren"
Werten widersprechen.

Es gilt sich aber zu vergegenwärtigen, dass die Entwicklung von Gesellschaften pfadabhängig ist und dass man einem Land ein neues System nicht erfolgreich
von außen oktroyieren kann. Selbst ein internationaler Transfer von Regeln und
Durchsetzungsinstrumenten (Institutionen) verläuft selten erfolgreich. Damit ist dann die Forderung, gleichzeitig nach Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sozialer und ökologischer Marktwirtschaft in einem inklusiven Entwicklungsmodell zu streben, für die meisten Länder Afrikas ein Nirwana-Ansatz. Auch wenn die EZ alles „Gute" gleichzeitig anstrebt, reichen
ein paar Konferenzen kaum für eine wirksame Politik aus.

Ohne Zweifel legt der „Developmental State" einen Schwerpunkt auf Armutsbekämpfung.
Geteiltes Wachstum ist ein wichtiges Element der Politik. Das Modell basiert aber gerade auch auf einem starken Staat, der in der Lage ist, Wirtschaftspolitik zu formulieren und umzusetzen, Regeln durchzusetzen und auf Fehlentwicklungen vergleichsweise flexibel zu reagieren. Im Zentrum steht eine meritokratische, relativ autonom handelnde (Wirtschafts-) Bürokratie, die mit planrationalen Entscheidungsprozessen in der Lage ist, Politik pragmatisch zu gestalten und sich an neue Umweltbedingungen anzupassen. In Developmental States sind Wachstum und Entwicklung Staatsziel. Eine langfristige Politik des geteilten Wachstums und ihre wirksame Umsetzung erzeugen Legitimität bei der Bevölkerung und Glaubwürdigkeit bei Investoren.

Die im Marshallplan mit Afrika genannten Reformpartnerschaften stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar, auch weil sie die „ownership of reforms" betonen. Mit Blick auf die Entwicklungserfolge in Ostasien sollte die Priorität auch in Afrika darin liegen, den Staat zu
einer ordnenden Kraft zu machen, sodass die Regierung in der Lage ist, Politik zu
formulieren und umzusetzen. Zentral dafür ist der Aufbau von Institutionen, auch in nichtdemokratischen, aber ökonomisch reformbereiten Regimes. Wie die Erfahrungen in Developmental States zeigen, können auch in solchen Ländern in wichtigen Bereichen unabhängige Institutionen und Organisationen entstehen. Das wären zum Beispiel Zentralbanken, Statistikämter, Kartellbehörden, aber auch Investitionsschutzabkommen und
private Eigentumsrechte. Diese ließen sich durchaus von außen fördern, was dazu beitragen kann, die Privatwirtschaft sowie Marktkräfte zu stärken und die Politik sowohl wirksamer als auch glaubwürdiger zu machen.

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Joachim Ahrens ist Professor für Internationale Wirtschaft an der PFH Private Hochschule
Göttingen, Axel Wölk ist Journalist.