Beitrag vom 25.02.2017
FAZ
Schwarze gegen Schwarze
In Südafrika wächst abermals die Gewalt gegen Ausländer aus anderen afrikanischen Ländern. Sie ist Ausdruck eines gnadenlosen Konkurrenzkampfes um Arbeitsplätze.
Von Thomas Scheen
Atteridgeville ist alles andere als eine feine Adresse. Das Township im Westen der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria ist geprägt von kleinen Backsteinhäusern, hinter deren Mauern sich Armut, Hoffnungslosigkeit und soziale Verwahrlosung verbergen. 65 000 Menschen leben hier auf einer Fläche von 6,5 Quadratkilometern – nicht, weil sie es sich ausgesucht haben, sondern weil sie die Mieten woanders nicht bezahlen können.
Seit nunmehr zwei Wochen ist das Township so etwas wie die Frontlinie in einem neuen Krieg. Opfer der brutalen Auseinandersetzungen sind afrikanische Ausländer, von denen ihre südafrikanischen Nachbarn glauben, sie nähmen ihnen die Arbeitsplätze weg, handelten mit Drogen und scherten sich weder um Gesetze noch um Moral. Dutzende Häuser, in denen vor allem Nigerianer lebten, wurden niedergebrannt. Häufig konnten sich die Bewohner nur mit dem retten, was sie am Leib trugen. Die Polizei sah sich genötigt, den Mob mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und scharfen Hunden daran zu hindern, die Fliehenden zu lynchen.
Was in Atteridgeville begann, hat längst auf andere Townships übergegriffen, auf Lotus Gardens in Pretoria etwa oder Diepskloof bei Johannesburg. Schwere ausländerfeindliche Krawalle hat es früher schon gegeben. Im Jahr 2008 traf es die Zimbabwer und Moçambiquaner in Johannesburg mit derartiger Wucht, dass die Regierung sich gezwungen sah, zum ersten Mal seit dem Ende der Apartheid 1994 die Armee im Innern einzusetzen. Tagelang kreisten Hubschrauber über der Stadt mit schnellen Eingreifkommandos an Bord. 62 Menschen starben damals. 2013 ging es gegen die Somalier im Westkap, 2015 gegen die Malawier und abermals die Zimbabwer in der Hafenstadt Durban. Auch dabei waren Todesopfer zu beklagen.
Den Südafrikanern deshalb pauschal einen zur Gewalt neigenden Rassismus zu unterstellen wäre indes zu einfach. Es sind existentielle Ängste, die diese Ausschreitungen motivieren. Die inoffizielle Arbeitslosenquote am Kap liegt bei deutlich über 30 Prozent. Gleichzeitig aber zieht das Land afrikanische Migranten an wie Licht die sprichwörtlichen Motten. Denn trotz aller Unzulänglichkeiten ist Südafrika im Vergleich zum Rest Afrikas ein geradezu unverschämt reiches Land. Im benachbarten Moçambique beispielsweise beträgt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen 1200 Dollar im Jahr. In Zimbabwe liegt der Wert bei 2000 Dollar im Jahr. In Südafrika hingegen sind es 13 200 Dollar.
Südafrika ist das mit Abstand beliebteste Ziel afrikanischer Migranten. Dabei ist völlig unklar, wie viele Ausländer Südafrika eigentlich beherbergt. Südafrikas Statistikamt beziffert die Zahl der registrierten Ausländer mit 2,2 Millionen Menschen. Hinzu kommen noch einmal bis zu einer Million illegal im Land Lebende. Bei einer Bevölkerungsstärke von gegenwärtig 54 Millionen Menschen entspricht das sechs Prozent der Gesamtbevölkerung.
Andere Quellen wie das Institute of Political Studies hingegen unterstellen den staatlichen Statistikern, die Zahlen aus politischen Gründen niedrig zu halten, und sprechen von bis zu zehn Millionen Ausländern und einem Anteil von 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der subjektive Eindruck in dem Land bestätigt diese hohe Zahl. Man trifft in Südafrika buchstäblich an jeder Ecke auf Somalier, Eritreer, Äthiopier, Zimbabwer, Moçambiquaner, Malawier, Sambier, Kongolesen, Nigerianer, Ivorer, Ghanaer und Kameruner. In Johannesburg existieren ganze Stadtteile, in denen nur Swahili, die Sprache Ostafrikas, gesprochen wird. Und die Ausländer sind überall dort zu finden, wo geringe Löhne gezahlt werden: in der Landwirtschaft, in der Gastronomie, in der Hotellerie, im Baugewerbe und als Haushaltshilfen. 120 Rand (neun Euro) beträgt der gesetzliche Mindestlohn pro Tag für einen südafrikanischen Hilfsarbeiter. Der Zimbabwer ohne Papiere allerdings macht den Job auch für 80 Rand (sechs Euro). Dieses Lohndumping ist so verbreitet, dass kein Arbeitssuchender ernsthaft erwartet, tatsächlich den Mindestlohn gezahlt zu bekommen.
Immerhin kündigte Innenminister Malusi Gigaba als Konsequenz aus den Krawallen am Donnerstag an, den Niedriglohnsektor stärker kontrollieren zu wollen. Ansonsten appellierte die südafrikanische Regierung an die Bevölkerung, sich in Toleranz und Zurückhaltung zu üben. Die fortgesetzten ausländerfeindlichen Krawalle sind ihr nämlich ausgesprochen peinlich. Pretoria hat der massenhaften Einwanderung in der Vergangenheit auch deshalb mehr oder weniger tatenlos zugeschaut, weil die Kader der Regierungspartei African National Congress (ANC) während des Kampfes gegen die Apartheid in den Nachbarstaaten jahrzehntelang Schutz und Unterstützung gefunden hatten. Jetzt werden Bürger dieser Staaten durch die Straßen gejagt.
Zudem war die südafrikanische Regierung lange Zeit der Überzeugung, dass die Wirtschaftskraft des Landes ausreiche, eine hohe Zahl von Migranten zu absorbieren und dergestalt den Lebensstandard in deren Herkunftsländern zu heben. Dafür aber benötigt Südafrika ein robustes Wachstum. Unter Präsident Jacob Zuma, der die Vetternwirtschaft zum Regierungsprinzip erhoben hat, ist das Gegenteil eingetreten. Das südafrikanische Wirtschaftswachstum lag im vergangenen Jahr bei 0,1 Prozent.